Kultur: Perversion der Realität
Videoinstallation von Constantino Ciervo im art+life-shop
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Ein Schmatzen dringt aus der hellen Galerie im art+life-shop in der Dortustraße. Sieben Monitore sind an der Wand installiert. Darauf lecken Menschen Symbole von der Scheibe, die mit Zuckerschrift aufgemalt wurden. „Es sind weltweit verständliche Symbole, die für die verschiedenen Bereiche des Lebens stehen“, sagt der Künstler Constantino Ciervo über sein Werk. Neben den Symbolen der großen Weltreligionen sieht man beispielsweise ein Herz für Liebe, einen Panzer für Gewalt und einen Sarg für Tod.
Die sieben Monitore mit den sieben Menschen stehen hierbei auch für die sieben Todsünden. Das Betrachten dieser leckenden Menschen hat etwas Voyeuristisches. Neben dieser faszinierenden Ästhetik ist es aber auch ein Werk, bei dem sich Ciervo mit seinem Lieblingsthema, der Globalisierung, auseinandersetzt. „Zu den globalen Symbolen entsteht durch das Weglecken eine perverse Beziehung. Diese Perversion lässt eine neue Beziehung zur Realität entstehen. Man soll dadurch seine Bedürfnisse und Ansprüche hinterfragen“, erklärt Constantino Ciervo. Die Präsentation erhielt den Namen „Global Gene". Die Kodifizierung der Welt und die Genetik der Dinge sind Punkte, die der Künstler seit jeher faszinieren und immer wieder zu Werken anregen.
Die Globalisierung sieht er zwar einerseits als Chance für den Menschen, die wirtschaftlichen Marktverhältnisse behindern die positiven Auswirkungen aber größtenteils. Deshalb sieht er die Aussage Angela Merkels im Rahmen des G8-Gipfels, man müsse der Globalisierung ein „menschliches Antlitz geben“, auch zwiespältig. „Die Aussage ist natürlich richtig, aber das Problem ist, dass Politiker leider oft in den Fesseln gefangen sind, die ihnen von der Wirtschaft angelegt werden“, so Ciervo.
Für den geborenen Italiener, der seit 1984 in Berlin lebt, ist der Mensch Bezugs- und Mittelpunkt seiner Arbeiten. Zurzeit untersucht er eingehend die sozialen Implikationen der Globalisierung in verschiedenen Ländern. Ciervo ist nicht nur Aktionist, sondern auch ein Denker. Er nähert sich einem Thema mit Respekt. Die Kunstwerke schweben nicht im sinnentleerten Raum, sondern sind durch recherchiertes Wissen unterfüttert.
Dabei geht es nicht um plakative Globalisierungs-Kritik, sondern auch um konkrete Einzelfälle. In dynamischen Collagen verarbeitete er den 11. September. Ein zweiwöchiger China-Besuch ist Thema eines kommentierten Videos. Hier wird nicht polemisch provoziert, es wird zum Nachdenken angeregt. „Trotzdem muss man für eine andere Welt kämpfen“, sagt Constantino Ciervo. „Aber gewaltlos“, fügt er hinzu, wie Ciervo selbst mit seinen Werken. Die Grenzen der Kunst sind ihm dabei sehr bewusst. In einer Installation von 1997 hat er das bekannte Foto der RAF vom entführten Hanns Martin Schleyer nachgestellt: statt Schleyer steht jetzt Ciervo vor dem RAF-Logo mit einem Schild in den Händen: „Ich bin Gefangener der Kunst.“ Damit macht er auf die widersprüchliche Rolle der Kunst in der Gesellschaft aufmerksam.
Die Ausstellungen im art+life-shop sind ein Vorläufer zum Fluxus-Museum, das im Januar 2008 in der Schiffbauergasse eröffnet werden soll. Dort wird dann neben Werken von Emmett Williams, Yoko Ono und Christo auch Ciervo mit einer Installation zu sehen sein. Das Konzept des Fluxus, der fließende Übergang zwischen Kunst und Leben, findet in Ciervos Werken eine perfekte Umsetzung.
Bis 25. 8., art+life-shop, Dortustr. 16, Mo-Fr 11-19 Uhr, Sa 10.30-18 Uhr, So 13-18 Uhr. Weitere Ausstellungen: Hella De Santarossa, 1.9.-6.10.; Wolf Vostell, 14.10.-17.11.
Christoph Henckel
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