Von Heidi Jäger: Mut und Anmut
Das Kulturland 2010 huldigt Frauen in Brandenburg und Preußen
Stand:
Für Händehalten bleibt im hektischen Klinikalltag keine Zeit. Doch gerade auf dem letzten Weg zum Tod schreit die Seele nach Beistand. Die Potsdamer Autorin Dagmar Scharsich erlebte es schmerzlich, als vor zehn Jahren ihr Vater starb: drei Wochen verkabelt auf der Intensivstation. Sie hätte damals dringend jemanden gebraucht, um über sein qualvolles Abschiednehmen zu reden. Mit diesem Gefühl des Überfordertseins stand sie nicht allein. „Du musst etwas tun“, sagte sie sich damals und begann eine Ausbildung zur Hospizhelferin. Dagmar Scharsich, die heute scheinbar bewusstlosen Patienten leise Lieder vorsingt, mit ihnen betet und spürt, wie sie dabei ruhiger werden, ist eine der vielen Frauen, die das „Kulturland Brandenburg 2010“ prägen. Sie gehört zu den 60 Ehrenamtlichen des Hospiz- und Palliativberatungsdienstes Potsdams, unter denen nur sieben Männer sind. Ziehen Männer öffentlichkeitswirksame Auftritte im prallen Leben einem stillen Dialog vor?
Das Thema „Mut und Anmut. Frauen in Brandenburg-Preußen“ des diesjährigen Kulturlands wirft Fragen auf – und polarisiert. Die Kulturministerin Martina Münch gab bei der gestrigen Pressekonferenz im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte zu, noch über den Zusammenhang des Themas zu rätseln, zumal Mut doch eher den Männern und Anmut den Frauen zugeschrieben werde. Die Schriftstellerin Julia Schoch fragt in dem Begleitbuch zum Frauen-Kulturland, ob es so ein Sonderheft auch zu Männern, zu ihrer Besonderheit, ihrer Einsamkeit, ihrem Wahn geben würde?
Der Blick der Frau von heute ist selbstbestimmt. Längst ist sie aus dem Schatten der Männerdomäne herausgetreten, auch wenn der Lohn im Bundesdurchschnitt noch immer ein Gefälle von 23 Prozent aufweist und die Frauenquote in der Politik mehr als hinkt. Doch so frau will, gibt es Wege, auch ganz oben mitzumischen, Politik sowie Frau- und Muttersein zu vereinbaren. Die Kulturministerin lebt es. Deshalb fühlt sie sich wohl auch vom Leben Bettina von Arnims, auf deren ehemaliges Anwesen in Wiepersdorf am 7. Mai die offizielle Eröffnung vom Kulturland Brandenburg 2010 gefeiert wird, besonders berührt. Schließlich hatte die Literatin, wie die Ministerin selbst, sieben Kinder und engagierte sich in der Politik: „Zu Zeiten, als es noch ungewöhnlich war.“
Zu den Vorkämpferinnen gehörte auch Königin Luise, Mutter von zehn Kindern, deren 200. Todestag der Anlass für das Frauen-Themenjahr ist. Dabei wird ihr Mythos als große Patriotin, die ihren schwachen Mann weit überstrahlte, durchaus auch hinterfragt, wie das karikierte Bildnis mit Pickelhaube und Schnauzer auf den Flyern zeigt: „Ein Hingucker, der auf die Brüchigkeit des Luise-Klischees verweisen soll“, so die Geschäftsführerin vom Kulturland Brandenburg, Brigitte Faber-Schmidt. Da kann man in Paretz ab 31. Juli ganz anders schwelgen: in den schönsten Kleidern der Königin.
Ohne Frauen ist eben kein Staat zu machen. Sie wissen anzuziehen und damit wurden sie auch zu den Magneten der Salonkultur im 19. Jahrhundert, in der schöngeistiger Austausch gepflegt wurde, statt sich dem Kanonendonner auf Schlachtfeldern hinzugeben. Das Frauenzentrum Potsdam belebt ihn nun wieder: diesen kommunikativen Geist und lädt in der „fabrik“ zu „FrauenArt“, dem Salon von heute ein, der am 3. Juni erneut seine Tür öffnet.
Zu den rund 40 Kulturland-Projekten mit etwa 300 Veranstaltungen gehören auch die „Fürstlichen Mütter und Töchter“, die im Museum Alexandrowka ab Juni ins rechte Licht gerückt werden oder aber die „Baumeisterinnen des Sozialismus“, die als Kranführerin oder Architektin die Männerwelt aufmischten. Ihre Rolle soll im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte am 8. April diskutiert werden. Am gleichem Ort wirft die Ausstellung „Sibylle“ ab Mai einen kritischen Blick auf Frauenleitbilder und den Frauenalltag in der DDR und erinnert dabei an eine der begehrtesten Frauenzeitschriften.
Besonders raubeinig oder extrem angepasst erweisen sich Mädchen in der Auseinandersetzung jugendlicher Gangs. Das jedenfalls zeigten die Proben zum Projekt „Break Classics“ der Kammerakademie Potsdam, an dem 120 Jugendliche, darunter auch Insassen der Justizvollzugsanstalt Wriezen, teilnehmen. Wie sich nicht nur das Verhalten der Mädchen im Aufeinandertreffen mit Musikern eines klassischen Orchesters verändert, ist vom 2. bis 4. Mai im Nikolaisaal zu beobachten.
Von Luise über das sorbische Bauernmädchen bis hin zur Kameradin der Freiwilligen Feuerwehr oder bis zur Sterbebegleiterin reicht die Palette der rund 200 Frauen, die im Kulturland 2010 vorgestellt werden oder organisatorisch involviert sind. Dabei bewegen sich Letztere auf dünnem Eis, denn durch die vorläufige Haushaltsführung konnten nur erste Abschläge für Projekte, bei denen es besonders drängte, gezahlt werden. „Gerade bei Veranstaltungen im zweiten Halbjahr läuft bislang alles weitgehend auf eigenes Risiko. Es gehört also schon Mut dazu, Kulturprojekte auf die Beine zu stellen und ohne Anmut ist es oft nicht möglich, Partner zu gewinnen“, so die Erfahrung Brigitte Faber-Schmidts. Womit sie auch die Frage der Ministerin nach Mut und Anmut beantwortet haben dürfte.
Das Begleitbuch „Mut und Anmut Frauen in Brandenburg-Preußen“ ist bei Koehler &Amelang erschienen und kostet 16,90 €. Ein Veranstaltungsüberblick gibt es unter www.kulturland-brandenburg.de
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: