Kultur: Paula spricht jetzt auch englisch
60 Jahre DEFA: Nach der Wende waren DEFA-Filme out, heute lässt sich mit ihnen sogar Geld verdienen – und zwar weltweit. Wie die Firma Icestorm DDR-Erbe vertreibt
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Am Anfang betrat Brigitte Miesen totales Neuland. Sie kam aus dem Westen, hatte nie etwas mit DDR-Filmen zu tun. Dann, Ende der 90er Jahre, begegnete die Frau aus der Filmbranche dem Märchen „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“, „Ich war 19“ mit Jaecki Schwarz und „Winnetou“ mit Gojko Mitic. Gerhard Sieber, ein Kollege, hat sie dazu inspiriert, sich die Filme anzusehen. Ob sie sich vorstellen könne, mit ihm ein Unternehmen zu gründen, hat er sie gefragt. Eines, das exklusive Filmstoffe vertreibt: und zwar DEFA-Produktionen. Sie konnte sich das ziemlich schnell gut vorstellen.
„Tolle Filme“, sagt Miesen heute. Und das muss sie wohl auch sagen, denn seit Dezember 1997 führt sie mit Sieber die Berliner Firma Icestorm, den Filmvertrieb, der DEFA-Geschichten zunächst auf Video, jetzt auf DVD, in die Läden bringt – und das nicht nur im Osten von Deutschland. Weltweit interessiert man sich heute für die unter dem DDR-Regime entstandenen Filmarbeiten. In den USA, in Namibia und China sieht man sich die englisch untertitelten Filme an. Demnächst soll es sogar eine japanische Version von Frank Beyers „Jacob der Lügner“ geben. Die Geschäftsführerin sitzt angriffslustig auf der Kante ihres Ledersitzes, in einem Büro mit viel Glas, über den Dächern der Friedrichstraße. Die Zukunft kann kommen. Bis 2010 hat Icestorm die Verwertungsrechte von der Firma Progress (dem Nachfolger des VEB DEFA-Außenhandel) erworben, die wiederum die Rechte von der 1999 gegründeten DEFA-Stiftung hält.
Angefangen hat die Erfolgsgeschichte von Icestorm mit Märchenfilmen. Dann kamen Indianerfilme, Spielfilme und Dokumentarfilme dazu. Mehr als 350 Produktionen sind bisher erschienen. Damit ist das DEFA-Erbe aber lange nicht ausgeschöpft. Die Filmgesellschaft hat einen Fundus von 13 000 Werken hinterlassen.
Warum plötzlich so viel Interesse an DDR-Filmen? Ostalgie ist es nicht, hat Miesen festgestellt. Höchstens so etwas wie eine ganz subjektive Rückbesinnung auf das Vergangene. „Kindheit, Jugend, Erwachsensein, das verbindet man doch immer mit bestimmten Filmen“, sagt sie. Und diese Filme mache Icestorm nun für die ehemaligen DDR-Bürger wieder zugänglich. Im Westen und im Ausland wiederum sehe man sich die Filme aus ganz anderen Gründen an: als zeithistorische Dokumente, als filmtechnisch durchaus sehr niveauvolle Arbeiten und auch aus dem einfachen Grund, weil viele Filme gut unterhalten. Zu den am meisten verkauften Filmen gehören „Die Legende von Paul und Paula“, „Die Abenteuer des Werner Holt“, „Nackt unter Wölfen“, „Heißer Sommer“ und „Spur der Steine“.
Dass zum Beispiel „Spur der Steine“ zu DDR-Zeiten im „Giftschrank“ verschwand und erst Jahrzehnte nach der Produktion auf die Kinoleinwand kam, und dass Filme von unliebsamen Szenen und Dialogen befreit wurden, hinterlässt bei ihr keinen negativen Beigeschmack. „Westfilme sind genauso von Propaganda durchsetzt“, sagt sie ganz unbedarft, und: „Jeder Film hat seine Sendung“. Die Filmwelt der DDR ist für sie eher ein spannendes Zeitzeugnis. Das allerdings in einen aktuellen Kontext gesetzt werden müsse.
„Befreiung“, einer der sowjetischen Klassiker, die Icestorm auch im Programm hat, ist so ein Film, der das besonders nötig hat. Das dreiteilige, sowjetische Kriegsepos von Juri Oserow, das in der DDR Pflichtfilm für Schüler war, ist eine von Kunden gefragte Geschichte des glorreichen Sieges der Roten Armee über Deutschland. „So etwas kann nicht ohne Kommentar stehen“, sagt Miesen. Icestorm verkauft den Film nur mit Begleitbuch und DVD-Bonusmaterial mit wissenschaftlichem Kommentar. Die Geschäftsführerin spricht von Verantwortung, die das Unternehmen hat. Das Bonusmaterial ordne diesen wie viele andere Film in seine Entstehungszeit ein.
Überhaupt ist es dieses zusätzliche Filmmaterial, das die DEFA-DVDs so sehenswert macht. Kurzfilme, die den Hauptfilm in Bezug setzen, zum Damals und zum Heute. Da werden zum Beispiel Schauspieler, Regisseure und Komponisten vor der Kamera befragt, was sie aus heutiger Sicht zu ihrem Film zu sagen haben. Sie erzählen spannende Geschichten zur Entstehung, zu ihrer Haltung zur DDR und wie sich ihre Biografie mit dem Film und später mit der Wende verändert hat. Die zum Teil von Azubis für Mediengestaltung aus Babelsberg produzierten Streifen sind die wirklich spannenden Brücken zwischen Vergangenheit und Gegenwart.
„In unserer Arbeit sehen wir die Chance, das Verständnis zwischen West und Ost zu fördern. ... Wir können einander nur dann verstehen, wenn wir die „medialen“ Einflüsse, denen der Bürger im Ost- und Westteil Deutschlands und Europas ausgesetzt war, kennen lernen“, schreibt das Unternehmen salbungsvoll auf seiner Webseite.
Die reproduzierten Filme allerdings werden oft mit weniger kulturpolitischem Anspruch ausgewählt: Icestorm sammelt die Wünsche von Kunden, reicht sie bei der Firma Progress ein, die wiederum die Freigabe der Rechte bei der DEFA-Stiftung in Auftrag gibt. Marktwirtschaft und DEFA. Hier treffen sie doch noch aufeinander.
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