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Kultur: Naturlichtspiele

Freiluftkino in der Alexandrowka

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Zu diesem Filmerlebnis gelangt man durch ein Gartentor. Es gibt in Potsdam Open-Air-Kinos auf steinigen Plätzen. Das entrückende Gefühl, dem sattfeuchten Gras, den Käfern, Bienen und Vögeln nah zu sein, und doch gleichzeitig einen Film zu sehen, verschafft einem aber nur die Wiese des Museums in der russischen Kolonie. Am Samstag lag viel Feuchtigkeit auf dem einladend gestutzten Gras. Unter jedem Apfelbaum steht auf einem Emailleschild die Sorte. 500 verschiedene sind auf dem Gelände verteilt. Die Sonne war noch nicht ganz untergegangen.

Hunderte Klappstühle, arrangiert vor einer mobilen Leinwand. Zurückhaltend ist das Volumen der Boxen. In dieser Kulisse wird kein Krach zugelassen. Hinter der Projektionsfläche weitere Obstgärten, über den Baumkronen die Villen der Puschkinallee. Die Straßenbahn, die um das Museumsdorf einen eleganten Bogen zieht, sieht aus wie ein großer Glühwurm, der das grüne Kino langsam umkreist. Ein Grillstand, den die freundlichen Museumsleute betreiben, bietet Buletten und Wurst. Getränke. Alles wirkt sehr familiär und herzlich. Man merkt: die Kooperation zwischen Alexandrowka-Haus und Filmmuseum ist keine erzwungene.

Dann beginnt der Film, „Záhrada - Der Garten“, von 1995, aus der Slowakei. Und weil die Leinwand auf Gras steht, und weil überall auch Obstbäume stehen, wirkt der Garten, den der stille Aussteiger Jakub im Film bewohnt, wie eine unwirkliche Verlängerung der Szenerie. Als ob aus einem Stück Alexandrowka-Garten ein Film geworden wäre. Die Äpfel, die auf Jakubs Bäumen hängen, könnten auch hier hängen. Zwischen Leinwand und Landschaft verschwimmt die Grenze. Da fliegt eben noch eine Fledermaus, und Jakub, dieser Sonderling, liest im Tagebuch seines Großvaters, wie lüstern diese Viecher bei der Paarung sind. Und als es im Filmparadies einmal regnet, und Jakub in dem verfallenen Bauernhaus Töpfe unter die Ritzen im Dach stellen muss, wundert man sich kein bisschen. Da ist wohl nur eine der Regenwolken aus der Nacht über die Leinwand geweht. Und weil diesem netten Jakub den ganzen Film über nicht wirklich etwas passiert, außer, dass er ein junges Mädchen kennen lernt, fügt sich die Handlung ebenso wie ein passendes Puzzelteil in den Abend. Denn auch hier passiert beim Kino-Gucken nicht viel, außer, dass sich Paare unter den Regenschirmen zärtlich berühren.

Eine verblüffende Synchronizität zwischen Filmgarten und Russengarten entsteht so. Und sie funktioniert auch andersherum. Die Aura von Jakubs Garten mit den seltsamen Besuchern überträgt sich wieder zurück auf das Gartendenkmal, das für zaristische Sänger angelegt wurde. Die Parallelen laufen aus der Leinwand hinein und gehen wieder hinaus. Irgendwann erlebt Jakub seinen Vater, der ihm wegen seines ziellosen Lebens schwer zusetzt, völlig verändert. Die beiden werden, versöhnt nach so viel Streit, laut singend aus einer Raststätte geworfen. Steht nicht am Ende des Museumsgartens eine große Holzfigur dreier der Hofmusikanten?

Der Film von Regisseur Martin Sulik firmiert als märchenhaft-philosophische Komödie. Mit der Auflösung der cinematografischen Grenzen wie sie nur in so einer Idylle wie der Alexondrowka möglich war, wird er nicht gerechnet haben.

Erst im nächsten Jahr soll das Experiment, Kino im Museumsgarten zu zeigen, wiederholt werden. Wenn dann die Filmauswahl ähnlich glücklich erfolgt, kann Kino, das sonst eher im Ruf steht, Illusionsräume zu schaffen, zeigen, dass es auch die Kraft hat, die Natur zu beleuchten.

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