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Kultur: Paula fängt an

Die Tänzerin Paula E. Paul machte eine Krise produktiv und startete das Projekt „paula.hört.auf“

Stand:

„Paula hört auf“. Drei Worte, die es in sich haben. Und die Kreise zogen. Ein ganzes Jahr lang. Nunmehr münden sie vielleicht in drei neuen Wörtern: Paula fängt an.

Wer aber ist Paula? Und was verbirgt sich hinter der per E-Mail verbreiteten, Unruhe stiftenden Kunde? Die Potsdamer Tänzerin Paula E. Paul signalisierte damit im Herbst vergangenen Jahres öffentlich ihre persönliche Krise. Die fortwährende Suche nach neuen Produktionsformen, das „Betteln“ um Projektgelder, die eigenen Ansprüche ans Leben, das vorrückende Alter ... Viele Fragen türmten sich vor der 43-Jährigen auf. „Wäre es nicht besser, nach Norwegen zu ziehen und dort Holz vor den Hütten zu stapeln, als auf der Bühne zu stehen?“ Als die Tänzerin nach einer Aufführung mit den Mitstreitern Christopher Langer und Joschi Neu am Biertisch dieses Thema diskutierte, entspann sich fast beiläufig die Idee, Paulas Krise produktiv werden zu lassen. Zumal die Frage nach dem Sinn des Lebens ja keine nur auf sie zugeschnittene ist. Ohne große Vorbereitung, Kalkulationen und sonstigen unliebsamen bittenden Schreibkram machten sie sich ans Werk: eine Art künstlerisches Tagebuch nahm seinen Anfang, das jeden Montag um einen neuen Eintrag erweitert wird. Mit einem Foto und einem sinnreichen Drei-Worte-Satz. Und das geht weiter: bis zum 20. November, dem Ablauf ihrer Jahresfrist. Die „Kalenderblätter“ verschicken Paula, die in verschiedenen Figuren zu sehen ist, und ihr Fotograf Christopher an 1500 E-Mail-Adressen. „Die Leute reagieren sehr unterschiedlich: Oft sehen sie etwas ganz anderes auf den Fotos, als das, was uns motivierte. Aber es landete auf dem Forum auch ganz viel Schrott. Ich erhielt sogar Drohungen. Deshalb haben wir es geschlossen.“ Ein direkter Kontakt mit „www.paulahoertauf.de“ ist aber nach wie vor möglich.

Wenn Paula E. Paul die einzelnen Fotos Revue passieren lässt – die durch ihre Kommentierungen, die nicht im Internet stehen, noch viel plastischer werden – ist das auch eine kleine gesellschaftspolitische Rückschau. Oft mit Augenzwinkern. In ganz individuell zugeschnittenen Reprisen erinnern sie an die Freilassung des RAF-Mitglieds Brigitte Mohnhaupt, an den Überfall auf Inder in Mügeln, an den G-8-Gipfel in Heiligendamm ... „Es ist wie in einem Boot, mit dem man sich treiben lässt, ohne zu wissen, wo man strandet.“ Jeden Sonntag ein neues kleines Abenteuer: „Wir lassen uns von dem Moment beeinflussen, wie bei der Improvisation auf der Bühne.“ Dort hat sie indes ein ganzes Jahr nicht mehr gestanden. „Dennoch war ich öffentlicher denn je: eine Aufführung in vielen kleinen Häppchen. In einer Stunde Solo auf der Bühne zeige ich genauso viel von mir wie auf diesen Fotos über ein Jahr gestreckt. Sozusagen: Ein Stück in 53 Bildern.“ Die Reaktionen seien oft intensiver als beim Publikumsgespräch nach ihren Tanzaufführungen. „Wenn das Medium anonym ist, schütten die Leute viel eher ihr Herz aus.“

Was wird aus „paulahörtauf“, wenn das letzte Blatt „geschrieben“ ist? „Vielleicht ein Buch, vielleicht ein Film, vielleicht eine Ausstellung. Das Projekt öffnet viele Schleusen.“ Auf jeden Fall wird es eine Versteigerung geben: von den Utensilien, mit denen sich Paula auf den Fotos ausstaffierte: die Axt, das Glas mit Wasser aus dem Heiligen See ... „Wir behaupten alles als Kunstobjekt.“ Ort und Zeit der mit einer Performance verbundenen Auktion stehen aber noch nicht fest.

Paulas Blick hat sich geweitet. „Tanz ist nicht die einzige Form, um sich künstlerisch auszudrücken. Die Story muss stimmen, dann ist das Medium egal. Jetzt haben wir genügend Material für die nächsten Jahre.“ Sie erinnert sich an ihren Marathonlauf: „Du bist beim Kilometer 37 und denkst ans Aufhören. Doch du läufts weiter, trotz dieser Krise. Am Ende bist du stolz, es geschafft zu haben.“ Und trotzdem behält sie es sich vor, Holz stapeln zu gehen. Denn wenn sie in der Natur ist, verflüchtigen sich die Probleme.

Paula E. Paul weiß, dass jede Geistesarbeit zermürbend sein kann: „Mein bisheriges Leben funktionierte wie Tanz, immer bis zur totalen Erschöpfung. Ohne Leidenschaft geht in diesem Beruf gar nichts, denn auf der Bühne gibst du immer alles von dir preis.“ Bevor sie ihre Soli tanzte, war sie in einem Ballettensemble engagiert, für drei Jahre am Theater in Gera. „Ich musste weg, denn ich konnte nicht nur Dienst erfüllen im Repertoire.“ Es fehlte damals an Alternativen, denn eine freiberufliche Tanz-Szene gab es in der DDR nicht. Also stand sie vor der Entscheidung, entweder das Land verlassen oder ihr Glück in Berlin zu versuchen. Sie fand es dort tatsächlich, in der Aussteiger–Szene des Mime-Zentrums am Prenzlauer Berg. Dort begann für die ehemalige Palucca-Schülerin auch ihre intensive Zusammenarbeit mit Jo Fabian. Inzwischen hat sich ihr Vokabular noch mehr erweitert, ist unter anderem um die Facette des Flamencos reicher geworden.

Gern möchte sie jetzt ihr tänzerisches Wissen in einem Workshop an Erwachsene weiter geben, nachdem sie bereits im Offizze oder „bei Tanz in den Schulen“ die Begeisterung zu spüren bekommt, wenn Kinder in Kontakt mit ihren Körpern treten. Sie glaubt, dass das auch bei den Erwachsenen möglich ist. „Ich möchte die Leute dort abholen, wo sie gerade sind.“ Sie selbst kann von sich sagen: „Paula fängt an.“

Der Workshop Moderner Tanz und Improvisation beginnt am 7. November um 20 Uhr in der fabrik. Infos unter 2800314.

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