
© Fontane-Archiv
Von Klaus Büstrin: Noch mal unter die Feile
Eine literarische Beziehung in 23 Briefen, die das Fontane-Archiv in Basel ersteigerte
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Ein Kauf eröffnet neue Erkenntnisse und kann Wissen vertiefen. Das Theodor-Fontane-Archiv ersteigerte auf einer Auktion in Basel 23 Briefe, die der Dichter an den Literaturhistoriker und Publizisten Gustav Karpeles schrieb. „Möglich wurde der Ankauf durch die Unterstützung der Kulturstiftung der Länder und durch die Bundesregierung. Aus dem geringen Etat des Potsdamer Literaturarchivs wäre eine Finanzierung nicht möglich gewesen“, sagt Hanna Delf von Wolzogen, Leiterin des Theodor-Fontane-Archivs, den PNN.
Gustav Karpeles (1848-1909) ist Fontane-Forschern ein Begriff. Doch es könnte sein, dass sich für jemanden, der sich nur hin und wieder mit dem Dichter und seinem Werk beschäftigt, mit der Nennung des Namens Karpeles neue literaturhistorische Welten erschließen. Der jüdische Literaturhistoriker edierte 1884 eine mehrbändige Heinrich-Heine-Ausgabe und wandte sich immer wieder Goethe zu. Auch als Herausgeber und Redakteur der Allgemeinen Zeitung des Judentums, die von 1837 bis 1922 erschien, machte er sich einen Namen. Eine zweibändige Ausgabe der „Allgemeinen Geschichte der Literatur von ihren Anfängen bis auf die Gegenwart“ stammt von ihm. Der aus Mähren gebürtige Gustav Karpeles gehörte dem Kreis liberaler Juden an. Er war der Bewahrung jüdischer Traditionen verpflichtet, hatte jedoch auch ihre beständige Erneuerung zum Ziel. „Neben Ludwig Geiger galt der Literaturhistoriker als wichtige kulturpolitische Kommunikationsfigur seiner Zeit“, betont die Leiterin des Fontane-Archivs.
Karpeles war auch Redakteur der weithin bekannten Familienzeitschrift „Westermanns illustrierte deutsche Monatshefte“. Fontane kannte ihn von daher. Der angesehene Journalist, der erst als fast Sechzigjähriger als Romancier zu seiner großen literarischen Bedeutung fand, suchte Kontakt zu Zeitschriftenredakteuren. Denn die Vorabdrucke waren zumeist ertragreicher als die späteren Buchausgaben, deren Erfolg man vorher nicht überblicken konnte. Da die Familienblätter wie „Gartenlaube“, „Daheim“, „Am häuslichen Herd“ oder „Über Land und Meer“ in den meisten deutschen bürgerlichen Haushalten abbonniert waren, sah Fontane auch seine Popularität steigen. So bot er dem Redakteur Karpeles von Westermanns Monatsheften“ seine Erzählung „Ellernklipp“ zur Veröffentlichung an, in dem er ihm die Geschichte in aller Kürze mitteilte: „Hauptfigur: ein angenommenes Kind, schön, liebenswürdig, poetisch-apathisch, an dem ich beflissen gewesen bin, die dämonisch-unwiderstehliche Macht des Illegitimen und Languissanten zu zeigen. Sie tut nichts, am wenigsten etwas Böses, und doch verwirrt sie regelrechte Verhältnisse. Sie selbst, ohne den Grundton ihres Wesens zu ändern, verklärt sich und überlebt das Wirrsal, das sie gestiftet.“
Diese heute noch weitgehend unbekannte Erzählung ist Fontanes Thema in den Briefen, die das Literaturarchiv ersteigern konnte, so Hanna Delf von Wolzogen. „Obwohl die Antworten von Karpeles nicht vorliegen, erahnt man seine Kommentare und Anfragen recht gut, denn Fontane geht zu seinen Schreibabsichten und -änderungen detailliert ein.“
Dem angehenden Romancier war es wichtig, das Urteil des Redakteurs über seine Arbeit zu erfahren. Und Karpeles gab es kund. Zwischen beiden Literaten entstand ein fruchtbarer Austausch. „Volle acht Tage habe ich gebraucht, um das in Abschrift vor mir liegende erste Kapitel in Ordnung zu bringen. Und ein paar Stellen genügen mir auch jetzt noch nicht und müssen, nach erneuter Abschrift, wieder unter die Feile“, schreibt Fontane 1880 an Karpeles aus Wernigerode. Doch wenn der Westermann-Redakteur mit seinen Bemerkungen und Vorschlägen zu weit ging, dann wusste Fontane ihn in die Schranken zu weisen. Doch gegenüber dem Verleger Wilhelm Hertz meinte Fontane, das er „zu dem Redakteur Karpeles ziemlich gut stehe“.
Auch das Küstrin-Kapitel aus den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ spielt in den Briefen eine Rolle. Bevor es in der Buchausgabe erschien, wurde der Text im Jahre 1879 unter dem Titel „Küstrin und die Katte-Tragödie“ bereits in den Monatsheften von Westermann vorabgedruckt. Nur literarische und literaturästhetischen Aspekte kommen in den Autographen vor. Über Alltagsfragen wird kaum geplaudert, wenn man einmal von den leidlichen Honorarfragen absieht. Fontane und Karpeles pflegten persönlich und gesellschaftlich keinen Kontakt. Sie hatten nur Beziehungen als Autor und Redakteur.
„Dieses Konvolut von 23 Briefen ermöglicht einen weiteren tiefen Einblick in die Schreib-Werkstatt Theodor Fontanes“, sagt Hanna Delf von Wolzogen. Sein Erwerb reiht sich ein in die Reihe bedeutender Ankäufe von Autographen des Theodor-Fontane-Archivs. Als literarische Gedenk- und Forschungseinrichtung sammelt und erschließt es Handschriften, Literatur und andere Medien zu Fontane und seiner Zeit und hält Person und Werk des großen Schriftstellers sowohl der Forschung als auch der interessierten Öffentlichkeit zugänglich. „Die Einrichtung beherbergt den größten Teilnachlass Fontanes und verfügt über eine der größten Sammlungen von Werkmanuskripten und über rund achtzig Prozent der heute bekannten Briefhinterlassenschaft“, so die Leiterin des Potsdamer Literarurarchivs.
„Hochgeehrter Herr und Freund." Theodor Fontane und Gustav Karpeles - eine literarische Beziehung, Vortrag im Fontane-Archiv, Große Weinmeisterstraße 46/47, am 16. April um 19 Uhr mit Joseph A. Kruse, ehemaliger Direktor des Heinrich-Heine-Instituts Düsseldorf, und Harald Arnold, Lesung.
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