
© Sanny Wildemann
Band "City" im Potsdamer Nikolaisaal: Rock und Ingwertee
Über 40 Jahre unterwegs: Am Donnerstag sind „City" mit ihrem Programm "Das Beste Unplugged“ im Nikolaisaal zu erleben.
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Ach, dieser Schnee von gestern, entsetzlich finde er den alten Kram, außerdem bringe er die Erinnerungen eh durcheinander, sagt Toni Krahl, bei einem Gespräch im Büro der bandeigenen Männerwirtschaft den Fragen nach alten Zeiten ausweichend. „Wir haben auch kein Archiv“, ergänzt er. Aber da sind sie immer noch, nach mehr als 40 Jahren, und derzeit „unplugged akustisch“, wie es Neudeutsch heißt, auf Tour: Am kommenden Donnerstag spielt City im Nikolaisaal. „Weil wir seit 40 Jahren Spaß daran haben, Musik zu machen“, sagt Fritz Puppel, der von Anfang an mit dabei ist, fast entschuldigend. Als müsste man einen guten Grund dafür haben, wenn man im hohen Alter jenseits der 60 noch Rockmusik macht.
„Heute geht Altern irgendwie anders“, stellt Toni Krahl, der Sänger mit der markanten Stimme und der markanten hohen Stirn fest: Die Leute, und er meint jetzt die Konzertbesucher, seien noch wach im Kopf, interessiert – aber auch bereit, sich euphorisieren zu lassen. „Die Hälfte unseres Publikums ist bestimmt mit uns groß geworden“, sagt Gitarrist Puppel, die hätten jetzt Zeit für Konzerte, die mehr zum Zuhören, zum Hinhören sind, wo die Seele der Musik im Mittelpunkt steht. „Und wer will mit 60 Jahren schon stundenlang auf einer nassen Wiese stehen und auf die Band warten?“ Im Sommer, da kommen wieder die Rockkonzerte, Open Air mit Bockwurst und Riesenrad vor Tausenden Zuschauern.
Als City Rockband haben sie angefangen, 1972 in Berlin; der Name war Programm und sollte großartig klingen, die Provinzler beeindrucken, sagt Fritz Puppel. Obwohl es damals das unausgesprochene Verbot von Anglizismen für Bandnamen gab, kamen sie durch mit ihrer Namenswahl und behielten ihn auch dann, als man ihnen eine Liste mit alternativen Vorschlägen unterbreitete. Elbflorenz und Feuervogel standen da beispielsweise drauf. „Da waren wir aber schon so populär, das haben wir einfach nicht gemacht“, so Puppel.
Sechs Alben bringen sie vor 1989 heraus, dazu kommen Auftritte und Tourneen im In- und Ausland, auch im Westen, ein Privileg für junge Leute vor dem offiziellen Reiserentenalter der DDR. Bei der Rückkehr schreibt Puppel eines Tage auf den Zollzettel: eine Tube Zahnpasta und eine Goldene Schallplatte. „Am Fenster“, das war und ist ihr größter Hit, in Griechenland hat er fast die Nationalhymne ersetzt, wie Fritz Puppel dort im Urlaub mit Gänsehaut feststellen konnte. „Gogol, unser Geiger, kitzelte damals die Seele des Balkans“, sagt Puppel.
Inspiration beziehen die fünf Großstadtrocker mit dem Extraschmankerl ihrer bulgarischen Geige damals aber auch von den Stones. „Das machten alle, Musik hören, die eben vor dir da ist, jeder suchte sich Vorbilder“, und sie nehmen das auf, was die Ostradiosender nicht spielen, von Radio Luxemburg. Auf Tonbänder, die sich verhakeln oder reißen. Das sei aber keine Besonderheit des Ostens gewesen, betont Toni Krahl. Gerade habe er auf Radioeins Thomas Gottschalk gehört, der sich an seine Anfangszeit als Radiomoderator erinnerte. Der seinerzeit vom tiefsten Bayern aus ehrfürchtig nach Berlin geschaut habe. Die heutige Politisierung manch gesamtdeutschen Phänomens nervt Krahl. „Die haben doch damals im Westen Herpes gekriegt, wenn die Jugendlichen Musik gehört haben, die nicht zum Establishment passte“, regt er sich auf. Und sie, die City-Rocker, hätten sie nur 300 Meter weiter gewohnt, wären sicher mit der West-Polizei aneinander gerangelt wegen des Schah-Besuchs. So aber wählt man Krahl noch kurz vor der Wende zum Vorsitzenden des Komitees für Unterhaltungskunst, eine Art Künstlerverband der DDR, wo man über die politische Situation diskutiert, während die DDR-Bürger schon in Prag in der Botschaft sitzen – und hier die Musiker im Land der Mangelwirtschaft Gitarrensaiten und Trommelstöckern hinterherjagen. „Das war schon absurd“, erinnert sich Krahl. Die Resolution des Verbands, die auch Toni Krahl unterschreibt, mit der Aufforderung an die Regierung, die Lage der Bevölkerung endlich ernst zu nehmen, sei wie eine Bombe eingeschlagen, erinnert er sich. „Wir Rockmusiker konnten uns auch leisten, so offen zu reden, wir hatten eine gewisse Unabhängigkeit – und den Kontakt zu Basis“.
Und heute lieben die Fans die Lieder, die damals alles ausdrückten, was wichtig war, immer noch. Wenn sie „Wand an Wand“ spielen, ihr Lied über die Anonymität in den Wohnblocks der Großstadt und unmissverständliche Metapher für die Teilung Berlins, sind die Leute schon bei der Ansage begeistert, sagen sie. Er wolle sich nicht selbst loben, aber das mache einen großen Song aus, sagt Fritz Puppel: dass er nach all der Zeit noch Bestand hat.
In ihren ganz persönlichen Bestand investieren sie so einiges: Zwei von ihnen laufen Marathon, einer trainiert im Studio seine Rückenmuskeln. „Für immer jung“ nannten sie ihr 22. Album, aus dem sie viel singen werden, obwohl „wir schon wissen, was los ist, wenn wir früh in den Spiegel gucken“, sagt Krahl. Aus der hohen Stirn wurde, nicht nur bei ihm, eine Glatze, und im Büro gibt es leckeren Ingwertee. Aber noch weigere er sich, auf dem Altenteil Rosen zu züchten. Stattdessen habe er erfreut festgestellt, dass man auch jenseits der 60 noch verletzbar – und fähig zu neuem Glück ist. Für ihn ist das auch seine elfjährige Tochter, und drei der Musiker haben im Alter noch einmal geheiratet. „Es hört einfach nicht auf.“
Das wird sich im Konzert zeigen. Laut wird auch die Unplugged-Version, und nein, es gibt kein sanftes Cajón als Schlagzeug-Ersatz. „Haben wir probiert in den Proben, aber das war nix.“ Klaus Selmke wird sich also in der ihm ganz eigenen Pose hinter seine Trommeln klemmen. Wenn sie was machen, dann richtig. Etwas anderes als das können sie sich ohnehin nicht vorstellen.
Am Donnerstag, 7. März, 20 Uhr im Nikolaisaaal, Wilhelm-Staab-Straße 10/11. Die Karten kosten 25, 30 und 35 Euro
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