zum Hauptinhalt

Kultur: Moment der Entscheidung

Deutsch-rumänische Produktion gewinnt beim Studentenfilmfestival „Sehsüchte“

Stand:

Am Ende ist es eine Frage der Entscheidung. Ein Entschluss, der über den weiteren Verlauf des Lebens anderer Menschen entscheidet. Eine moralische, ja zutiefst ethische Entscheidung also, die in manchen Situationen in kürzester Zeit getroffen werden muss. Dieser Moment der Entscheidung spielt gleich in zwei Siegerfilmen des diesjährigen HFF-Studentenfilmfestivals „Sehsüchte“ eine zentrale Rolle. In dem als bester Spielfilm (5000 Euro) ausgezeichneten Film „Apele Tac“ („Silent River“) von Anca Miruna Lazarescu (HFF München) versuchen im Rumänien der 80er Jahre zwei Männer und eine schwangere Frau die Flucht durch die Donau. Der Vater des Kindes bleibt zurück, die anderen beiden werden von serbischen Grenzern aufgegriffen. Nur als schwangeres Paar haben sie eine Chance, in ein UN-Flüchtlings-Camp zu kommen. Als die Serben die Frau fragen, ob ihr Begleiter der Vater ist, bejaht sie nach kurzem Zögern. Damit hat sie dem Mann das Leben gerettet und ihren zurückgeblieben Mann verraten.

In dem Kurzfilm „Raju“ von Max Zähle (Hamburg School), der am Samstag den Produzentenpreis erhielt (12 000 Euro in Sachwerten an Produzent Stefan Gieren), muss ein deutsches Ehepaar in Indien mit der Tatsache klarkommen, dass das gerade adoptierte Kind kein Waisenkind ist. Vielmehr wurde es gekidnappt, um verkauft zu werden. Die Frau redet auf ihren Mann ein, er soll einfach nicht daran denken, soll mit ihr und dem Kind nach Hause fliegen, schließlich sind sie nun eine Familie. Doch das kann er nicht. Am Ende sieht man ihn mit dem Jungen alleine in einem Taxi, allem Anschein nach auf dem Weg zur richtigen Familie von Raju. Er hat eine Entscheidung getroffen – für den Jungen und gegen seine Frau.

Mit den Konsequenzen ihres Handelns muss sich auch Nadine, eine junge arabische Kirschenpflückerin, in dem Film „Tfarim“/„Stitches“ (Bester Schnitt) auseinandersetzen. Kurz vor ihrer Hochzeit hat sie eine Affäre mit ihrem Kollegen Shachar. Dass sie dabei ihre Jungfräulichkeit verliert, ist für sie von existenzieller Bedeutung. Es könnte sie ihre Zukunft kosten. Schließlich muss sie eine unangenehme und kostspielige medizinische Prozedur über sich ergehen lassen, um den kleinen Verlust wieder zu korrigieren. Der Schein ist hier wichtiger als die Wahrheit.

Der Druck von außen ist es auch, der den kleinen Bellyboy in dem als bester Spielfilm unter 30 Minuten (2500 Euro) ausgezeichneten polnischen Streifen „Twist & Blood“ von Kuba Czekaj in krankhafte Essstörungen treibt. Anstelle dem Sohn Halt zu geben, drängt die Mutter mit ihrem Diätwahn den Jungen in die Enge. Von den anderen Schülern wegen seines Übergewichts gehänselt, flüchtet er in eine Fantasiewelt und verletzt sich mit Rasierklingen selbst. Wenigstens gibt das Bild im Abspann, in dem er mit seinen Eltern geborgen in einer Hollywood-Schaukel sitzt, Anlass zur Hoffnung. Die Produzentin Kinga Klusak, die den Preis in Potsdam entgegennahm, sagte im Gespräch mit den PNN, dass man zeigen wollte, dass Essstörungen auch bei Jungen ein Thema sind. Dass allerdings der Regisseur hier seine eigene Kindheit aufgearbeitet habe, wie in Polen angenommen wurde, treffe nicht zu. Die Idee zu dem Film hat dennoch etwas mit der Biografie des Regisseur zu tun: seine Mutter arbeitet ebenfalls als Diät-Expertin.

Auch die gastgebende Potsdamer Filmhochschule HFF kann sich in diesem Jahr freuen, der Dokumentarfilm UXO – „Unexploded Ordnance“ der HFF-Studierenden Julia Weingarten wurde sowohl als bester Dokfilm (5000 Euro ) als auch für die beste Kamera (5000 Euro in Sachwerten) ausgezeichnet. Der in Vietnam gedrehte Film zeigt die heikle Berufung junger Rekruten, die das Land von der immer noch gefährlichen Munition aus dem Krieg säubern müssen. Mit 71 Minuten ist der Film allerdings etwas zu lang geraten, eine Verdichtung auf fernsehtaugliche 45 Minuten hätte dem Film nicht geschadet.

Genau die richtige Länge hat hingegen der als bester Dokumentarfilm unter 30 Minuten (2500 Euro) ausgezeichnete „Les Enfants de la Mer/Mére“, eine belgische Produktion über das Marine-Internat „Ibis“ von Annabel Verbeke. Sehr deutlich wird hier in 27 Minuten der Zwiespalt der kleinen Jungen zwischen dem Stolz über ihre Ausbildung und dem Fehlen der Familie im Internat. Ein wirklich gutes Zeichen ist schließlich, dass die jungen Zuschauer des Festivals den Kurzfilm „Seppi & Hias“ des deutsch-türkischen Filmemachers Emre Koca zu ihrem Favoriten wählten. Hier findet ein türkischer Junge in der oberbayrischen Provinz zusammen mit seinem einheimischen Freund ganz unaufgeregt zu einer Identität zwischen Herkunft und Heimat. Einer der wirklich wichtigen, aber auch amüsanten Filme dieses Festivals.

In seinem 40. Jahr ist das Studentenfilmfestival der Potsdamer Filmhochschule HFF erneut seinem Ruf als eins der wichtigsten und größten seiner Art gerecht geworden. Auch wenn gerade in den Nachmittagsvorstellungen durchaus noch Platz für mehr (nicht akkreditierte) Besucher gewesen wäre, bleibt aber das Platzproblem im Thalia-Kino für das Rahmenprogramm neben den Filmblöcken. Das Thalia ist zwar das ideale Festivalkino, aber für mehr ist es zu klein. Der Weg in die abgelegene HFF wiederum ist vielen Besuchern trotz Shuttle-Bus zu weit.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })