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Display statt Disco. Am modernen Lagerfeuer sitzt jeder allein.

© Clemens Malinowski

Kultur: Nullen und Einsen

Das Stück „Blue Faces“ über digitale Ureinwohner hat am Sonntag in der Reithalle Premiere

Stand:

Wenn man einen dieser „Digital Natives“ – einen der Ureinwohner des Internets – vor Augen hat, dann könnte er so aussehen wie Clemens Malinowski. Malinowski sitzt im Café des Hans Otto Theaters, Bart, Brille, vor sich ein zugeklapptes Notebook, als hätte er sich eben noch im Internet auf den neuesten Stand gebracht. Doch weit gefehlt: Das Notebook bleibt zu, und Malinowskis nachdenkliche Ausstrahlung hat nichts damit zu tun, dass er etwas verpassen könnte, im Gegenteil: „Ich habe zwar ein iPhone, aber keine Datenflatrate“, sagt er. Denn: „Ich möchte mich nämlich nicht zum Sklaven von Facebook und Twitter machen.“

Clemens Malinowski hat jetzt mit acht Schauspielern des Jugendclubs des Hans Otto Theaters das Stück „Blue Faces“ inszeniert, am Sonntagabend hat es im Rahmen der Reihe „nachtboulevard“ in der Reithalle Premiere. Genau diese „Blue Faces“, die blauen Gesichter, seien ein phänotypisches Merkmal dir digitalen Ureinwohner geworden: Der Widerschein ihrer Smartphones lässt die Gesichter blau leuchten, und zwar so oft, dass er zu einem Erkennungsmerkmal geworden ist. Dass diese Entwicklung unbedingt kritisch gesehen muss, davon ist Malinowski überzeugt, auch und gerade als Sohn eines Informatikers. Er, Jahrgang 1990, sei noch mit Schallplatten und Kassetten aufgewachsen, sagt er – heute sei der Computer in der Hosentasche. Und dieses „E-Device“, wie es neu-deutsch heißt, sei identitätsstiftend: Man muss eins haben, wenn man sich nicht zum Opfer oder Außenseiter machen wolle. Malinowski aber erschüttert es, wenn er sieht, wie etwa eine Mutter ihrem Kleinkind ein Smartphone in die Hand drückt, damit es ruhiggestellt wird. Tagtäglich. Überall.

In dieser in Malinowskis Augen totalitären Digitalwelt von Facebook und Co. spielt das Theaterstück, das er selbst entworfen und mit acht jungen Schauspielern inszeniert hat. Es geht um drei Charaktere: Jim, Jutta und Jürgen. Jim beschließt während eines Pausengespräches in der Schule, aus der ganzen Vernetzung auszusteigen, so als ob er den Konsum einer liebgewonnenen Droge aufgibt – nicht nur eine Herausforderung für ihn, sondern auch für sein soziales Umfeld. Denn natürlich steckt auch Jürgen schon tief mit drin, ist verstrickt in die sozialen Netzwerke und beginnt im Laufe des Stückes zu zweifeln, ob die Sucht nicht schon größer ist als der freie Wille. Und dann gibt es da noch die Cloud, die von fünf Schauspielern verkörpert wird und die omnipräsent auf der Bühne ist. Die Cloud hat alles an Informationen gespeichert und übernimmt dadurch die auktoriale – also allwissende – Erzählperspektive inklusive der Charakterisierung der Figuren. Letztendlich geht es darum, ob Jim der Ausstieg gelingt.

Jim? Richtig, der Name des Hauptdarstellers kommt nicht von ungefähr. Seit 1998 gibt es die JIM-Studie – ein pädagogisches Langzeitprojekt zu Jugend, Internet und Medien –, die die Medienkompetenz der 12- bis 19-Jährigen untersuchen will. Das Problem sieht Malinowski darin, dass in den Schulen „Digital Natives“ von „Digital Immigrants“ unterrichtet werden – also von den Nachzüglern des technischen Fortschritts. Diese mangelnde Vermittlung von Medienkompetenz, die durch völlig obsoleten Informatikunterricht getragen wird, öffne schließlich die Türen für den gläsernen Bürger: „Big Data“, sagt Malinowski. Dahinter steckt die Tatsache, dass immer mehr Menschen Apps zur Selbstoptimierung nutzen, die aber jede Information sammeln. Nicht nur Puls und Herzfrequenz, sondern auch die Blutgruppe und den Aufenthaltsort – man presse sich so selbst in Statistiken. Und irgendwann hinterlassen wir, so Malinowski, nicht mehr wie Goethe ein Gesamtwerk, sondern nur digitale Fußstapfen – Nullen und Einsen. Zwangsläufig müsse man als funktionierende Hülle ohne Entscheidungsrecht enden, fürchtet er. „Ich wollte kein lustiges Theaterstück schreiben, sondern nur den Umgang mit dem Internet infrage stellen“, sagt Malinowski, dessen Theaterstück gleichzeitig das Abschlussprojekt seiner Ausbildung als Veranstaltungstechniker am Hans Otto Theater ist. Allerdings habe er in der Stückentwicklung gemerkt, dass es einen schmalen Grat zwischen Ernst und unfreiwilliger Komik der Materie gab. Gibt es vielleicht doch noch Hoffnung? „Ein Happy End gibt es nicht“, sagt Malinowski – „aber auch keine Katastrophe.“ Oliver Dietrich

„Blue Faces“ von Clemens Malinowski, hat am Sonntag, dem 29. März, um 19.30 Uhr in der Reithalle, Schiffbauergasse, Premiere. Der Eintritt kostet 4 Euro

Oliver Dietrich

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