Kultur: Mit zwanzig Männern in gleicher Ehe
„System und Leidenschaft – Linnés Traum und die Ordnung der Natur“ in einer Fotoausstellung im Schloss Glienicke
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Sie kokettieren und spreizen sich in verführerischer Eleganz. Elfenhaft umgarnen sie in tänzerischer Grazie das verheißungsvolle Glück. Die weiße zarte Schmetterlingslilie konzentriert sich dabei ganz auf den Einen. Manche nehmen es mit zwanzig und mehr Männern auf. Wie die Sternmagnolie oder die Mittagsblume. Doch trotz ihrer erotischen Kraft und irisierenden Schönheit wirken die Damen zerbrechlich. Der Hauch von Vergänglichkeit ist spürbar – gerade im schönsten Moment.
24 Blüten bezaubern derzeit auf Fotografien in der Ausstellung „System und Leidenschaft – Linnés Traum und die Ordnung der Natur“ in einer Sonderausstellung im Schloss Glienicke. Was zuerst nur mit seinem äußeren Antlitz für sich einnimmt, dringt bei näherer Erkundung zugleich in tiefere botanische Gefilde. Denn die Aufnahmen von Helene Schmitz sprechen über ein wichtiges Kapitel der Wissenschaftsgeschichte, die der berühmte schwedische Naturforscher Carl von Linné aufschlug. 24 Klassen waren es, in die er die Pflanzen sortierte – je nach Anzahl und Anordnung der Staubgefäße: und da geht es freiweg von der Mono- zur Polygamie. Die Fuchsie beispielsweise gehört laut Linné in die Octandria-Klasse: „Acht Männer im gleichen Hochzeitszimmer mit einer Frau, acht Staubgefäße in einer Blüte mit Stempel“, ist unter dem Fuchsien-Porträt zu lesen.
In den Adelsstand – zum „Fürst der Botanik“ – wurde Carl von Linné dank seines Wissens um die Flora und Fauna erhoben. Er war derjenige, der es sich als erster zur Aufgabe machte, die gesamte Schöpfung zu katalogisieren. „Ein großer Mann kann aus einer kleinen Hütte treten“, schrieb er ganz und gar nicht bescheiden über seine einfache Herkunft. „Der zweite Adam“, wie man ihn nannte, trat aus einem Pfarrhaus heraus und das mit durchaus aufgeklärtem Blick. Keine einengende, kirchliche Prüderie verstellte ihm den Weg. Der Reisende und Entdecker klassifizierte seine gesammelten Pflanzen nach einem Sexualsystem und übertraf damit anno 1735 alles seither Bekannte. Seine „binäre Nomenklatur“ unterteilte die Pflanzen in Klassen, Ordnungen, Gattungen, Arten. So wie wir es aus der Schule kennen. Doch eine Revolution zur damaligen Zeit. „Es ist schwer, sich das vorzustellen. Vergessen Sie alle Bücher, das Internet, alles, was Sie über die Evolution wissen“, versucht Aris Fioretos von der Schwedischen Botschaft den Journalisten zur Pressebesichtigung der Ausstellung das wissenschaftliche Brachland zu beschreiben, das Linné damals betrat. Und zwar im Jahre 1707, im „allerschönsten Frühling, als der Kuckuck den Sommer ausgerufen hatte“. Für Linné war bereits seine Geburt ein Vorzeichen für die bevorstehende wissenschaftliche Blütezeit, die er gemeinsam mit namhaften Größen wie Goethe, Humboldt oder Friedrich den Großen durchschritt. Er sah sich von Gott dazu auserwählt, der Welt den einzigen, richtigen Katalog zu geben.
„Zwischen Schweden und Preußen gab es zu jener Zeit einen regen Austausch, auch von Pflanzensamen“, so Gartendirektor Michael Rohde. Daran knüpft nun auch diese Ausstellung der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg zum 300. Geburtstag von Carl von Linné an, die in Kooperation mit der Schwedischen Botschaft zustande kam und am 14. September in eine hochkarätig besetzte Konferenz mündet. Die Vorträge sollen auch Laien den „Dolmetscher der Natur“ nahe bringen. Zu sehen ist zudem der Dokumentarfilm „Expedition Linné“ von Folke Ryden (2. September), der zeigt, wie neue Generationen im Geiste ihres Wegbereiters forschen und bewahren.
Eine, die sich schon vor längerer Zeit fasziniert in die Fänge des Systematikers Linné begab, ist Helene Schmitz aus Stockholm. Sie nimmt sich in aller Stille des Sexuallebens der Blüten an: „Sachlich und nüchtern, anders als viele meiner männlichen Kollegen, die lieber die schlüpfrigen Eigenschaften herauskehren“, so die Fotografin, die für ihr erstes Buch „blow up“ mit Schwedens renommiertester Literaturauszeichnung, den Augustpreis, nominiert wurde. Zurückgezogen in einem Hotelzimmer auf Teneriffa versuchte sie, den schnell vergehenden Blüten trotz langsamer Kamera beizukommen. Das Resultat dieser Zweisamkeit ist betörend: Sanft und zart wie leise Liebkosungen. Vor schwarzem Hintergrund und eingefasst von schwarzen Rahmen wirken die „Porträts“ ihrer Blüten mit den herausragenden Staubblättern auf den ersten Blick wie Lackmalerei. Die Farben bestechen in leuchtender Klarheit ebenso wie im zarten Pastell. Alles kommt zur Geltung, das kleinste Härchen, das feinste „Adergespinst“. Sie wissen ihre Reize auszuspielen, die holden Schönen: fallen auf, um zu überleben.
Auch der im naturreichen Smaland aufgewachsene Linné fiel auf, Legenden wurden um ihn gestrickt. In einer mit Blumen dekorierten Wiege soll ihn seine Mutter geschaukelt haben. Inzwischen gehört seine Geschichte zum schwedischen Nationalmythos. „Linné verstand die Liebe zur geordneten Vielfalt als Freiheit“, so Aris Fioretos.
17. 8. bis 30.9., Di bis So 10 bis 17 Uhr, Eintritt 4/3 €.
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