Kultur: Nicht jugendfrei
Die rekonstruierte Fassung von „Der Totentanz“ hat Sonntag Premiere / Filmmuseum zeigt bislang unveröffentlichte Standfotos
Stand:
Ihre Erotik war legendär. Wenn Asta Nielsen ihre Hüften kreisen ließ, bekamen es die Zensoren mit der Angst zu tun. Ihr mimischer Film „Der Totentanz“, zu dem am morgigen Sonntag genau vor 100 Jahren die erste Klappe in Babelsberg fiel und der den Filmstandort begründete, wurde als nicht jugendfrei eingestuft. Wie aufreizend die dunkeläugige Dänin darin tatsächlich war und mit ihrem Bauchtanz die Zuschauer bezirzte, kann man nur erahnen. Gerade mal zwei Sekunden von ihrem schwungvollen Auftritt im schwarzen engen Abendkleid sind noch erhalten.
In der rekonstruierten „Totentanz“-Fassung, die Sonntag erstmals in der Berlinale-Gala der Filmstudios und kommenden Montag öffentlich im Filmmuseum zu sehen sein wird, sind es immerhin 15 Sekunden. „Wir haben mit allen Tricks gearbeitet, um das kreisende Becken der schlanken Schönheit wenigstens etwas auszudehnen“, so der Leiter des Filmmuseums München, Stefan Drößler, der für die Montage der Filmrekonstruktion verantwortlich zeichnet. Einer der Tricks, zu dem er griff, um nicht nur diese Lücke des stark „durchlöcherten“ Fragments zu schließen, war die Kombination der laufenden Bilder mit Standfotos. Die wurden erst vergangenen Sommer entdeckt und zwar im eigenen Haus: Im Archiv des Münchner Filmmuseums lagerte unbemerkt ein grünes, sehr ansprechendes Fotoalbum, vermutlich das Erinnerungsstück eines an der „Totentanz“-Produktion Beteiligten. 48 der 50 durchnummerierten, gut erhaltenen Fotos waren noch eingeklebt.
Die Reproduktionen sind nun erstmals in der Ausstellung „Asta Nielsen in Babelsberg“ zu sehen: ab Montag im Potsdamer Filmmuseum. Etwa die Hälfte der dort gezeigten Standfotos konnte auch für die Rekonstruktion des Films verwendet werden. Die anderen waren nicht identisch mit den Dreheinstellungen und dienten allein der Werbung. Dennoch sind dank dieser Standfotos extrem große Lücken des Filmüberbleibsels gefüllt worden, ohne sie ganz beseitigen zu können. Doch der Inhalt lässt sich nun durchaus erschließen. Von 900 Metern „Totentanz“ – diese Länge stand in den Zensurakten – waren nur 400 Meter erhalten und die zum Teil im katastrophalen Zustand. Heute lässt sich die Länge der wiederhergestellte Fassung auch zeitlich genau bemessen: 36 Minuten sind es digital geworden. Für das Original wurden damals laut Werbeplakat 60 Minuten veranschlagt. „Doch das will nichts heißen. Bei der Aufführung einer Mozart-Sinfonie kann man auch nicht sagen, wie lange sie genau dauert. Das hängt vom Dirigenten ab. Und beim Film hatte der Vorführer alles in der Hand, der die Filme kurbelte und zwischendurch die Rollen wechseln musste“, sagt der Filmwissenschaftler.
Das einzig erhaltene „Totentanz“-Fragment ist eine russische Verleihkopie, mit russischen Zwischentiteln und falsch hinein kopierten Szenen aus einem anderen Film, die ein verschneites Dorf zeigen. Die gehörten mit Sicherheit nicht hinein, in den von Urban Gad gedrehten „Totentanz“, der zwischen prasselndem Kaminfeuer und Bühne spielt. Er erzählt von der attraktiven Sängerin Bella, deren Mann bei einer Kesselexplosion schwer verletzt wird, und die, um Geld zu verdienen, singend, tanzend und Laute zupfend mit dem jungen Komponisten Czerneck herumreist. Als Czerneck sie vergewaltigen will, greift Bella zum Messer und durchtrennt mit Wolllust und Grauen dessen Kehle.
Anhand von Programmzetteln und Übersetzungen konnten an die 40 Zwischentitel rekonstruiert werden, die erhellend durch die heute noch spannende Dreiecksgeschichte führt. Spannend natürlich auch durch die 100-jährige Verfalls- und Wiederbelebungsgeschichte, die man bestens ablesen kann in dem teils wie von Nebelschwaden überzogenen laufenden Bildern und den dazwischen montierten klaren Standfotos. Auch Kameraskizzen, Zeitungskritiken und vor allem das Drehbuch aus dem Nachlass von Urban Gad, der mit seiner Frau Asta Nielsen 24 Filme drehte, halfen mit, den Streifen nachzuformen. „Man interessierte sich damals nicht für eine ordentliche Lagerung. Filme waren für den schnellen Gebrauch bestimmt. Wenn sie ihr Geld eingespielt hatten, wurden sie entsorgt. Zudem war das Material hoch feuergefährlich und schon bei 40 Grad entflammbar“, so Drößler. Er sei bei der Rekonstruktion wie Archäologen vorgegangen, die einzelne Scherben bergen und versuchen, zu erahnen, wie das Gefäß ausgesehen haben könnte.
Um den Film zu „kitten“, habe auch die Musik sehr geholfen, so der Stummfilmexperte. Komponiert wurde sie von Günter A. Buchwald, der eine mit Tangoklängen der Zeit durchwobene Musik entwickelte. Buchwald schrieb eine Orchesterfassung für das Filmorchester Babelsberg, die er zur Premiere am Sonntag selbst dirigieren wird. Im Filmmuseum begleitet indes Improvisationstalent Peter Gotthard die Aufführung: allein am Klavier, so wie damals bei Stummfilmen üblich. Der mit der Orchesterfassung unterlegte „Totentanz“ wird für jedermann auf DVD erhältlich sein, voraussichtlich ab Herbst. „Die Musik hilft sehr, Sprünge zu überbrücken und dramaturgische Bögen zu ziehen. Die Schäden kann man damit zwar nicht beheben, aber sie fallen nicht mehr so ins Gewicht.“ Auch Farbe bringe Struktur und Ordnung hinein. Drößler hat die Szenen nach dem selben Muster eingefärbt, wie es damals üblich war. Das Zuhause von Bella am Kamin ist nun gelb, das Krankenhaus, in das ihr verunglückter Mann eingeliefert wird, grün, die Liebesszenen rosa. „Das Fernsehen wird ihn dennoch als nicht sendefähig einstufen. Aber wir halten nichts davon, alles auf Hochglanz zu polieren. Die historische Aura des Materials soll in Maßen durchaus noch bewusst werden“, betont Drößler.
Auf einem der für den rekonstruierten Film verwendeten Standfotos ist auch ein Stück des Glaspalastes zu sehen, in dem gedreht wurde und der extra für Asta Nielsen erbaut wurde: für den ersten europäischen Filmstar, mit dem sich viel Geld verdienen ließ und für den eine große Werbemaschine angeworfen wurde. Auch von anderen Filmen, die mit ihr unter dem lichtdurchfluteten Dach oft in brütender Hitze gedreht wurden, gibt es in der Foyer-Ausstellung Szenenfotos. Und zudem ein großes besticktes Umschlagtuch in leuchtenden Regenbogenfarben, das die Schauspielerin in mehreren Filmen trug und das sie am Ende auf ihrem Wohnzimmertisch in der Berliner Wohnung ausbreitete. „Das Tuch zeigt, wie privat der Film damals noch war“, so die Kuratorin der Foyerausstellung, Renate Schmal.
Die Filmkarriere Asta Nielsens, eines der ersten Sexsymbole, endete mit dem Tonfilm. „Avancen von Propagandaminister Goebbels, der ihr eine eigene Filmfirma anbot, lehnte sie ab“, sagt Renate Schmal. Asta Nielsen, die viele jüdische und linke Freunde hatte, ging 1937 zurück nach Dänemark und startete nach 1945 eine zweite Karriere: mit künstlerischen Stoffcollagen, in denen sie sich auch selbst porträtierte. Unter anderem als weiblicher Dänenprinz Hamlet. Auch diese textilen „Standbilder“ waren von sinnlichem Reiz. Doch garantiert jugendfrei.
Foyerausstellung „Asta Nielsen in Babelsberg“ ab Montag, 13. Februar, 20 Uhr, Filmmuseum, Breite Straße 1 A. Zu sehen ist zudem der rekonstruierte Stummfilm „Der Totentanz“ (1912), begleitet am Klavier von Peter Gotthard. Einführung Stefan Drößler. Karten unter Tel. (0331)27181-12
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: