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Haarige Angelegenheit. Die Kabarettistin Tatjana Meissner blickt in ihrem Ossi-Buch zurück in die Jugend, auf ihre Zeit als volkseigenes Showgirl, auf unverschämte Kellner und eigenbrötlerische Exmänner.

© Andreas Klaer

Kultur: Ossi im Sonnenschein

Tatjana Meissner stellt ihr drittes Buch „Herr Möslein ist tot“ im Kabarett Obelisk vor

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Wer ist eigentlich dieser Herr Möslein? Um darauf eine Antwort zu erhalten, muss sich der Leser schon bis zur Mitte des Buches vorarbeiten. Doch es wird dabei nicht langweilig. Die Kabarettistin Tatjana Meissner plaudert auch in ihrem dritten Roman alles Persönliche aus, was sich in ihrem Alter so angestaut hat. Und da gibt es weitaus mehr als den geistigen Horizont. Der Titel „Herr Möslein ist tot“ suggeriert werbekräftig neben Krimi und Spaß ganz bewusst eine gewisse Schlüpfrigkeit. Dieses Markenzeichen gehört nun mal zu Tatjana Meissner, auch wenn inzwischen die Gedanken an eine solide Bankverbindung zur Rentenvorsorge die pure Lust auf Sex auf ein Nebengleis geschoben haben.

Bevor sie in der gemütlichen Wohnküche in Potsdam-West über ihre episodenreiche Vergangenheit erzählt, muss sie erst mal Chica die Nase putzen. Ihr Stubentiger habe Katzenhaarallergie. Dennoch gehört die 16-jährige alte Dame mit aufs Foto. Sie saß dort auch, als sich jüngst der runde Geburtstag von Frauchen näherte. In stiller Eintracht kuschelte sie sich an die Jubilarin und an den ebenfalls schnorchelnde Töne von sich gebenden Carsten, der großen späten Liebe von Tati, die im wahren Leben Tatjana Meissner heißt. Die wollte sich um nichts in der Welt ein goldenes Kränzchen mit der runden Zahl von Freunden ins Haupthaar drücken lassen. Stattdessen döste sie sich lieber mit ihren beiden müden Kriegern Carsten und Chica ins neue Jahrzehnt hinein.

So beginnt also das neue Meissnersche Epos. Um welche runde Jahreszahl es sich bei diesem Geburtstag handelt, möchte die Autorin auf keinen Fall in der Zeitung geschrieben sehen. „Wer das wissen will, muss mein Buch kaufen“, sagt sie rigoros, ganz gewiefte Marketingfrau. Dort erfährt es der geneigte Käufer dann sogleich auf der ersten Seite. Tatjana Meissner kennt die Neugierde der Menschen. In ihren Comedy-Shows hält die sonst sehr offenherzige Frau – die inzwischen auf Botox-Spritzen verzichtet, da keiner ihrer Freunde die plötzlich so straffe Haut bemerkte – ihr Alter dennoch stets bedeckt. Aber das Publikum kann es errechnen, wenn es Tatjana Meissners Textaufgabe zu lösen vermag: „Das Durchschnittsalter in Deutschland beträgt für Frauen 83 Jahre. 12,6 Jahre muss ich abziehen wegen meiner Arbeitslosigkeit Anfang der 90er, für jede Scheidung weitere 9,3 Jahre und für meinen starken Tabakkonsum 22 Jahre. Also bin ich bereits 16 Jahre tot.“

An dem besagten runden Geburtstag, den sie dann doch ganz lebendig feierte, schenkte ihr die heiße Interneteroberung Carsten, die wir schon aus ihren anderen Büchern kennen – eine DVD. Darauf war das pralle Leben von Tati in Schwarz-Weiß und Farbe gebannt. In „Herr Möslein ist tot“ geht es also zurück in das untergegangene Land. Und zwar hautnah am Meissnerschen Alltag dran und mitten hinein in die graue Potsdamer Vorzeit, als die Breite Straße noch Wilhelm-Külz-Straße hieß und die Trabis ihren Gestank in den Himmel schickten, ohne dass es jemand wirklich roch. Noch einmal begegnet sie unverschämten DDR-Kellnern und ihren verschrobenen Ex-Männern. Darunter Heinzi, Vater ihrer Tochter Paula, den die Nachbarin bezichtigt, dass er Stasi-Spion sei. Ansonsten verläuft das Ausmotten eher im Schonwaschgang. Beim Drücken der Lebenswiederholungstaste schaut Tatjana Meissner sehr freundlich ins Gestern – mit ihrem Wissen von heute. Eine Fiktion, auf die sich der Leser erst mal einlassen muss. Warum nun also diesen DDR-Remake, der so wohlwollend dem untergegangenen Land nachwinkt? Die Frau mit dem blondgefärbten Strubbelkopf zeigt sich selbstbewusst. „Ich lasse mir nicht mehr sagen, wie schlimm alles war. Endlich kann ich mich darüber aufregen, wenn heute Gebäude als steinere Tatwerkzeuge des Sozialismus tituliert werden, genauso wie ich mich tierisch über das Stadtschloss-Imitat ereifere.“

Sicher, sie hätte auch im Zorn zurückblicken, ein Verfolgungsbuch schreiben können, räumt Tatjana Meissner ein. „Das würde vielleicht weniger Anfeindungen nach sich ziehen als ein fröhliches Sonnenscheinbuch“ – mutmaßt sie noch vor der Buchpremiere am kommenden Dienstag. „Ich hätte zum Beispiel aufbauschen können, wie ich fast von der EOS geflogen bin, weil ich im eiskalten Winter, als es keine Kohle gab, in der Straßenbahn sagte, dass es zu kalt sei, um in die Schule zu gehen. Bei zehn Grad Raumtemperatur dürfe es per Gesetz überhaupt keinen Unterricht geben.“ Für dieses Aufwieglertum musste sie vorm Direktor strammstehen, der ihr vorhielt, mit dem Aufruf zum Streik dem Feind im Westen in die Arme zu spielen. Der Vater, bei der „Blockflötenpartei“ LDPD Kreissekretär, half der aufwieglerischen Tochter aus der Patsche. „Nie wieder Diktatur, ganz klar“, sagt sie heute. „Aber trotz allem muss man auch entspannt zurückblicken dürfen“, beharrt die Autorin. Heute wisse sie, „dass mehr Demokratie nicht unbedingt mehr Wahrheit in die unzähligen Magazine und Zeitungen befördert, sondern einfach nur mehr Meinungen“, ist im Buch zu lesen. Sie hat alles noch mal rausgekramt, bevor sie sich ans Schreiben setzte: den Ausweis der Jungpioniere, das Abzeichen für gutes Wissen, alte Programmhefte von ihren Auftritten als volkseigenes Showgirl, das vor der SED-Bezirksleitung ihre Beine ebenso schwang wie vor dem Klassenfeind in Westberlin: als „heißester Export aus Potsdam“, wie die Bildzeitung verkündete.

„Nach dem Mauerfall hatte ich den Eindruck, andere bewerten mein Leben. Jetzt bewerte ich es selbst.“ Als sie vor ein paar Jahren bei einem Gastspiel in der Pfalz von der Bühne herunter fragte, ob noch jemand anderes im Theater sei mit ostdeutschen Migrationshintergrund, sei aus dem Publikum ein scharfes Nein ertönt. „In der Pause kamen dann zwei Magdeburger zu mir und bekannten sich kleinlaut zu ihrer Herkunft.“ Inzwischen stimmt Tatjana Meissner ihr Kortschagin-Lied „Das habe ich alles überlebt“ aus voller Kehle an, in dem sie die Ernteeinsätze besingt oder daran erinnert, wie im Kollektiv gemeinsam gekackt wurde. „Wir hatten nichts, nicht mal Allergien“, heißt es in diesem Song, den inzwischen nicht nur Ossis mitsingen, wie sie sagt. „Ich habe mich getraut, meine Empfindlichkeit auf die Bühne zu bringen und das hat so eine Zustimmung gefunden, dass ich dachte, es ist an der Zeit, auch darüber zu schreiben.“ Natürlich weiß sie heute nicht mehr genau, wie sie damals gedacht habe. Erinnerungen verwischen. „Es ist aber ein Ossi-Buch. Ganz klar. Ich schäme mich nicht, es zu sagen. Und hier leben ja auch etliche Millionen“, sagt sie mit hoffnungsvollem Blick auf die Verkaufszahlen.

Sie wird dieses Ossi-Buch mit dem Wessi schlechthin, dem Mister Tagesschau, zur Buchpremiere bringen. Mit Jan Hofer, assimiliert durch 20 Jahre Mitteldeutscher Rundfunk als „Riverboot“-Moderator. Und prompt, als Tatajana Meissner davon erzählt, klingelt es und der Postmann bringt ein Paket mit einer Flasche Champagner, den sie für den Abend im Kabarett für Jan Hofer bestellt hat. Und noch ein zweites wird geliefert: mit einem schwarzen edlen Jüpchen, das sie zu ihrer Silvester-Show im MDR tragen wird. Eng und sexy, aber mit langem Arm. „In meinem Alter muss man manches eben auch kaschieren.“

Und wer ist nun dieser Herr Möslein? Der Lokführer, der drei Menschen totgefahren hat, wie uns Google verrät, mit Sicherheit nicht.

Buchpremiere am Dienstag, dem 30. Oktober, 19.30 Uhr, Kabarett Obelisk, Restkarten unter Tel. (0331) 291069; „Herr Möslein ist tot“, Eulenspiegelverlag, 12,95 Euro

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