Kultur: Ohne Stil, keine Moral
Volker Schlöndorff im Thalia über den „Untergang“ und „Der neunte Tag“
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Volker Schlöndorff im Thalia über den „Untergang“ und „Der neunte Tag“ Nein, über den „Untergang“ werde er nicht reden, da müsse er leider enttäuschen. Volker Schlöndorff versuchte, den offenen Konflikt mit Oliver Hirschbiegels Führerbunker-Drama zu vermeiden. Vielmehr verwies er beim Filmgespräch des Filmverbandes Brandenburg im Thalia darauf, dass die Kritik an jenem, erschreckend erfolgreichen, Film nur aus dem Kino selbst erwachsen könne. Aber der Versuch, seinen Zorn zu zügeln, war vergeblich. Das Urteil über den „anderen Film“, wie er sich ausdrückte, brach regelrecht aus ihm heraus: „Was soll das Ganze?“ gipfelte seine Tirade gegen den „Untergang“. Bei Hirschbiegel werde, so holte er aus, „jedes Bild zur Lüge“, da dieser zu vermitteln wolle, dass hier Geschichte wahrheitsgetreu dargestellt werde. Zwar habe auch sein eigener neuer Film, „Der neunte Tag“, eine wahre Begebenheit zur Grundlage, diese aber werde durch künstlerische Freiheit abstrahiert und versuche so die subjektive Erfahrung eines einzelnen mit den Mitteln der Kunst dazustellen. Und dennoch: Bei aller sprachlichen Polemik gegen den „Untergang“, Schlöndorffs eigentliche Antwort ist tatsächlich „Der neunte Tag“ selbst. Denn der Oscar-Preisträger wäre nicht er selbst, wenn er nicht – trotz minimalen Budgets – einen an die filmästhetischen Tugenden der Vergangenheit erinnernden, auch optisch brillanten, Film vorgelegt hätte. Den Umstand, dass mit Ulrich Matthes einer der – ebenfalls harsch kritisierten – Hauptdarsteller des „Untergangs“ die Hauptrolle seines eigenen Films übernommen hat, kommentierte der Regisseur lediglich mit einem schelmischen Grinsen, zumal Matthes unter seiner Regie, oft durch bloßes Schweigen, tatsächlich über sich selbst hinaus wuchs. Für Schlöndorff eröffnet „Der neunte Tag“, in dem die Geschichte des Priesters Henri Kremer erzählt wird, der „Urlaub“ aus dem KZ erhält, weil er im Auftrag der Nazis den Luxemburger Bischof von der nationalsozialistischen Kirchenpolitik überzeugen soll, das faszinierende Feld des menschlichen Gewissens. Denn letztendlich, so Schlöndorff, sei jeder Mensch bei seinen Entscheidungen, insbesondere in extremen Situationen, allein gelassen und nur sich selbst gegenüber verantwortlich. Auch Henri Kremer, eigentlich Opfer des Nationalsozialismus“, stehe vor solchen Entscheidungen, zumal er sich in einer von Primo Levi entlehnten Szene, mit seiner eigenen „Schuld“ quäle. Sowohl Opfer, wie Täter verleihe er deshalb bewusst menschliche Züge, ohne diese ins heroische einerseits oder bestialische andererseits verzerren zu wollen. Zudem wollte der Regisseur die „vornehme Zurückhaltung“ deutscher Regisseure, was die Inszenierung von Bildern über die nationalsozialistische Lagerhölle angeht, brechen, zugleich jedoch das Maß an Brutalität begrenzen, um sich von Produktionen wie „Schindlers Liste“ abzusetzen. Volker Schlöndorff antwortet auf den „Untergang“ mit einem Film über Gewissen, Freiheit und Verantwortung gemäß seines Grundsatzes: „Ohne Moral, kein Stil. Ohne Stil, keine Moral“. Moritz Reininghaus
Moritz Reininghaus
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