Kultur: Musik, die etwas zu sagen hat Neue Musik aus Israel
im Nikolaisaal
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Nicht was und wie sie gespielt wird ist wichtig, sondern dass sie überhaupt gespielt wird, die „Neue Musik aus Israel“, zu der die Kammerakademie Potsdam am Mittwoch ins Foyer des Nikolaisaals einlud. Verschiedene Handschriften gibt es dabei zu erleben. Doch nicht alles zeigt sich dabei von gleichermaßen überzeugender künstlerischer Qualität. Dennoch lohnt die Begegnung mit hierzulande kaum geläufigen Namen und Stilen. Was auch noch für die vorgestellten Stücke spricht: der größte Teil von ihnen ist von wohltuender Kürze, kaum redselig, dafür umso aussagekonzentrierter gearbeitet.
Wie das Streichquartett Nr. 1 von Josef Bardanashvili (geb. 1948), dem deutliche Anleihen bei Schostakowitsch und Bartok anzuhören sind. Ein sarkastischer Gassenhauer grimassiert dabei zur grell gezeichneten Brutalofratze im Ostinatogewand. Matan Dagan (Violine I), Kristina Lung (Violine II), Jenny Anschel (Viola) und Jan-Peter Kuschel (Violoncello) spielen es mit atemberaubender Intensität. Versonnen wie ein Wiegenlied erklingt das im Leisen endende Largo sostenuto. Gebannt hört man vier Leuten zu, die etwas zu sagen haben und sich nicht hektisch ins Wort fallen.
Ganz im Gegensatz zum Streichquartett Nr. 2 von Carmel Raz (geb. 1982), in dem Geräuschhaftes, das bisweilen an eine Säge erinnert, und Klänge in höchster Lage überwiegen. Dieses Durcheinander der Stimmen erinnert an eine hektische TV-Talkrunde, in der einer den anderen mit provokanten Einwürfen zu übertönen trachtet. In ihrem 3. Streichquartett „Programmmusik“ (2008) lässt sie den Hörer an der tödlichen Krankheit ihres Vaters teilhaben: durch ein quasi musikalisch-klinisches Sterbeprotokoll. Gleitende Klänge im Auf- und Abstrich symbolisieren das Ein- und Ausatmen, Pizzicati den Herzschlag. Als sie ausbleiben und nur noch ein lang gezogener Streichton erklingt, weiß man: Exitus. Ein durchaus unbefriedigender Befund, der auch musikalisch nicht überzeugt.
Glaubhafter dagegen die viersätzige Ballade für Violine Solo von Ben-Zion Orgad (1926-2006), in der jüdische Tradition mit israelischer Kultur, ja auch mit hebräischer Sprache verschmilzt. In der Diskantlage singt sich eine schöne Melodie fast selbstvergessen aus, um kurz danach leidenschaftlich anzuschwellen, zu einem forsch-fordernden Gestus zu finden, schließlich in Zufriedenheit auszuklingen. Ob das 1947 komponierte Stück etwas mit dem Entstehen des Staates Israel zu tun hat?! Matan Dagan spielt ausdrucksstark, was aussagekräftig komponiert ist – eine Hommage an die Harmonie.
Mit glissandoreichen Höhenausflügen beginnen ebenfalls die „Brief Memories“ für Streichtrio von Gilad Hochman (geb. 1982), die gleichsam vergangene Zeiten zu beschwören scheinen. Düster-fragendem Cello-Lamento folgt die trillerreiche Geigenstimme als Antwort, danach wird es aufgeregt, dann elegisch, unruhevoll. Ein Abschiedslied, das wie ein letzter Gruß an eine liebe Person wirkt. Schläft sie den Schlaf der Gerechten oder den der Ewigkeit: danach fragt ein Gedicht von Dalia Rabikovitch, das Noam Yogev (geb. 1974) für seine Novität „Herbst, ungewöhnlich“ für Viola und Zuspielband benutzt hat. Letzteres – mit dem gesprochenen Text, Geräuschen, unterschwelligen Rhythmen und Vogelstimmen – steht im Vordergrund, die Viola liefert nur den Kommentar dazu. Peter Buske
Peter Buske
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