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Kultur: Mit Ernst und Humor

Jeanette Touissant möchte ein Buch über die Geschichte des „Thalia“ schreiben und sucht Zeitzeugen

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Sie buddelt sich durch die Düsternis, um alsbald ihre Kinogeschichte aufleuchten zu lassen. Einiges hat Jeanette Touissant bereits in Archiven ausgegraben, um der Vergangenheit des Thalias auf den Grund zu gehen. Ein Buch soll irgendwann daraus entstehen, vielleicht auch eine Ausstellung und wenn möglich ein Film: eben eine spannende vielgesichtige Kiezgeschichte über das älteste Kino Potsdams, das die großen Zeitläufe durch fünf politische Systeme spiegelt.

Stolz hält die Potsdamer Ethnologin eine Anzeige in der Hand, die sie bereits ausfindig gemacht hat, erschienen 1919 im Adressbuch der Stadt. Darauf ist zu lesen: „Thalia Theater Nowawes, Lindenstraße 34/35. Modernes Lichtspielhaus bietet für Nowawes nur Erstaufführungen von ,hervorragenden Schlagern’“, was wohl Kassenschlager meint. Geworben wird zudem mit „Ernst und Humor“ und „soliden Eintrittspreisen“.

Die Geschichte des Thalias setzt vielleicht sogar schon zwei, drei Jahre früher ein, wie Jeanette Toussaint am Mittwoch im Beisein der Thalia-Crew erzählt, die natürlich das Projekt mit Sympathie verfolgt und auch finanziell unterstützt. Wie auch die Staatskanzlei mit Lottomitteln und die Stadt Potsdam, „wenn letztere nicht gerade mit übermäßigem Anteil“, so Jörg Kwapis vom Verein zur Förderung antimilitaristischer Traditionen. Sein Verein hat bereits Jeanette Toussaints vorheriges Buchprojekt mit angeschoben: über Anni von Gottberg und die Bekennende Kirche in Potsdam, das im April erschien. Während sich derzeit alle auf „Friedrich 300“ stürzen, möchte dieser Verein einen anderen Fokus auf die Stadtgeschichte richten. „Man kann es den Blick von unten nennen“, sagt Jörg Kwapis. Für ihn gehören Kino und Militär durchaus zusammen. „Da muss man sich nur die deutschen Wochenschauen ansehen. Gern wurde Kino benutzt, um Ideologien zu transportieren.“

Wie weit sich letztlich der Blick öffnen kann, um das Thalia in den Höhen und Tiefen seiner Zeit einzubetten, wird sich nach der jetzigen Sammelphase ergeben. Bis Ende Februar will Jeanette Toussaint jedenfalls eine Dokumentation vorlegen, um danach an einem Leitfaden für ihre Publikation zu spinnen. Um das Buch schreiben zu können, muss nach der finanziell gesicherten Recherchearbeit erst einmal neues Geld akquiriert werden. Noch liest sich die Potsdamerin aber durch die Akten und vertraut vor allem auf Zeitzeugen-Gespräche, die sie dringend sucht. Just an dem Tag des Pressegesprächs lief ihr im Kino-Foyer ein ehemaliger Babelsberger in die Arme, der früher Kinovorführer im Thalia war. Auch im Bundesarchiv traf sie auf viele Potsdamer, die ihr interessante Zeitzeugen „zuspielten“. Einer erinnerte sich an ein Konzert mit der Jazzsängerin Wilma Reading und den Saxophonisten Günther Fischer in den 70er Jahren im großen Saal.

Einmalig in der deutschen Kinogeschichte sei natürlich die Nähe zur Filmfabrik Babelsberg, die das Thalia auch zum Ur- und Erstaufführungstheater werden ließ. Aus der DDR-Zeit hat Jeanette Toussaint, deren Familienname auf ihren Großvater zurückgeht, der nach dem Ersten Weltkrieg aus Lothringen nach Babelsberg kam, bereits relativ viel Material gefunden. „Das Gute an der DDR war, jedenfalls in diesem Fall, dass alles zentralisiert wurde.“ Dennoch reiche es nicht aus, in den Archiven nur unter dem Stichwort „Thalia“ zu suchen. Die Fantasie muss auch Querverbindungen erahnen lassen, wie beispielsweise zur SED-Bezirksleitung, die natürlich ihre Finger mit im Kino-Spiel hatte. Sicher nicht immer zum Besten. So gab es im „Thalia“ 1966 zwar die Premiere von „Spur der Steine“, doch ganz schnell verschwand dieser Film wieder im Panzerschrank .

Ob die genaue Geburtsstunde des Thalia-Kinos je ermittelt werden kann, steht in den Sternen. Im Kinoadressbuch des Deutschen Reiches gibt es jedenfalls unterschiedliche Angaben, mal ist von 1916 die Rede, mal von 1918. Es ist aber auch gut möglich, dass schon beim Thalia-Vorfahre, dem „Port Arthur“-Restaurant und Konzerthaus, Filme gezeigt worden sind.

Doch in dem Buch soll es natürlich nicht nur um zeitliche Abläufe oder Baupläne gehen, die Jeanette Touissant auch schon in ihrer Recherchemappe hat. Wichtig sind ihr vor allem die Geschichten drumherum von Zeitzeugen und natürlich Fotos, Plakate oder Illustrierte, die die Vergangenheit erst richtig farbig werden lassen. Und am Ende vielleicht förmlich nach einer Verfilmung schreien.

Zeitzeugen können sich unter Tel. (0331)718296 oder j.toussaint@freenet.de melden

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