Kultur: Mörder und Erlöser
Über Sehnsucht und Einsamkeit: „Blaubart – Hoffnung der Frauen“ hat Freitag im T-Werk Premiere
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Ein alter Mercedes steht vor dem T-Werk. Aus der geöffneten Kofferklappe schauen drei grell geschminkte Mädchen heraus. Der Lippenstift ist verschmiert, die Körper scheinen leblos. Gelangweilt steht ein Mann an der Karosse und starrt abgestumpft ins Leere. Er nimmt weder das weibliche Körpergeflecht im Auto, noch die zarte blonde Frau an seiner Seite wahr.
Ein skurriles Bild, das Regisseur Matthias Stier für das Werbeplakat mit seiner Kamera festhält. Er muss sich beeilen, denn es ist kalt draußen, und die Frauen sind nur spärlich bekleidet. Doch gleich geht es im Warmen mit den Proben weiter. Und auch mit der Skurrilität. „Blaubart – Hoffnung der Frauen“ heißt das Stück, das es für die Bühne zu knacken gilt. Es ist nicht die Bechsteinsche Sage von den abgeschlagenen Frauenhäuptern, deren sich der Potsdamer Regisseur angenommen hat. Matthias Stier wählte die sehr freie Adaption der 32-jährigen Berliner Autorin Dea Loher, die aus dem mythenumwobenen Ritter mit dem blauen Bart den bartlosen Damenschuhverkäufer Heinrich Blaubart werden lässt. Dieser Blaubart zieht nicht mit dem Schwert gegen seine neugierigen, ihn immer wieder enttäuschenden Gattinnen zu Felde. Dieser Verkäufer, um den sich die Premiere am Freitag dreht, ist vielmehr Handlanger des herbeigesehnten Todes.
Sein erstes „Opfer“ ist die 17-jährige Julia. Dieses Mädchen lernt er Eis essend an ihrem Geburtstag kennen. Sie zeigt ihm die Liebe: „über die Maßen“. Doch der unerfahrene Verkäufer, der die Liebe noch nicht kennt, weiß nicht mit dieser Liebe über die Maßen umzugehen, mit einer Liebe, für die man sterben könnte. Und Julia stirbt – von eigener Hand, weil sie nicht bekommt, wonach sie sich sehnt.
Trägt Blaubart Schuld an ihrem Tod? Von Selbstzweifeln getrieben, lernt er andere Frauen kennen und wird immer tiefer hinab gezogen: von der Einsamkeit und Sehnsucht dieser Suchenden, deren Strohhalm er ist. Er wird zu deren Mörder – und zum Erlöser.
„Heinrich ist ein leerer, unausgefüllter Typ, er lässt sich benutzen und leistet Sterbehilfe. Ich habe während der Proben oft an den Film ,Das Meer in mir“ gedacht, in dem ein querschnittsgelähmter Mann eine Frau heiratet, nur damit sie ihn umbringt“, sagt Matthias Stier. Für ihn ist Heinrich ein Mann, der andere befreit und sich selbst dabei verliert. „Er wird durch seine Mitleidstaten in die Radikalität getrieben.“
Mit Dea Loher verbindet ihn bereits eine Uraufführung in Eisenach: „Adam Geist“, wofür sie auch einen Preis erhielten. „Ich mag ihre fragmentarischen Sachen, die Raum geben, selbst Dinge zu erfinden. Die Autorin reißt mehr an, als dass sie erklärt. Sie ist nicht so geschlossen und erzählerisch wie Ibsen.“ Mit ihm begann Matthias Stier seine Trilogie der Leidenschaften in Potsdam. Vor zwei Jahren zeigte er bereits im T-Werk „Die Frau am Meer“: „ein Ibsen mal ohne Depressionen.“
Matthias Stier ist nach seiner zwei Jahrzehnte währenden Theater-„Wanderung“wieder zu Hause in Potsdam angekommen. „Hier inszenierte ich Ende der 80er Jahre in der ,Stube“ als einer der Klubleiter mein allererstes Stück: ,Der amerikanische Traum“.“ Nach dem Regie-Studium am BAT Berlin assistierte er bei Siegfried Höchst an der Volksbühne, dann bei Gert Jurgons am Hans Otto Theater, bevor er nach Dresden ging. Seit 1995 ist er freiberuflich und zwischen Rostock und Freiburg unterwegs.
In der Zeit am Hans Otto Theater – kurz vor der Wende – habe er gesehen, dass Theater auch die Stimme des Volkes sein kann. Und dieser Gedanke erfüllt ihn bis heute. Für ihn ist Theater ein politischer Ort, ein Ort, an dem Geschichten hautnah erzählt werden: über Beziehungsleere, fehlendes Selbstbewusstsein, das Nichtmehr–Gefragtsein. „Manche haben sogar verlernt zu sagen, was sie bewegt. Sie fliehen in die Einsamkeit.“ Wie diese Julia, die die schnelle Liebe will und noch gar nichts vom Leben weiß. „Jugendliche lassen sich oft von außen ihre Träume suggerieren und wenn sie nicht dem Bild entsprechen, das ihnen im Kino oder in der Bravo vorgesetzt wird, fühlen sie sich klein. Und hämmern sich mit Musik oder Drogen zu.“ Dieses Stück über Heinrich Blaubart, der am Ende selbst aus Mitleid getötet wird, hat für ihn sehr viel mit dem Leben zu tun, auch wenn es vom Endpunkt aus betrachtet wird.
Und wie wird seine Trilogie enden? „Vielleicht mit Roberto Zucco“, einem Mörder und Selbstmörder, der in einer Welt lebt, in der Gewalt herrscht, die aber nicht wahrgenommen wird. „Noch bin ich mir aber nicht sicher.“ Doch Sehnsucht wird auf jeden Fall wieder die Hauptrolle spielen. So wie jetzt bei „Blaubart“, der in die Hoffnungslosigkeit getriebenen Hoffnung der Frauen.
Premiere: 16. Februar, T-Werk. Weitere Aufführungen: 17., 18. 2, jeweils 20 Uhr.
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