
© Manfred Thomas
Von Heidi Jäger: Ruß und Engelsgesang
Iwans gesammelte Werke im Kunstwerk / Augenzwinkernde „Resteverwertung“
Stand:
Einst war er „Stein“ des Anstoßes und störte den himmlischen Frieden. „Lasst die Sterne am Himmel – auf der Erde ist genug Getümmel“, schrieb eine Kritikerin über den 15 Meter langen Läufer, der 2003 in der Stülerkirche in Caputh ausgerollt war und auf Erden das Sternenbild der Kassettendecke des Gotteshauses spiegelte. Das von verschiedener Hand genähte blaue Fließ brachte die Sterne zum Greifen nahe und sorgte durchaus auch für positives Echo. Lange Zeit eingerollt und in die Ecke gestellt, liegt er nun wieder zu Füßen der Besucher. Diesmal im Kunstwerk und seiner ursprünglichen Bestimmung entrissen. Denn der zur Decke emporstrebende Läufer ist Teil einer Ausstellung, die Rückschau hält: auf zehn Jahre Iwan.
So heißt eine siebenköpfige Künstlergruppe, die an verschiedenen Orten im Land Brandenburg mit ihren Werken immer wieder lustvolle Irritation betreibt. Umfeld und Kunstobjekte gehen in den Händen von Eva und Karl-Heinz Kowalski, Jeannette Goldmann, Monika und Günther Olias, Lore Sadowski und Edith Wittich in wundersame, oft aufrührerische Weise eine Liaison ein. Ob im stillgelegten Stahlwerk Brandenburg, der einstigen Preußischen Pulverfabrik Kirchmöser oder in einem Kuhstall des Kunsthofs Lietzen im Oderbruch.
Von diesen einst raumgreifenden Projekten gibt es nur noch Relikte und liebevolle Dokumentationen. Die jetzige „Resteverwertung“ im Kunstwerk ist insofern auch Arbeit und fußt auf Lust am Stöbern in die Vergangenheit. Sie erschließt sich nicht unbedingt auf den ersten Blick, wirkt eher wie ein Sammelsurium verschlüsselter Botschaften. Um diese aufzulösen, muss sich der Besucher Zeit nehmen, um dann durchaus belohnt zu werden. Die poetisch-pointiert geschriebenen Beschreibungen von Jeannette Goldmann könnten der passende Schlüssel für die Auflösungen sein.
Wie für die „Spurensuche“ im Stahlwerk Brandenburg, die Iwan 1997 betrieb. Die Künstler bahnten sich damals ihren Weg zwischen Schrottbergen, Gleisen und riesigen Hallen in Leerräume. Denn wo es einst 24 Stunden am Tag krachte, quietschte, hupte und pfiff, herrschte nun Stille. „Die Erinnerung an Qualm, Dreck und Feuer ist festgehalten auf transparentem Papier, der Staub hat sich dort abgelagert und auch die Wehmut, Unwiederbringliches verloren zu haben“, ist in Iwans Textbuch zu lesen. Doch Iwan verliert sich nicht in nostalgischer Einkehr. Bei allem Verlust konstatieren die Künstler: „Haben wir nicht lange genug darum gerungen, dass es ein Ende hat mit dem Dreck und dem Qualm?“
So erinnern die aus Fundstücken gebogenen und geschmiedeten filigranen Metallobjekte, die jetzt für das Kunstwerk reaktiviert wurden, auf feinsinnige Weise an verrauchte Schornsteinschlote, an Verlust und Gewinn. Besonders das heruntergezogene Fensterrollo macht den Ruß der Geschichte zur sinnlichen Metapher.
Über diesen Abgesang eines alten Werkes schweben jetzt vier versprengte Engel, die sich aus einer 300-köpfigen Himmelsbotenschar ins Kunstwerk herüberretten konnte. Einst füllten sie die St. Petri-Kapelle in Brandenburg. Von dieser engelsgleichen Invasion, die den Kirchenraum wundersam verzauberten, ist nur noch ein zarter Akkord zu vernehmen. Denn dem ursprünglichen Raum und Widerspruch entrissen, gebärden sich diese Engel-Waisen eher sittsam und fein und nicht mehr kraftvoll im Chor posaunend.
Wer sich die steile Treppe des Kunstwerks in der Hermann-Elflein-Straße nach oben begibt, teilt schließlich auch Iwans „Freude am Warten“. Denn vis-á -vis der Stufen gibt es ein Gedränge von Haltestellenschilder aus Styropor, die in bemalten Milchkartonschuhen stecken. Warten, bis man schwarz wird, und schon ganz gelb ist vor Ärger, ist die unmissverständliche Botschaft dieser künstlerischen Attacke auf geschlossene Bahnhöfe, die Teile Brandenburgs stilllegen: Iwan setzte die Lok auf dem Abstellgleis wieder unter Dampf. Mit einem Augenzwinkern, das sich durch die gesamte Kunstwerk-Retrospektive zieht.
Iwan bleiben auch künftig auf der Suche nach dem Goldenen Vlies als Sinnbild für die Suche nach dem Wunderbaren. Auch wenn es kein Labyrinth mehr gibt, kein Drahthirsch mit goldenem Geweih, kein geflügeltes Schiff wie einst im Kuhstall-Projekt von Lietzen. Die wandfüllende goldene Fläche im Kunstwerk lädt dennoch flirrend ein, den Weg mit Iwan weiter zu gehen.
Zu sehen im Kunstwerk, Hermann-Elflein-Straße 10, Hinterhof, bis 14. Februar, Mi, Fr, Sa und So 15 bis 19 Uhr, Do 15 bis 22 Uhr
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