Kultur: Rock rettet Brandenburg
Die erste Musikmesse Brandenburg für Nachwuchsbands im Waschhaus
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Die Rechnung, die André Neumann vom Jugendkulturnetz am Rande der ersten Messe für Nachwuchsbands, „tba“, im Waschhaus aufstellte, ist einfach. Etwa 1000 Bands gibt es in Brandenburg, jede besteht aus fünf Musikern. Und jede davon umgibt sich mit Technikern, Managern und Hilfskräften. Insgesamt schon an die 10 000 Jugendliche. Und jede Band hat etwa 40 Freunde. „Das zeigt“, sagt Neumann, der in Thüringen für einen freien Radiosender Nachwuchsbands vorstellt (www.newcomercast.de), „um welche Größenordnung es hier geht.“ Rechnet man die Zahlen aller neuen Bundesländern hoch, in denen das Jugendkulturnetz mit finanzieller Unterstützung vom Bund Nachwuchsbands unterstützt und für Populärmusik Lobbyarbeit betreibt, kommt ein gewichtiger Teil der Gesellschaft zusammen.
Musik wird gerade als zivilisatorisches Korrektiv wieder entdeckt. So titelte „Die Zeit“ diese Woche „Macht Musik!“ und zeigte Kinder mit klassischen Instrumenten. „Es muss gar nicht immer Hochkultur sein“, meinte Ulrike Kloss, die Projektkoordinatorin von tba (engl. to be announced, etwa: noch anzukündigen) dazu. Wer in einer Rockband spiele, tue das für mehrere Jahre und lebe „wie in einer Familie“, so werde soziale Kompetenz geschult. Eine Band, meint das Netzwerk, funktioniere wie ein kleines Unternehmen. Mit Management, Marketing und Betriebswirtschaft. Das wäre auch wirtschaftlich interessant. Das Interesse der Politik an dieser Arbeit sei aber bislang enttäuschend gering, so Kloss.
Die Musikmesse, die am Freitag und Samstag im Waschhaus organisiert wurde, sollte junge Musiker zusammen bringen und ihnen neue Wege aufzeigen. Nicht zuletzt ging es auch darum, dem „Rechtsrock“ etwas entgegen zu setzen, der gerade in Thüringen und Sachsen massiv an Einfluss gewinnt. Demokratiestärkung, Wirtschaftsnähe und Extremismuskorrektiv. Von den jungen Gitarrrenzupfern, die im Keller schrammeln, wird offensichtlich eine Menge erwartet. „Gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, heißt das in der soziologisch getönten Sprache der Verantwortlichen.
Die „Messe“, die neben Diskussionen und Workshops auch abendliche Konzerte von Newcomern im Programm hatte, macht am Freitag Nachmittag einen schlappen Eindruck.
Ein Hörgerätehersteller bietet Gehörschutz an. Ein Plattenlabel, das gerade gegründet wurde, ein Second Hand Plattenladen, eine T-Shirt-Gestalterin und ein Musikhaus sind da. Von Nachwuchsmusikern ist wenig zu sehen. Vier oder fünf Bands sollen sich umgesehen haben, meint Mathias Paselk später, der als Koordinator für Brandenburg für die Organisation verantwortlich ist. Dass am gleichen Abend der Endausscheid des Landesjugendrockwettbewerb stattfindet, allerdings im Lindenpark, kommentiert er bedauernd mit „Dumm gelaufen.“ Schulen, naturgemäßer Treffpunkt von Schülerbands, wurden auch nicht kontaktiert. Kein Personal.
Und was hätte eine junge Band von allem? Sie kann versuchen, sich über eines der freien Radios Gehör zu verschaffen, die vorgestellt wurden (www.freie-radios.net). Für den, dem diese alternativen Medien zu exotisch sind, wird es – wie auf der schlecht besuchten, aber durchaus interessanten Diskussionsrunde klar wurde – schwierig. Die allermeisten Radiosender, sagte Frank Menzel von Radio Fritz, hörten überhaupt keine Demo-Bänder mehr. Er gehört zu den löblichen Ausnahmen und hat 2-Raumwohnung, Wir sind Helden, Blind Passengers, Tocotronic, Sportfreunde Stiller und Virginia Jetzt für das Radio entdeckt. „Wir hören uns alles an!“, verspricht der Moderator.
Beim Waschhaus als Newcomer vorzusprechen, scheint aussichtslos zu sein. Ingo Bröcker-Wätzel, dort seit 1992 für Konzerte zuständig ist, habe sich angewöhnt, Musik nur noch „zu lesen“. Sein Rat: „Sucht Euch ein vernünftiges Management und Booking.“ Das Waschhaus spiele in der „zweiten Bundesliga“, zu hoch für Anfänger. Er hält die neuen Vertriebsmethoden über das Internet für zukunftsweisend. Michael Schwark vertritt ein solches Projekt. Er stellte seine alternative Booking-Plattform www.church-of-noise.de vor, auf der Bands Auftrittsorte vorstellen und austauschen. „Es funktioniert“, jubelte er, prinzipiell sogar weltweit.
Alle waren sich einig, dass Newcomern ein steiniger Weg bevor steht. Auf ihm könnten sie bald wieder alleine sein. Die Finanzierung des Jugendkulturnetzes läuft nämlich Ende des Jahres aus. Die Zukunft der Musikmesse ist damit ungewiss.
Matthias Hassenpflug
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