
© HOT/ HL Böhme
Kultur: Reality-Theater für Teenager
Jugendtheaterclub mit „verrückte welten“ im Hans Otto Theater
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Es ist noch nicht lange her, da mussten sich Hunderte von Berliner und auch Potsdamer Schülern Sorgen um ihre Abi-Bälle und Abschlussfahrten machen, weil sie die Organisation dafür an eine Firma übertrugen, die dann mit ihrem Geld verschwand. Als die Jugendtheatergruppe des Hans Otto Theaters im vergangenen Herbst mit den Proben zu ihrem Stück „verrückte welten“ begann, ahnten die Teenager noch nichts von diesem Skandal. „Das ist wirklich purer Zufall“, sagte Regisseur Mario Neubert und zeigte sich gleichzeitig überrascht, wie dicht an der Realität der Stoff angesiedelt ist.
Im Theater allerdings ist es nicht ganz so dramatisch, wie die Premiere von „verrückte welten“ in der Reithalle zeigte. Die Klassenkasse der 8b verschwindet, die gemeinsame Fahrt nach Frankreich dürfte somit ins Wasser fallen. Lehrerin Müller überlässt die Kinder sich selbst mit dem Auftrag, das Geld wiederzufinden. Schließlich war es bis eben ja noch da. Nun beginnt eine gegenseitige Beobachtung und Bespitzelung, Verdächtigungen werden ausgesprochen und durchgekaut. Wer könnte es gewesen sein und warum? Gleichzeitig brodelt es im Inneren des Klassengefüges, die Lager sind klar aufgeteilt. Auf der einen Seite die hippen Girls, die täglich die Oberteile wechseln und trotzdem möglichst mit der Freundin Partnerlook praktizieren, in den Schultaschen mehr Schminkzeug als Bücher. Auf der anderen Seite die Mir-ist-alles-egal-Mädels im bodenständigen Look, etwas schüchtern, gern als Streber abgetan, in Jeanslatzhosen und Ringelshirt. Nicht zu vergessen die Jungs, die in dem Alter eh noch nicht wissen, ob sie erwachsen werden wollen und im Zweifelsfall doch lieber Fußballzeitungen lesen. Das alles garnieren die Regisseure Mario Neubert und Denise Biermann mit der Großklappe Claire, die gern den Ton angibt und tyrannische Züge trägt. Man unterwirft sich ihr und buhlt um ihre Gunst. Warum allerdings – das wurde nicht so richtig deutlich.
„Für die meisten Kinder im Alter von 12 bis 15 Jahren war es das erste Mal, dass sie hier auf der Bühne standen“, sagte Neubert. Er hätte gern noch länger geprobt, aber man müsse auch mal raus auf die Bühne. Gern hätte der Gymnasiallehrer, der derzeit eine Weiterbildung zum Spielleiter absolviert, mehr Grundlagen und Techniken trainiert. „Sie sprechen natürlich zu leise und zu schnell“, aber für simple Trockenübungen konnte er seine Schützlinge eher selten begeistern. „Es heißt nicht umsonst Teens-Club. Die wollen oft einfach im kindlichen Sinn spielen, und diese Spielfreude zu einem Stück hinzuführen ist unsere Aufgabe.“
Die Erarbeitung des Stückes oblag so der Gruppe, der Grundgedanke entsprang den Leitern. Und so stecken im Geschehen viele Details, die ganz klar dem täglichen Wahnsinn einer Schulklasse entsprechen. Wehe, wenn sie losgelassen! Da werden Tische und Bänke und Stühle gerückt und umgestürzt, Mappen ausgekippt, es fliegen Schwämme und Papierkugeln. Der Klassenraum wird zum Hohen Gericht, in dem Verdächtige hingerichtet werden. Die Schließfächer als ideale Kulisse: sie verwandeln sich in Toiletten oder eine Küchenzeile mit Backofen, wenn die Freunde zu Hause Filme gucken und Pizza backen. Das ist der einzige szenische Ausreißer, der das Stück unterbricht, das im Grunde über die Situation des Eingeschlossenseins mit einem Problem reflektiert. Man fühlt sich an den Kultfilm „Breakfast-Club“ erinnert: eine zusammengewürfelte Schülergruppe, eingeschlossen zur Nachhilfe, muss miteinander auskommen.
Auch zu den Vorstellungen am Dienstag- und Mittwochabend schlossen sich hinter den Zuschauern die Türen. Zuspätkommer hatten das Nachsehen, man wollte den jungen Laienschauspielern kein Türenklappen zumuten, hieß es. So sitzt man gemeinsam mit ihnen in einem Boot und wartet darauf, dass das blöde Geld gefunden wird – eher, so scheint es, kommt hier keiner raus. „Wer wollte überhaupt nach Paris“? fragt da jemand, und man ahnt, das könnte noch dauern. Wie es so ist, systematisch sucht schon lange keiner mehr. Sie tanzen und feiern ausgelassen und Kommissar Zufall schließlich kommt ihnen zur Hilfe. Dass jemand mit dem Geld seine Probleme zu lösen versuchte, fällt zum Schluss etwas unter den Tisch, auch, dass die Klasse sich hinter sie stellt und Claire, die so gern gepetzt hätte, diesmal nichts zu melden hat. Es geht also doch noch nach Frankreich. Für November ist eventuell eine Wiederaufnahme des Stückes geplant.
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