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Kultur: Mutationen

Nur eine Meile voneinander entfernt: Stella Hamberg in der Villa Schöningen, Tal R im Kunstraum

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Wenn man den lavaschwarzen Plastiken von Stella Hamburg gegenüber steht, fahren die Hände aus. Nur schauen geht nicht. Jedenfalls nicht ohne Verlust. Wie will man etwas so Plastisches zweidimensional verarbeiten? Reflexartig möchte man alles berühren, be-greifen, die Finger in die Furchen und Riefen legen, entlangfahren, wo ein Werkzeug Spuren hinterließ. Die kühle Festigkeit streicheln und danach überprüfen, ob nicht doch etwas von der schwarzen Patina auf die eigene Haut abfärbte.

Die Arbeiten der Bildhauerin Stella Hamberg sind eine Wucht. Das Dutzend Bronzeskulpturen verwandelt den Kunstraum Waschhaus in eine seltsame Welt, einen zeitlosen Kontext irgendwo zwischen Urzeit und Zukunft. In dem man ein bisschen verloren ist bevor man den Spaß daran entdeckt, durch Stella Hambergs Kosmos einfach zu wandeln, zu schauen, von allen Seiten wieder und wieder. Immer ist es anders. Immer dreht man noch eine Runde und ist überrascht, wie sich alles wieder neu zusammenschiebt und zueinander verhält.

Die 1975 geborene Künstlerin wird seit einigen Jahren als eine der Großen wahrgenommen und gehandelt. Ihre erste eigene Ausstellung zeigte sie 2011 in Goslar. Studiert hat Hamberg Bildhauerei in Dresden bei Martin Honert. In Berlin hat sie ihr Atelier, wo sie alles selbst macht. Stahlgerüste schweißt, auf die sie dann den feuchten Ton packt und modelliert, nach dem später eine Form für den Bronzeguss entsteht. Der zuletzt mit einer Säure überzogen und gebrannt wird – für diese markante schwarze Patina. Gerade zieht Hamberg innerhalb Berlins um, dichter dran an die Gießerei, als Arbeitserleichterung. Man muss es sich schließlich nicht noch schwerer machen.

Immer wieder ändert sie ihre Ausdrucksweise. „Neutron“ heißt die Gruppe, die sich jetzt im Kunstraum und im Skulpturengarten der Villa Schöningen zeigt. Mit grob gespachtelten Oberflächen. Mannsgroße Stücke, in denen tierische Formen mit Mutationen, Mythischem und Menschlichem verwachsen. Je nach Standpunkt dominiert das eine oder andere. Festgelegt ist nichts. „Ich mag es, alles zu hinterfragen, Bilder, Wahrnehmungen, Erwartungen“, sagt Hamberg. Nebeneinander stehen der niedliche plustrige Kiwi, das weit offene, brutal bezahnte Haifischmaul, Adler, die im schwarzen Korpus wie Ölpestopfer aussehen, Pferd und Reiter, die an Rodin erinnern. Im Garten der Villa Schöningen der dreiköpfige überdimensionierte „Hund“ mit einem Wirbelschwanz – feindlich.

Für die Objektausstellung von Tal R in der Villa Schöningen wurden dort erst einmal die Fenster zugehängt. Dunkel muss es sein, damit die Dinge im rechten Licht stehen. Der Künstler aus Dänemark hat Dutzende Lampen so aufgestellt, dass Schatten und Lichtspiele entstehen. Im Halbdunkel taucht der Besucher in eine Welt obskurer Dinge, bunter Gewächse und Gebilde, von denen sich einige bewegen oder Geräusche machen. Ein Panoptikum aus dem Baukasten eines Verrückten?

„Wenn ich verrückt bin, dann ist auch der Torwart einer Fußballmannschaft oder ein Bürgermeister hinter seinem Schreibtisch verrückt“, sagt Tal R. Verrücktsein ist Ansichtssache. Und zitiert einen Songtext, Titel der Ausstellung: „The night you can't remember is the night I can't forget“. Was du nicht erinnerst, kann ich nicht vergessen.

Alles war mal Schrott, sagt Tal R zu seinen Dingen. Er schafft aus Holz, Textilien, Pappmaché und Metallresten, aus realen Gegenständen wie Turnschuh und Fahrradteilen, Neues. „Die Dinge wollen etwas sein, etwas anderes als sie waren. Sie suchen ihre Geschichte“, sagt der Macher. Der ihnen gleichsam mehrere Geschichten gibt. Die reale Form und ihre Wirkung, ihr vergrößerter, verzerrter oder gar sich bewegender Schatten und das Klangbild. Es rattert und klimpert hier und da wie in einem geheimnisvollen Kunstkabinett. Die beiden Arme der stetig sich drehenden Installation „Revolution“ rotieren nimmermüde im Kreis, gefangen, ziellos, wirkungslos, es sei denn, man passt nicht auf beim Rundgang und wird angestupst. Ein Gitarrenkorpus wird zum Gesicht, verbunden mit einem zweiteiligen Pappmachéschaum – Lungenflügel oder Hirnhälften? Das Kinderhöschen wird umgedreht und zu einem bunten Kopf, die hängenden Hosenträger sehen aus wie dünne Beinchen. Mitten drin im Raum: ein grünes Monster, ein Krake mit ethnischem Muster im Gesicht – der Kopf aufgespießt.

Tal R hat im Kopf meist erst die Idee. „Dann überlege ich, wie ich das umsetzen kann“, sagt er. Als Kind sei er überhaupt kein Bastler gewesen, interessierte sich für Gokarts. Eines Tages, er war 18, war das Auto kaputt – „und ich musste mir was Neues zu tun suchen.“ Vier Tage lang baute er jetzt die Ausstellung auf. Den Besuchern zusehen, wie sie da durch gehen, will er nicht. „Ich ziehe mich dann lieber zurück in meine eigene Fantasiewelt.“

Eröffnung der „Kunstmeile“, Stella Hamburg im Kunstraum in der Schiffbauergasse und Tal R in der Villa Schöningen an der Glienicker Brücke, am heutigen Samstag von 11 bis 19 Uhr

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