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Kultur: Mit der Fremde wachsen

Potsdamer Künstler präsentierten sich drei Wochen am anderen Ende der Welt

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Im ersten Moment dachte sie an Urwald und Abenteuer. Die Abenteuer stellten sich ein, doch statt Urwald überraschte Uruguay mit ausgedehnten Feldern, auf denen mehr Kühe anzutreffen sind, als das Land Menschen zählt. Susanne Ramolla schwang sich auf ein Pferd und durchritt diese Pampa, ließ sich tragen von dem Gefühl der Weite und Freiheit.

„Meine Seele schwebt noch immer zwischen den Kontinenten“, sagt die Potsdamerin nach diesem dreiwöchigen Arbeitsurlaub, den sie der Batuz Foundation zu verdanken hat. Gemeinsam mit fünf weiteren Künstlern aus dem Land Brandenburg wurde sie von einer Jury für diese Reise ausgewählt, die schließlich in einer Ausstellung im Rathaus von Montevideo gipfelte.

Wieder zurück in Potsdam, erinnert sie sich bei grünem Tee und gefülltem Bienenstich nicht nur an die saftigen Steaks, die sie als Fleischmuffel dort schon zum Frühstück mit Genuss verspeiste. Gemeinsam mit Heike Isenmann betritt sie inmitten von Fotobergen in Gedanken noch einmal ihr fensterloses Haus in Montevideo, das mit seinen schweren Ebenholztüren, den alten Keramikfliesen und seinem „Kreisverkehr“ eine ganz besondere Aura hatte. Aber auch den Schlaf fern hielt. „Man findet so viele Geschichten in den alten Häusern.“ In dieses Haus zogen die Frauen erst nach ein paar Tagen ein. Anfänglich fanden sie bei dem Maler Edgardo Unterkunft: vor den Toren der Stadt, in einem sehr armen Viertel. „Die Leute dort hatten aber wenigstens noch Hütten. In Montevideo sahen wir indes sehr viele Kinder, die in Mülltüten schliefen und extrem verwahrlost waren. Das geht unter die Haut. Und ich habe auch noch nie so viele traurige Pferde gesehen“, erzählt Heike Isenmann, die bereits die andere Meerseite Südamerikas durch Besuche bei ihrem Bruder kannte. Während das Frauentrio, zu dem auch die „Eiskünstlerin“ Ilka Berndt gehörte, dem morbiden Charme ihres Steinhauses erlegen waren, hauste der männliche Part mit Rayk Goetze, Chris Hinze und Mikos Meininger in einem Atelier. „Sie schliefen bei Marcello auf dem Fußboden, denn außer einer Staffelei gab es nichts im Raum. In diesem Land ist das Improvisieren gefragt, das wir Ossis ja bestens kennen“, so Heike Isenmann. Zum Frühstück und Duschen luden sie dann „ihre“ Männer zu sich ins Haus. „Es war schon überraschend, wie wir als ,Einzelkrepler’ so gut in der Gruppe zusammen fanden. Die Jungs hatte feste Vorstellungen, was sie bewerkstelligen wollten, während wir Frauen sehr offen an die Reise heran gingen.“ Letztlich fehlte aber allen die Zeit, große neue Dinge zu realisieren. Nur Chris Hinze trumpfte auf: Er schälte mit einer über die Goethe-Gesellschaft aufgetriebenen Kettensäge aus einer Ulme ein Boot heraus, mit zwei Figuren an Bord: seine „Seelenreisenden“. „Somit hatten wir auch ein Gastgeschenk, mit dem wir uns für die Holzskulptur bedanken konnten, die Potsdam bereits aus Uruguay erhielt und die im Lustgarten ihren Platz gefunden hat.“ Auch Ilka Berndt brachte Frische in die Ausstellung im Rathaus: Sie füllte etwa 30 große Luftballons mit Wasser und packte sie in eine Eiskammer. Während der Vernissage schmolzen dann diese Kugeln. „Ich musste an Rolf Losanskys Kinderfilm ,Ein Schneemann für Afrika’ denken“, so Heike Isenmann, die ihre eigenen Ideen nicht ganz realisieren konnte. „Ich wollte vor Ort Fotos inszenieren und habe auch einige Künstler in ihren Ateliers fotografiert. Aber es hat mich nicht zufrieden gemacht. Ich brauche mehr Zeit, um die Menschen richtig zu erspüren.“ Auch Rayk Goetze wollte malen, kam aber nicht über das Grundieren hinaus. „Und ich hatte die Idee eines Videos, auf dem ich meine Schritte durch die Stadt festhalten wollte“, sagte Susanne Ramolla. Aber auch bei ihr blieb es beim kreativen Ansatz. Dafür hängen aber ihre mit Naturmaterial gefüllten Haarnetze noch bis über Ostern in der Ausstellung: auch gefüllt mit Haar aus Uruguay. Spannende, bizarre Strukturen in einem Konglomerat verschiedener Techniken, mit dem die Brandenburger der so anders gefärbten Kunst Südamerikas etwas sehr Eigenes entgegensetzten. Zum Glück hatten sie ja auch in ihrem Reisegepäck allerlei interessante Mitbringsel.

Zugleich fühlten sie sich in der Verpflichtung der Batuz Foundation, die sich als Gemeinschaft der gleichgesinnten Andersdenkenden versteht und auch einen Förderverein in Potsdam besitzt. Architekt Albert Brauns, der so anregende Begleiter der Künstlerruppe, ist darin Mitglied. Und sie lernten auch den Maler Batuz höchstpersönlich kennen: „Ein charmanter, grauhaariger Mann um die 70, der für seine Grenzbilder bekannt ist. Er hatte auch die Idee, dass wir mit Künstlern aus Uruguay gemeinsam das Plakat zur Ausstellung malen sollten: ein rotes Deutschland neben ein blaues Uruguay. Das war allerdings eher ,Kinderkram’. Aber es gab eine strenge Erwartungshaltung, und wir wollten nicht enttäuschen. Zuhause hätten wir sicher rebelliert,“ sind sich Susanne Ramolla und Heike Isenmann einig. Aber die Künstler konnten sich auch Wünsche erfüllen. Während Susanne ihrem wilden Pferd die Sporen gab, ließ sich Heike vom Tango verzaubern. „Es war eine Reise fürs Leben. Wie sie sich auf unsere Kunst niederschlägt, können wir nicht sagen. Aber wir kamen so anders wieder, mit so viel Kraft. Und mit der Ausstellung sind wir auch gemeinsam gewachsen – in diesem Land der Möglichkeiten, unserer Liebe auf dem zweiten Blick.“ Montevideo zeigte sich ihnen als ein buntes Chaos mit sprödem Charme. „Wie schön ist diese Andersartigkeit, die einfach beflügelt.“ Ganz besonders beim Ritt durch Eucalyptuswälder oder im Rausch des Tangos.

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