Von Heidi Jäger: Neu entdeckte Bilder
„Geheimnisvolle Orte“. RBB-Dokumenation über das Potsdamer Stadtschloss läuft am Dienstag
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Noch liegen die Götter am Boden. Weggesprengt, weil sie nicht ins Bild passten. Die Zeiten haben sich geändert. Auch Götter dürfen sich wieder erheben. Spätestens 2013, wenn der Brandenburgische Landtag seine Arbeit im „neuen“ Stadtschloss beginnt, sollen auch die wenigen geretteten Sandsteinplastiken ihren angestammten Platz einnehmen.
Die Dokumentation „Geheimnisvolle Orte“, die am Dienstag im RBB ausgestrahlt wird, versucht schon mal vorab dem Stadtschloss seine Herrlichkeit zurückzugeben. Während derzeit die Risse im Fortunaportal heftig diskutiert werden, hielt das Stadtschloss in seiner rund 400-jährigen Geschichte ganz anderen Zerreißproben stand. Bis der Sozialismus das „Preußentum“ tilgte. Dem wechselvollen Leben des Schlosses, dem immer wieder neue Kleider angelegt wurden, macht dieser 43-minütige Streifen in dokumentarischen und fiktiven Bildern sehr anschaulich seine Aufwartung.
Zu sehen sind in dem geschickt montierten Zusammenschnitt erstmalig neu entdeckte Amateurfilmaufnahmen eines US-Touristen aus dem Jahr 1940, die das völlig unzerstörte Potsdam in Farbe zeigen. Ebenfalls erstmalig im Fernsehen: Farbaufnahmen der prachtvollen barocken Innenausstattung des Schlosses. Aufwendige Computeranimationen lassen zudem das Stadtschloss in seinem ursprünglichen Zustand von 1662 und 1755 wieder aufleben und erzählen von einst glanzvollen Zeiten. Doch nicht nur die Blüte darf sich filmisch entfalten: Bislang unbekannte Filmszenen aus Privatbesitz veranschaulichen auch die Zerstörung Potsdams an einem sonnigen Frühlingstag 1945 durch 724 Bomber in nur 20 Minuten und die Sprengung 1960 durch Preußen-Hasser Walter Ulbricht.
Autor diese Reprise ist der Historiker und Dokumentarfilmer Joachim Castan. Was machte es für einen Osnabrücker so interessant, sich mit Potsdams Geschichte akribisch auseinanderzusetzen? „Meine Vorfahren lebten von 1788 bis 1933 am Wilhelmplatz 19, genau dort, wo heute die Wilhelmgalerie steht. Sie konnten von ihrer Wohnung bis zum Fortunaportal sehen. Die Schwester meines Urgroßvaters war besonders stolz darauf, dass sie immer zum Kaisergeburtstag eingeladen wurde. Sie gehörte als Tochter eines Fabrikanten zu den Damen der Gesellschaft,“ erklärt der Historiker sein Potsdam-Faible. Seit 1990 ist er nun selbst in Potsdam unterwegs und trug dem RBB seine Geschichte über das Stadtschloss an, nachdem er die Querelen über das Pro und Contra der Wiederaufbaus verfolgt hatte. Nach Material musste er nicht lange suchen, denn Joachim Castan verfügt selbst über ein stattliches Filmarchiv mit 3000 Rollen, das von Guido Knopp ebenso „angezapft“ wird wie vom Simon Wiesenthal Center in Los Angeles. Neben Berlin und München ist auch Potsdam darin gut vertreten. Angekauft hat er die Filme aus Nachlässen von Amateuren und deren Erben. Kurz nachdem er den Zuschlag für den RBB-Film bekommen hatte, stieß er auf zwei Filme von 1929 und 1936. Letzterer zeigt wehende Hakenkreuzfahnen über Potsdam und die aufmarschierende Wehrmacht.
Auch auf Farbdias mit Innenansichten aus dem Jahr 1943 ist er gestoßen. „Das war eine ganz heiße Kiste. In dem großen Werk von Hans-Joachim Giersberg über das Stadtschloss sind zehn dieser Farbbilder zu sehen, mit dem Hinweis, dass sie von Peter Cürlis stammen. Es war aber nicht zu lesen, wie Cürlis dazu gekommen ist. Ich fragte mich, was einen 19-Jährigen im Jahr 1943 veranlasst haben könnte, dort zu fotografieren und warum er nicht an der Ostfront war.“ Der Filmemacher kam dem Geheimnis durch langwierige Recherchen auf die Spur: „Das Fotografieren der Wand- und Deckendekorationen in allen Monumentalbauten geschah im Auftrag von Hitler und Goebbels. Im Hinblick auf eine mögliche Zerstörung ließen sie alles Wertvolle dokumentieren, natürlich geheim, denn sie konnten ja nicht kundtun, dass die Ratten schon beginnen, das sinkende Schiff zu verlassen.“ 184 Fotos entstanden in dieser „Nacht- und Nebelaktion“, die nun beim Verein der Freunde der Preußischen Schlösser und Gärten Berlin und im Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München aufbewahrt werden.
Trotz der vielen Filmszenen, die Castan miteinander verschmelzen ließ, fand er es für den Betrachter schwierig, einen Überblick über die Gesamtstruktur des Schlosses zu bekommen. Und so entwickelt er gemeinsam mit der Kunsthistorikerin Sybille Herkner aus Bamberg zwei Computermodelle. Das eine zeigt das Schloss im Bauzustand des Großen Kurfürsten 1670. „Es ist in seinen Ausmaßen total unterschätzt worden. Selbst der Prinz von Preußen, den ich für meinen Film interviewte, sprach von einem kleinen Schlösschen.“ Diese Annahme wird nun bildkräftig widerlegt.
Das zweite Modell zeigt das Schloss im Jahr 1747. Um die Farbgebung authentisch widerzuspiegeln, nahm die Kunsthistorikerin Proben der Fundstücke und ließ eine Spektralanalyse anfertigen.
Doch der Film bleibt nicht an der Architektur „kleben“. Auch über das Leben am Hofe wird teils mit szenischen Einlagen erzählt. Da rückt der Große Kurfürst ebenso ins Bild wie Luise, die sich in ihrer schlichten eleganten Wohnung im Stadtschloss vom intriganten Berliner Hof erholte.
Friedrich I. huldigte indes barockem Prunk auf Pump, obwohl die Kassen leer waren. Er ließ sich ein Badezimmer einbauen mit Wasserhähnen aus bronzenen Delphinen, in dem er sich sitzend waschen und pudern ließ. Das hatte nicht mal der Sonnenkönig zu bieten.
Friedrich II. warf dem Schloss wiederum ein neues Kleid über: nunmehr in der Eleganz des friderizianischen Rokoko. Aber auch an sein körperliches Wohlbefinden dachte er und baute sich eine Heizung ein. Ein Drachenkopf spuckte die nötige Wärme für kalte Füße aus. Sein Herz erwärmte er indes an der Primaballerina Barbarina aus Italien, für die er sogleich ein Theater schuf. Voltaire spöttelte indes, dass er die Schöne nur wegen ihrer Mannsbeine bewundere.
Für Kurzweil in dem Film sorgen nicht nur nette Anekdoten, sondern auch spannende Zeitzeugenberichte, vor allem von dem 94-jährigen Wilhelm Stintzing, der schon 1919 durch das kaum mehr beachtete Schloss stromerte und die doppelte Vernichtung erlebte. „Ab 1860 gerät das Stadtschloss immer schneller in Vergessenheit und war vor 1945 für die meisten Potsdamer und fast jeden Touristen ein unbekannter Ort. Doch durch den Film ist mir klar geworden: Sanssouci war eine unbedeutende Sommerfrische – während im Stadtschloss preußische und europäische Geschichte geschrieben wurde“, sagt Joachim Castan. Nicht nur die Götter werden ihm da Recht geben.
Die Dokumentation wird am 12. Oktober im RBB um 20.15 Uhr ausgestrahlt. Die DVD erscheint im November und enthält weiteres bislang unveröffentlichtes Bildmaterial. Sie wird im PNN-Shop für 16.95 Euro erhältlich sein.
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