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Kultur: Prüfung für Gefühle

Isabel Osthues inszenierte mit Erfolg Lessings „Minna von Barnhelm“ am Hans Otto Theater

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Franziska Melzer und Wolfgang Vogler gehören seit dem vergangenen Freitag in den Kreis der Minna-von-Barnhelm- und Major von Tellheim-Darsteller. Seit den Fünfzigerjahren waren auf der Bühne des Hans Otto Theaters Helga Göring und Rudolf Grabow, Carmen-Maja Antoni und Thomas Langhoff, Rita Feldmeier und Ulrich Anschütz sowie Diana Dengler und Christian Kuchenbuch in diesen großen Klassiker-Figuren zu erleben. Fast alle waren und sind Künstler, die regional, national und international Theatergeschichte geschrieben haben.

In schöner Regelmäßigkeit bringt das Potsdamer Stadttheater das vor gut 250 Jahren geschriebene Stück der Aufklärung „Minna von Barnhelm“ in einer Neuinszenierung heraus. Es gehört wohl zu den schönsten Lustspielen, die in deutscher Sprache verfasst wurden. Gotthold Ephraim Lessing schrieb es unmittelbar nach dem Friedensschluss zwischen Preußen und Österreich im Jahre 1763, der den Siebenjährigen Krieg beendete. Erstmals wurde Zeitgeschichte auf eine deutsche Bühne gebracht.

Der Krieg ist aus. Doch der unehrenhaft entlassene Major von Tellheim sitzt in einem Berliner Gasthof fest. Dort wartet er, Bestechungsvorwürfen ausgesetzt, auf den Ausgang seines Prozesses. Er ist von Ehrverlust, Perspektivlosigkeit und einer prekären finanziellen Situation geplagt. Er sieht sich außerstande, den Kontakt zu seiner Geliebten Minna, die er in Sachsen kennengelernt hat, aufrecht zu halten. Permanent redet er sich ein, dass „Vernunft und Notwendigkeit“ ihm dies befehlen würden. Er ist wie von einer Depression ergriffen und muss sich fragen, wie er da wieder herauskommt. Doch wer könnte ihn herausholen? Der Zufall will es, dass Minna im gleichen Gasthof wie Tellheim wohnt und schnell von dessen Anwesenheit erfährt. Seine sächsische Angebetete hat sich mithilfe ihrer Zofe entschlossen, ihn mit List und auch mit hintergründigem Humor wieder ganz für sich zu gewinnen. Im Mittelpunkt des Stücks stehen also ein sich selbst fremd gewordener Mann und eine selbstbewusste Frau. Sie glaubt an die Liebe, an die Zukunft und daran, dass die Gefühle von Tellheim, der sie einst heiraten wollte, noch Bestand haben, dass Kriegserlebnisse ihnen dabei keinesfalls einen Strich durch die Rechnung machen können.

Isabel Osthues, die junge Regisseurin, die am Hans Otto Theater seit Tobias Wellemeyers Intendanten-Antritt 2009 in jeder Spielzeit ein Stück inszenierte, hat sich nun Lessings Lustspiel angenommen. Führt man dieses Stück aus der Zeit Friedrich des Großen mit ihren systemkonformen Figuren und komplizierten Verwicklungen heute auf, müssen sich die Regisseure überlegen, mit welcher Berechtigung sie diesen Stoff auf die Bühne bringen. Das war auch die Frage so mancher Zuschauer vor der Vorstellung.

Isabel Osthues verzichtete auf grobe Aktualisierungen, auch auf einen Betroffenheitsgesang zum Thema Krieg. Doch sie vertraute nicht immer auf den feinen Sprachwitz des Textes, denn streckenweise wurde das Ganze in ein boulevardeskes Gewand gekleidet, das sich hin und wieder operettig anfasste und sogar zur überflüssigen Klamotte mit lautem Krawall und überbordendem Jux ausartete. Minna und Tellheim werden natürlich als das „hohe Paar“ vorgeführt: sie weitgehend eine emanzipierte, klug abwägende Frau, die sich zwischendurch auch als ein aufgekratztes Mädchen gibt, er ein tugendhafter preußischer Offizier, schneidig, auch kameradschaftlich, der seinen Ehrbegriff zunächst höher stellt als die Liebe. Franziska und Paul Werner (Elzemarieke de Vos und Florian Schmidtke) wirbeln als Buffopaar über die Bühne. Frauenzimmerchen Franziska, so wird sie von dem verliebten Wachtmeister Werner genannt, weiß mit Charme, Witz, auch Gereiztheit, inquisitorischen Fragen, sogar Befehlen ihr Taktik-Programm an die Männer zu bringen. Der Soldat Paul Werner ist ein liebenswerter Untergebener Tellheims aus Kriegszeiten, der seinem an Leib und Seele verletzten Vorgesetzten helfen möchte und immer wieder dafür die „rote Karte“ erhält. Michael Schroth spielt den offenherzigen Bedienten Just und überkandidelten Riccaut de Malinière, Peter Pagel den durchtriebenen und neugierigen Wirt. Alle Darsteller wissen mit zum Teil spielerischer Virtuosität und sprachlicher Akkuratesse die Aufführung zu einem schönen Erfolg zu führen.

Die Regisseurin hat die Geschichte äußerlich nicht in das 18. Jahrhundert gesteckt (Bühnenbild: Jeremias Böttcher). Im Wirtshaus hat die Neue Sachlichkeit das Sagen. Nur der „Empfangsraum“ zu Minnas Zimmer gibt durch die ornamental aufgelockerte Tapete einen eher zivilen Eindruck. Das Bild Friedrich II., das im Gasthof an der Wand hängt, scheint eine unentbehrliche Verbeugung vor dem Monarchen zu sein, entpuppt sich aber auch als ein köstliches Sprachrohr Seiner Majestät. Durch ihn erhält Tellheim die Kunde, dass der Prozess gegen ihn eingestellt wurde.

Man befürchtete, dass der Klamauk bis zum Schluss durchgezogen wird. Doch plötzlich wird ihm durch ernste Wortgefechte zwischen Minna und Tellheim Einhalt geboten. Der Eindruck entsteht, dass aus der Komödie nunmehr eine Tragödie werden könnte. In diesem Augenblick meint man nicht unbedingt, Menschen zu begegnen, die sich anachronistische Scharmützel liefern, sondern einem modernen Paar, dessen Beziehung auf der Kippe steht. Den innerlich fast abgetretenen Mann holt Minna wieder zurück ins Leben. Am Ende wirkt er wie neugeboren, die Kriegsverletzung streift er ab.

Nächste Vorstellung am 31. Mai, 19.30 Uhr

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