
© Andreas Klaer
Kultur: Noch Leben in der Gasse?
Die Schiffbauergasse hat sich in den vergangenen Jahren verändert wie kaum ein anderer Ort in Potsdam. Aus dem alternativen Kulturstandort mit seinem maroden Charme ist das „Zentrum für Kunst und Soziokultur“ geworden. Doch die Veränderungen sind nicht ohne Probleme geblieben
Stand:
Rund 50 Millionen Euro hat die Sanierung der Schiffbauergasse gekostet. Hans Otto Theater und „fabrik“, T-Werk und Galerie Kunstraum, Museum Fluxus+, Waschhaus und Trollwerk Production GbR – Kultur gibt sich geballt an diesem Ort. Doch trotz der schönen Fassaden, Potsdams Vorzeigekulturstandort steht seit Jahren in der Kritik. Zu wenig Geld für die Inhalte, zu wenig Leben in der Schiffbauergasse. Manche reden sogar davon, dass der Standort totsaniert wurde. Alles übertrieben oder doch leider wahr? Die PNN wollen in den kommenden Wochen nicht nur Künstler unter dem Motto „Was wünsche ich der Schiffbauergasse“ zu Wort kommen lassen. Auch Sie, die PNN-Leser, sollen sich äußern, mit Kritik oder Lob. Zum Auftakt schildern vier PNN-Redakteure ihre Sicht auf den Standort Schiffbauergasse.
Sie ist steinig. Was an der Schiffbauergasse auffällt, ist das Übermaß an Pflaster, Beton und Asphalt und der Mangel an Leben. Alles riecht neu. Es fehlen Bäume und zumindest am Tage die Menschen. Am meisten fehlen die Ideen, die den Ort zu dem machen könnten, was er sein soll: Potsdams Kulturviertel. Denn die, die sie haben sollten, sind nicht da. Wo sind die bunten Vögel, die Künstler, die Verrückten, die jungen Wilden, die gegen das Althergebrachte aufbegehren? Keine Ahnung. Ab und zu melden sich einige zu Wort, die dazugehören wollen. Meistens schimpfen sie: Die Schiffbauergasse sei tot saniert, alles zu ordentlich, zu brav. Die Subkultur habe dort einfach keinen Platz mehr.
Um es vorsichtig auszudrücken: Das ist Quatsch! Es ist elitäres Gehabe! Subkultur ist doch genau dann spannend, wenn sie der sogenannten Hochkultur begegnet, wenn beide sich aneinander reiben können. Die Schiffbauergasse wäre der ideale Ort dafür. Die Hans Otto Theater-Besucher in Abendgarderobe sind schon da. Und auch die Besucher in T-Shirt und Jeans, die ins T-Werk gehen oder in die fabrik, in die Reithalle, in den Kunstraum oder ins Waschhaus. Aber für diejenigen, die auf keinen Fall zum Mainstream gehören wollen, scheint seit Jahren ein ungeschriebenes Gesetz zu gelten: Sanierungen loben verboten! Auch wenn es nicht zu übersehen ist, dass die Stadtverwaltung bei der Sanierung der Schiffbauergasse Fehler gemacht hat und wohl noch machen wird. Sie ist ein spannender Ort.
Ihre riesigen Innenhöfe und Vorplätze haben etwas italienisch Entspanntes. Und neben all dem Baustaub kann man auch das Wasser riechen. Vor der Weite des Tiefen Sees fühlen sich die Gedanken freier. Es ist genau der richtige Ort für Andersdenker: Sie müssen nur die Gesetze sprengen, auch die ungeschriebenen. Sie müssen das Pflaster der Schiffbauergasse endlich erobern, mit Kunst und Blumen, Caféstühlen und Sonnenschirmen. Juliane Wedemeyer
Einfach mal rüber zur Schiffbauergasse – das kommt wohl den wenigsten Potsdamern in den Sinn. Das Leben auf dem Gelände an der Berliner Straße wird für Besucher von den Terminen bestimmt, die im Kulturkalender der Stadt zu finden sind. Sicher, das Schiffsrestaurant „John Barnett“ und das italienische Restaurant „Il Teatro“ in der Zichorienmühle laden auch außerhalb der Kulturangebote zum Verweilen ein – aber auch diese Orte steuert der Gast zumeist gezielt an. Nur wenige spontane Besucher verirren sich in das Areal an der Berliner Straße. Leider: Die Schiffbauergasse ist – anders als geplant – kein lebendiger Ort geworden. Die vielen Millionen Euro, die dort investiert wurden, haben die Gebäude vor allem den Denkmalvorschriften angepasst, aber offenbar nicht den wirklichen Bedürfnissen von Kulturschaffenden und Gästen. Das Gelände zeigt sich nur vom und am Wasser von seiner schönen Seite, und wer will schon zwischen kaltem Beton, der hässlichen Rückseite des Theaters und glattsanierten Fassaden flanieren?
Genau da liegt auch die Chance, die Schiffbauergasse zu einem lebendigen Ort werden zu lassen. Denn hinter den Mauern der sanierten Häuser steckt das Potenzial – das raus muss. Die Schiffbauergasse gehört wieder ganz in die Hände derjenigen, die die verlassenen Gebäude einst besetzten und damit überhaupt erst die Voraussetzungen für die Idee des integrierten Kulturstandortes möglich machten. Mehr Kino, mehr Freiluft-Veranstaltungen, mehr Kunst im Raum und Platz für junge Künstler, die sich beweisen wollen. Sportveranstaltungen. Familiennachmittage mit Möglichkeiten zum Toben für die Kinder. Läden, die zum Stöbern einladen. Und vielleicht noch eine richtige Kneipe mit Dart und Billard. Farbe an die Wände. Die Schiffbauergasse braucht – neben der Kunst als Markenzeichen – Alltagsleben. Dann kommen sicher viel mehr Potsdamer auf die Idee, eben mal rüber in die Schiffbauergasse zu wollen.Michael Erbach
Das kalte Eisen der Baggerzähne frisst sich unnachgiebig in das morbide Dach des Fischhauses. Der Todesstoß für das letzte Relikt aus wilden Zeiten. Der Abriss dieses bunt besprühten Häuschens in der Schiffbauergasse, in dem fast 20 Jahre geprobt, getanzt, gefeiert wurde, lässt den Atem stocken. Ist damit alle Anarchie dem Erdboden gleich gemacht? Der Begriff des Plattsanierens ist schon lange in aller Munde. Mahner, die genau das befürchteten, was jetzt einzutreten droht, gab es immer. Nun ist das Geld verbaut, dominiert ein Parkhauskoloss das Bild des Kulturstandortes. Das Theater öffnet nur zum Wasser seine Pracht, die Augen irren orientierungslos an hohen Mauern entlang. Überall stößt der Besucher auf einen anderen Stil, als hätte Baumeister Zufall gewütet. Der Vorplatz des Waschhauses mutet trotz Sommermöblierung und einem Sechs-Bäume-Wald noch immer an wie die Endstation Sehnsucht mit dem digitalen Busfahrplan als markanteste Gestaltung.
Um das Häuserwirrwarr zu entflechten, gibt es inzwischen zwar tatsächlich ein Leitsystem, aber das erhellende Licht in der Dunkelheit lässt weiter auf sich warten. Noch ist ja Sommer. Und da fällt ohnehin alles ins Loch. Das Theater probt zwar fleißig hinter verschlossenen Türen an seinem herbstlichen Premieren-Boom, doch drei Monate bleibt der Zuschauer ohne „Futter“. Fabrik und Waschhaus halten wacker die Stellung und werfen wenigstens einige Krumen in hungrige Kulturmäuler, doch satt wird davon keiner. Eine Kulturoffensive ist gefragt: Alle Türen auf. Jeder muss das Gefühl haben, er könnte etwas verpassen, ist er nicht dabei. Erst wenn die Mundpropaganda nicht mehr vom Glattsanieren spricht, sondern vom Leben danach, hat der Kulturstandort wieder seine Legitimation. Und dazu sind statt Parktaschen-Schraffierung auch Kunstwerke gefragt, die aufschrecken, verstören, provozieren. Anarchie im besten Sinne. Heidi Jäger
Eine lange Party-Nacht im Waschhaus braucht Raucherpausen. Dann müssen die Besucher vor die Tür – und blicken immer auf das gleiche Ärgernis: Ein mehrstöckiges und mit kaltem Neonlicht ausgeleuchtetes Parkhaus, das wie ein Fremdkörper wirkt und gleichzeitig so viel Strom im Monat verbraucht, wie sonst vier Familien in einem Jahr benötigen. Es ist eines von vielen Details, die dazu führen, dass vor allem jüngere Potsdamer die sanierte Schiffbauergasse als steril empfinden und nicht mehr hingehen.
Doch hilft das Klagen nicht. Und auch nicht das ständige verbale Abstrafen der Verantwortlichen des Sanierungsprojektes Schiffbauergasse. Denn die Kulturschaffenden vor Ort leisten ja kreative, spannende Arbeit. Und glücklicherweise ist das Areal auch noch nicht so totsaniert, als dass es nicht wieder lebendig werden könnte. Doch dafür müssen beispielsweise Regeln gelockert werden, etwa im Denkmalschutz. Damit könnte es an einem „Kulturstandort“ möglich sein, großflächig Mauern für Graffiti-Künstler anzubieten, die mit Sicherheit gern Gebäude wie Waschhaus, Waschhaus-Arena oder Schinkelhalle äußerlich attraktiv gestalten würden. Die Bilder, die so entstehen, dürfen auch gern von Zeit zu Zeit wechseln und könnten so dem Areal ein abwechslungsreiches Gesicht geben. Auch das Problem der viel kritisierten Freiluftbühne – bisher wegen Baumängeln für Konzerte im Prinzip kaum zu nutzen – ließe sich mit einem Umbau und einem passendem Konzept beheben. Denn warum kann es dafür kein Modell geben, bei dem junge Potsdamer Party-Veranstalter ohne großen finanziellen Aufwand und bürokratische Hürden diese Bühne nutzen können? Schließlich bliebe noch das Problem des Parkhauses. Doch auch hier kann die Lösung ganz einfach sein: Nicht so hell! Oder buntes Licht mittels farbig überzogenen Energiesparlampen! Dann müssen sich die Raucher vor dem Waschhaus nachts nicht mehr ärgern. Henri Kramer
Juliane Wedemeyer
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