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Kultur: „Revolutionen sind die großen Nacktmacher“

Heute stellt Julia Schoch ihren neuen Roman in Potsdam vor – ein Gespräch über die Schwierigkeit, Freiheit anzunehmen

Stand:

Frau Schoch, als im November 1989 die Mauer fiel, waren Sie 15 Jahre alt. Mittlerweile sind 20 Jahre vergangen. Wie viel DDR steckt noch in Ihnen?

Das, was ich als Kindheit hatte und durch Zufall mit diesem Staat verbunden war. Aber ich glaube, der Zeitpunkt des Mauerfalls ist vielleicht nicht so entscheidend, sondern das, was in den Jahren danach passiert ist.

Vor allem was mit Ihnen passiert ist?

Nicht nur, vor allem was mit den Eltern, den Gebäuden und auch den Orten passiert ist, die man mit der eigenen Kindheit verbindet. Das wirkt bis heute nach.

Wie haben Sie die „Wende“ und das Danach erlebt?

Zuerst einmal bin ich losgestürzt wie wohl die meisten aus meiner Generation. Ich bin vollkommen überrascht und voller Freude in die Welt gegangen, zuerst Frankreich, dann Amerika. Da folgte ein Kulturschock auf den anderen. Ich hatte das Gefühl, in Windeseile das zu machen, wofür andere Jahrzehnte brauchen.

War da keine Irritation über den plötzlichen Bruch? Alles war auf einmal anders.

Mit 15 oder 16 Jahren verabschiedet man sich nicht mit großer Trauer von Plänen, die man schon für die eigene Zukunft getroffen hatte. Aber man registriert sehr genau, dass da etwas endgültig weggebrochen ist.

Ein Wegbrechen, das auch sehr viel bloßgestellt hat?

Ja, da änderte sich alles radikal, von einem Monat auf den anderen. Der Vorteil von solchen Umbrüchen, von Revolutionen ist, dass sie einem einen ungeheuren Erkenntnisschub verleihen. Was sonst nur kleckerweise im Laufe eines Lebens zu einem durchdringen würde, passiert hier innerhalb kürzester Zeit. Dabei bekommt man so eine Klarheit, eine solche Erkenntnis über den Menschen, dass man sich nur beglückwünschen kann, dabei gewesen zu sein. Umbrüche, Revolutionen, das sind die großen Nacktmacher, weil man dabei in das Innere von Gesellschaften und ihre Menschen blicken kann.

War die „Wende“ für Ihre Generation vor allem eine große Chance?

Ich kenne niemanden aus meiner Generation, der das nicht als Geschenk verstanden hätte. Dieses Ereignis ist über uns gekommen, und wir haben es dankbar angenommen. Allerdings, wer zehn Jahre älter war, bereits eine Berufsausbildung oder ein Studium hinter sich hatte, für den war es unter Umständen nicht so einfach.

In Ihrem neuen Roman „Mit der Geschwindigkeit des Sommers“ ist die namenlose Hauptperson, die ältere Schwester, diese zehn Jahre älter und es scheint, als ob sie dieses Geschenk „Wende“ nicht auspacken will oder nicht kann.

Doch, aber sie schöpft die Möglichkeiten dieses Geschenks nicht aus. Man könnte sagen: Ihr fehlt alles, und aus demselben Grund ist ihr auch alles zu viel.

Damit ist sie kaum ein Einzelfall gewesen.

Die Erfahrung müssen wohl viele machen, die aus geschlossenen Gesellschaften kommen. Die plötzliche Freiheit lähmt. Außerdem erkennt die Schwester, wie stark sie durch den alten Staat geprägt wurde. Das hindert sie ja auch. Gleichzeitig ist da aber auch Trauer über den verschwindenden Ort. Alles, was sie geprägt hat, geht verloren, und damit auch sie selbst.

Konnte dieser künstliche Kasernenort im Stettiner Haff, diese Garnisonsstadt in „Mit der Geschwindigkeit des Sommers“ überhaupt je Heimat für sie sein?

Ja, ich glaube, das geht ganz automatisch. Dort wo man aufwächst, wo die ersten Bilder im Gedächtnis entstehen, das ist so etwas wie Heimat. Sonst würde man doch nicht so oft in den eigenen Erinnerungen dorthin zurückkehren.

Die ältere Schwester hat eine Affäre mit einem „Soldaten“, wie sie ihn nennt, der schon lange kein Soldat mehr ist. Das alles wirkt wie ein Festhalten am Vergangenen, wie ein Leben in der Erinnerung.

Sie guckt sich diesen Soldaten ja immer an wie man ein altes Fotoalbum anschaut. Eine Zukunft haben die beiden nicht, sie haben nur ihre Vergangenheit. Es ist wie ein Gespräch unter Freunden, in dem man sich an alte Zeiten erinnert. Da kann man sich fragen, was das soll. Das ist doch im Grunde sinnlos. Warum schaut man nicht ins Jetzt, oder besser noch: in die Zukunft. Aber wenn man das Gefühl hat, dort ist sehr wenig, wendet man sich eben eher dem Vergangenen zu.

Ist für die ältere Schwester der Traum interessanter als die Möglichkeit, diesen Traum leben zu können?

Wahrscheinlich. Die meisten Menschen leben im träumerischen Möglichen.

Fehlt da einfach nur der Antrieb, etwas zu ändern?

In einem Interview zu ihrem 80. Geburtstag hat sich die Schriftstellerin Christa Wolf, an ihrem Lebensende sozusagen, gerade zu der Aussage durchgerungen, dass der Mensch nicht veränderbar ist. Das ist ihre Erkenntnis nach all den Jahrzehnten des Durchdenkens und Abarbeitens! Da muss ich sagen: Das ist meine Ausgangssituation, nicht der Endpunkt. Das war mir schon als junger Mensch bewusst.

Das muss extrem desillusionierend für Sie gewesen sein?

Ja, total. Und das ist es bis heute. Die Schwierigkeit besteht nun darin, sich trotzdem immer wieder aufzuraffen, um mitzutun oder irgendwelche Entwürfe vorzustellen. Das ist der eigentliche Kraftakt.

Wenn der Mensch nicht veränderbar ist, warum dann noch schreiben?

Um genau davon zu erzählen.

Thomas Bernhard sprach davon, dass er aus reiner Langeweile Schriftsteller geworden sei, weil er ja nicht den ganzen Tag einem Berg gegenüber liegen könne.

Ich spüre jedenfalls keinen gesellschaftlichen Auftrag. Es reduziert sich auf die eigene Schreiblust und die Energie, die man hat und in jeder Gesellschaft auch hätte. Da ist das Bedürfnis, sich auszudrücken. Emile Cioran schrieb einmal seinen Eltern: „Wenn ich von Natur aus schweigsam gewesen wäre, würde ich schon seit langem an Hunger gestorben sein.“

Wie schon Ihr Debüt „Der Körper des Salamanders“ ist „Mit der Geschwindigkeit des Sommers“ stark von autobiografischen Erfahrungen geprägt. Wie wichtig sind solche persönlichen Erfahrungen für das Schreiben?

Das ist natürlich auch ein Spiel mit der eigenen Biografie. Das sind die starken Erinnerungsbilder. Aber das ist nur ein Ausgangspunkt, von dem ich mich dann wegschreibe. Dann beginnt die Lust des Schreibens. Sonst wäre ich Historikerin geworden. Ich befinde mich lieber im Reich des Möglichen als in dem des Wirklichen.

Was in unserem Gespräch auffällt: Sie vermeiden Begriffe wie „DDR“ und „Wende“. Warum?

Beide Wörter kommen auch nicht in „Mit der Geschwindigkeit des Sommers“ vor. Da will ich schon eigene Worte finden, sonst kommt mir das geborgt vor. Sie werden so inflationär gebraucht, sind so besetzt, die machen mir den Rahmen zu eng. Mich interessieren menschliche Zustände ganz allgemein, das Buch könnte unter ähnlichen Bedingungen sicher auch woanders spielen.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Julia Schoch stellt heute, ab 20 Uhr, „Mit der Geschwindigkeit des Sommers“ im Literaturladen Wist, Brandenburger/Ecke Dortustraße vor. Der Eintritt kostet 5, mäßigt 4 Euro.

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