Von Almut Andreae: Mit großer Ernsthaftigkeit
Die Brandenburger Malerin Kerstin Seltmann stellt ihre Arbeiten zurzeit im Kunstraum Potsdam aus
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Die Zugvögel brachten Bewegung ins Bild. Mit majestätischen Schwingen, die langen Hälse weit nach vorne gereckt, ziehen sie vor nachtblauem Grund ihre Bahn. Über ein Bild in zwei gleich großen Teilen treibt dieser Vogelzug. Das Ganze hat etwas Feierliches, Meditatives auch. Vielleicht auch deshalb löst das großformatige zweiteilige Bild, dieses Diptychon, eine Empfindung aus, die unterschwellig an ein Altarbild erinnert. Zur Ausstellung im Kunstraum Potsdam ist das exponiert gehängte Werk von Kerstin Seltmann aktuell fertig geworden. Die künstlerische Entwicklung der 1961 in Berlin geborenen und heute bei Baruth lebenden Künstlerin und mehrfachen Stipendiatin beleuchtet die Ausstellung am Beispiel ihres umfangreichen malerischen und zeichnerischen Werkes.
Im Gespräch vor ihren Bildern werden die Geschichten wieder lebendig, die den Anstoß für eine Bildidee oder eine ganze Serie gaben. Ein Spaziergang beispielsweise am Strand von Ahrenshoop wurde zum Auslöser, um sich lange und intensiv mit dem Thema von Tod und Vergänglichkeit auseinander zu setzen. Ein Fund von verendeten Schwänen in Eis und Schnee hat sich Kerstin Seltmann damals unauslöschlich ins Gedächtnis gebrannt. In immer neuen Variationen und Techniken hat die Künstlerin dieses Motiv verarbeitet. In drei großformatigen Leinwänden – ebenfalls zu sehen in der Ausstellung – in denen die Künstlerin die weißen Schwäne im Schnee bereits stark abstrahierte, versinnbildlicht sich eindrücklich dieser Prozess. Sie kommt ursprünglich vom Gegenstand und kehrt nun immer mehr wieder zu ihm zurück, erläutert die Malerin ihre Annäherung und Übersetzung eines Motivs in Zeichnung, Form und Farbe. Oft sind es Tiere, bei deren Anblick sich die Aufmerksamkeit der Künstlerin gewissermaßen einhakt.
Eine Banalität wie die Beobachtung eines über die Fensterbank laufenden Insekts vermag eine lang anhaltende, facettenreiche Entwicklung auszulösen. In der Ausstellung lässt sich das an vielen Stellen sehr schön nachvollziehen. Ein Stillleben mit Fischen, die einmütige Wanderung der Kröten im Frühjahr, der Flug einer Libelle, ein entschlafenes Reh werden zum Ausgangspunkt schöpferischer Prozesse. Wie sehr sie einander befruchten, erweist sich auch in der ausgesprochen malerischen Zeichnung von Kerstin Seltmann und umgekehrt in der graphischen Note, die sie ihrer Malerei auf Leinwand mit Vorliebe gibt. Mit dem Kreidestift zieht sie in die Malhaut und diversen Schichtungen eines Bildes eine die Komposition erst vollständig abschließende Zeichenspur.
Alternativen zum Pinselwerkzeug weiß die Malerin etwa durch die Einarbeitung von Füllmaterial wie Sand und Seetang in die Acrylfarbe zu nutzen. Die unversehrte Oberfläche im Leinwandbild ist für sie offenkundig allenfalls ein Mythos, den es anzukratzen allemal lohnt.
In der Ausstellung, die inhaltlich unter das Motto „Wäre man doch vor dem Menschen geboren“ (Zitat E.M. Cioran) gestellt ist, lässt sich diese Haltung in der fünfteiligen „Basler Fastnacht“ geradezu mit Händen greifen. Doch auch sonst, wenn die Malerin sich etwa mit Deutschland auseinandersetzt oder mit dem Kunstbetrieb abrechnet, entstehen mitunter alles andere als Harmonie verströmende Bilder. Neben einem subtilen Sinn für – teilweise ironisch gefärbten – Humor teilt sich in den Arbeiten von Kerstin Seltmann eine große Ernsthaftigkeit mit.
Zu Eckpfeilern der inneren Befindlichkeit werden da auch die mit Anspielungen arbeitenden, durchaus verstörenden Selbstporträts, wenngleich als solche für den Betrachter oft nicht so ohne weiteres zu erkennen. In ihnen scheint die Künstlerin ihren eigenen Standpunkt immer wieder neu auszuloten. Malerei wird da zur Verdichtung eines Prozesses, der im Medium der Zeichnung vergleichsweise leichtfüßiger, heiterer auch fließt. Verschiedenste Tonalitäten im weitläufigen Experimentierfeld der Zeichnung leuchten im oberen Ausstellungsbereich des Kunstraums auf.
Beschwingt und formvollendet ist die 2008 entstandene Serie „Stenoblock“. Hier gefiel es der Künstlerin, mit Kohle und Deckfarbe auf die Blätter eines linierten Stenoblocks zu zeichnen. So wie das „Küchenbild“ – zu sehen im Geschoss darunter – unter Verwendung eines Handtuchs aus feinem Linnen entstand, schreitet Kerstin Seltmann auch bei ihren Papierarbeiten gerne mit einem gewissem Pragmatismus zur Tat. Der schöpferische Prozess bleibt in seinen konkreten Spuren bis zum Schluss transparent. Und so künden auch die das Küchenbild diskret markierenden Jahreszahlen von seiner allmählichen Genese bis zum finalen Pinselstrich.
Bis zum 11.4. Geöffnet: Mi-So 12-18 Uhr, Schiffbauergasse 4d. 21.3., 16 Uhr: Führung und Künstlergespräch.
Almut Andreae
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