
© Andreas Klaer
Von Heidi Jäger: Mit Biss und Intensität
Renate Grisebach brachte den Verein des Kunsthauses in Schwung: inzwischen hat er 200 Mitglieder
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Fridolin Frenzels Vögel im „Absturz“ und „Tanz“ gehören zu ihren Lieblingsbildern der Licht- und Schatten-Ausstellung. Vielleicht weil sie den Maler schon so lange kennt. Vielleicht aber auch, weil sie etwas über sie selbst erzählen.
Für Renate Grisebach, die kurz vor ihrem 70. Geburtstag steht, kam der Tanz nach dem Absturz oder besser nach dem Sprung ins kalte Wasser. Denn nach ihrer Scheidung stand sie Anfang 40 auf einmal mit hängenden Flügeln vor dem Leben: die Töchter 16 und 9 Jahre alt, die eigene Doktorarbeit nach dem Kunstgeschichtsstudium abgebrochen, stattdessen verheiratet mit einem Doktor, Kustos an der Nationalgalerie Berlin. Sie selbst hatte sich bis dahin auf das Glück als Mutter und Hausfrau konzentriert, versank aber nicht völlig darin. „Ich besuchte Ausstellungen, koordinierte mitunter auch selbst welche und hatte viele Künstlerfreunde.“ Selbstständig und eigenwillig sei sie immer gewesen. Die Kunst wich nicht von ihrer Seite. So wie sie schon als Kind mit ihren Eltern jeden Sonntag fasziniert durch die Bremer Kunsthalle spazierte oder sich für die Moor- und Himmelsmaler in Worpswede interessierte, trugen sie Bilder immer mit durchs Leben. Schließlich bis nach Potsdam, wo sie seit fast fünf Jahren den Verein des Kunsthauses ehrenamtlich leitet.
Keiner ist dort vor ihrem unerbittlichen Engagement sicher. Renate Grisebach lässt nicht locker, um mit ihrem Verein im Kanon der zeitgenössischen Kunst mittanzen zu können oder vielleicht sogar die Führung zu übernehmen. Obwohl der jüngste Kunstverein in Potsdam, ist er mit seinen inzwischen rund 200 Mitgliedern zahlenmäßig der stärkste. Die Berlin-Lastigkeit habe sich inzwischen etwas gelegt. Dennoch würde sich die Kunsthistorikerin freuen, wenn sich noch mehr Einheimische im Verein engagieren würden, vor allem jüngere Sammler ihre Liebe zum etwas abseits gelegenen Haus in der Ulanenstraße entdeckten.
So wie es ihr ging, als sie das von Hubertus von der Goltz und Frank Michael Zeidler sanierte Ensemble des einstigen Pferdelazaretts der Garde-Ulanen-Kaserne betrat. Als Renate Grisebach das erste Mal zum Kunsthaus kam, stand sie vor verschlossenen Türen. Es gab noch keine regelmäßige Aufsicht. Doch sie unternahm einen zweiten Anlauf, wurde sofort an dem Abend der von ihr besuchten Vernissage Mitglied des Vereins und schlug bald darauf ihr erstes Projekt vor: eine Schmuckausstellung. Es dauerte nicht lange und schon wählte man sie zur ersten Vorsitzenden des Vereins , der die Räume des Kunsthauses von den Eigentümern Zeidler und von der Goltz für seine Ausstellungen mietet. Sie ließ das Bett aus dem Büroraum entfernen, denn zum Ausruhen war sie nicht angetreten. Stattdessen organisierte Renate Grisebach Telefon und Computer für ihre Schaltzentrale, von der aus die couragierte Frau ihre Fäden spinnt: Zwischen den Leuten im Verein, zwischen Künstlern und Publikum, zwischen Galerien. „Mir geht es um ein Wir-Gefühl“, betont sie und auch dass sie kein Mail-Typ sei, sondern lieber die Stimmen am Telefon höre. Noch lieber nutzt sie die Eröffnungen, zu denen meist 120 Besucher erscheinen, um Leute zusammenzubringen.
Inzwischen gibt es im Kunsthaus keine Sommerpausen mehr, erhalten die anfangs für einen Hungerlohn arbeitenden Helfer in Öffentlichkeitsarbeit, Computertechnik oder Aufsicht ein vertretbares Honorar. Seit drei Jahren wird die Arbeit des Vereins auch durch die Stadt anerkannt: aus der anfangs experimentellen Förderung von 10 000 Euro ist inzwischen eine institutionelle in der selben Höhe geworden. „Es gibt nicht mehr das große Bibbern, dass wir die Miete nicht bezahlen können. Dennoch reichen die Zuwendungen nicht, um die etwa acht Ausstellungen im Jahr zu stemmen.“ So müssen die Künstler ihre Schauen selbst mit finanzieren oder aber der Verein findet Sponsoren, Botschaften oder Partnergalerien, die die 3000 Euro für eine Exposition bezahlen. Denn neben Miete und Heizung fallen auch Kosten für Einladungskarten, Versand, Versicherung oder Putzfrau an. „Dafür bekommt der Künstler, falls er ein Bild verkauft, die volle Summe und muss nicht die Hälfte an den Galeristen abgeben. Außerdem hat auch unser guter Name einen Wert“, trumpft die Kunsthistorikerin selbstbewusst auf. Keineswegs haben die mittlerweile 45 Künstler im Verein zwangsläufig ein Anrecht auf eine Einzelausstellung. „Uns geht es um ein qualitätsvolles Spektrum, darum, die zeitgenössische Kunst in Potsdam zu beleben und Künstler zu zeigen, die hier noch nicht gezeigt wurden.“ Das sind Maler, Fotografen oder Bildhauer, die schon ein Werk vorzuweisen haben, ebenso wie Noch-Suchende. Und natürlich auch die eigenen Vereinskünstler, die sich derzeit in der Gemeinschaftsausstellung in sehr unterschiedlichen Tonarten behaupten.
Erstmals wird es ab diesem Jahr eine Reihe geben, in der sich Paare vorstellen, die zusammen leben und arbeiten. Den Auftakt bestreiten ab 7. Februar Verena Vernunft und Bert Düerkop. „Es ist das erste Mal, dass das Jahr schon im Januar finanziell durchgeplant ist“, freut sich die rührige Vorsitzende, die das Rechnen vor allem im Internationalen Schmuckzentrum Berlin gelernt hat. Dort arbeitete sie vor ihrer Pensionierung, nachdem sie zuvor freiberuflich an verschiedenen Einrichtungen, wie beim Neuen Berliner Kunstverein, tätig war. Denn gerade nach ihrem Hausfrauendasein wollte sie es wissen. Jetzt möchte sie in Potsdam als Vermittlerin Aufbauarbeit leisten und immer wieder neue Künstler entdecken. „Auch wenn man sie oft länger kennen muss, um ihr Werk richtig zu verstehen.“
Rund 40 Ausstellungen sind inzwischen durch ihre Hände gegangen, die sie noch lange nicht in den Schoß legen möchte. „Ich brauche das quirlige Klima.“ Und am liebsten würde sie auch nach Potsdam ziehen. Aber ihr Lebensgefährte, mit dem sie inzwischen fast 25 Jahre zusammen ist, hat sein Architekturbüro in Berlin und ist ebenso aktiv wie sie. Aber an den Wochenenden begleitet er sie nach Potsdam, geht mit ihr durch die Parks, stöbert in Buchläden und mitunter bringen sie der Aufsicht im Kunsthaus ein Stück Kuchen vorbei. „Ich fühle mich einfach wohl hier. Es ist toll, wenn man etwas bewegen kann, auch wenn es in Potsdam mitunter zähflüssig ist.“ Doch immerhin: Nicht nur die Mitglieder im Verein werden mehr, auch die Besucherzahlen steigen.
Eine Halbtagsstelle für einen Geschäftsführer würde sich Renate Grisebach noch wünschen, „dann wäre das Boot richtig ins Wasser gesetzt“. Bislang schultert der gesamte Vorstand die Arbeit in der Freizeit. An eine Verjüngung ist da kaum zu denken. Denn meist bleibt erst im Alter Zeit fürs Ehrenamt. Und das füllt die Vorsitzende derart aus, dass selbst die zweijährige Enkeltochter Olga hintenan stehen muss. So wie Renate Grisebach Kunst mit Biss und Intensität liebt, lebt sie wohl auch selbst: in ihrem „Tanz“ der Leidenschaft.
Die Ausstellung „Das Licht. Der Schatten. Die Kunst“ ist bis 31. Januar zu sehen, Mi 11 - 18 Uhr, Do - Fr 15 - 18 Uhr, Sa + So 12 - 17 Uhr.
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