Kultur: Protokoll aus der Holzklasse Roger Willemsen las vor ausverkauftem Haus
Das Thema ist so banal wie aufregend: die Arbeit der Volksvertreter, der demokratisch gewählten Abgeordneten. Und dabei vor allem ihre Rolle in den Parlamentssitzungen.
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Das Thema ist so banal wie aufregend: die Arbeit der Volksvertreter, der demokratisch gewählten Abgeordneten. Und dabei vor allem ihre Rolle in den Parlamentssitzungen. Roger Willemsen hat sich das angeschaut, sehr genau, ein Jahr lang. Aus der Perspektive des unbedarften Bürgers, des Zuschauers, des Wählers. Hat sich zu jeder Sitzung auf die Zuschauertribüne im Bundestag begeben, so wie es jeder darf. Am Samstag war die Veranstaltung in der Schinkelhalle, wo der Autor das Ergebnis seiner Recherche vortrug, ausverkauft. Etwa 500 Besucher wollten wissen, was Willemsen von den etwa 60 Sitzungstagen mitgenommen hatte.
„Ich wünschte mir, jedes Jahr würde das einer machen“, sagte er zu Beginn der szenischen Lesung im Waschhaus. Kollegen aus der Unterhaltungsbranche hatten zuvor bereits geäußert, dass man so etwas schon viel früher hätte machen sollen. Willemsen selbst sparte mit weiteren Worten: Die subjektive Einschätzung der gelesenen Passagen überließ er seinem Publikum, das nach zwei Stunden entweder desillusioniert oder bestätigt, entzaubert, aufgebracht – doch vor allem köstlich unterhalten den Saal verließ.
In der ihm eigenen nüchtern-humorigen Art hat Willemsen die Reden systematisch analysiert. Wie oft geht es um die Menschen? Was brauchen wir? Willemsen hat die Redner auseinandergenommen, sei es Stimme und Sprache, Gestik, der Gang zum Pult. Hat die Nebentätigkeiten jenseits der Kameraeinstellung eingefangen. Und hat nicht zuletzt seinen eigenen Beobachtungsort beschrieben, die Randgesellschaft auf dem Balkon, die Holzklasse zwischen Schülergruppen, Protestlern und Touristen, stets in Hörweite der Saaldiener.
Willemsen las nicht allein aus dem Buch „Das Hohe Haus“. Schauspielerin Annette Schiedeck und Hörfunkmoderator Jens-Uwe Krause belebten die Szenen mit Zitaten, Zwischenrufen, übernahmen ganze Rollen. Annette Schiedeck, auch wenn sie manchmal Mühe hatte, ein Lachen zu unterdrücken, könnte durchaus als das Stimmen-Double der Kanzlerin durchgehen. Das war lustig, doch das Lachen mochte einem stellenweise auch vergehen: erschreckend die Inhaltlosigkeit, die Banalität der plakativen Wortreihungen, einfallslos die Wortschöpfungen, die, derart isoliert und in grausamer Nacktheit und Dumpfheit, hörbar wurden.
„Das Mantra der Kanzlerin sediert mich“, las Willemsen. Nein, Angela Merkel kommt nicht gut weg im Buch. Mehr noch als ihre berühmte Raute in Kombination mit Leere erschreckte ihn die Gleichgültigkeit, mit der manchen Themen begegnet wurde, sei es in der Armutsdebatte oder der NSA-Affäre. Willemsen reiht seine Beobachtungen aneinander, kommentiert, zaghaft nur, aber doch pointiert. Und nimmt sich am Rande die kleine doch hübsche Freiheit, das Personal zu typisieren. Er fragt, was viele Zuhörer sich auch schon gefragt haben: Warum müssen Minister stets mit den Attributen ihres Geschäftsbereichs auftreten? Das löste ein hübsches Kopfkino aus, essende Minister auf der Grünen Woche, im offenen Panzer, neben Afrikanern in bunten Hemden. Darf man das noch sagen? Roger Willemsen darf. Steffi Pyanoe
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