Kultur: Salonkultur im Sozialismus
Witzig bis tiefgründig: Der neue Band des Potsdam Museums über die Geschichte des Kulturhauses „Hans Marchwitza“
Stand:
Die Karten für die Faschingsfeiern waren begehrt wie Baumaterial. Und wurden auch so gehandelt – gegen Fliesen und andere Kostbarkeiten in der DDR. Bis an die 2000 Leute strömten jährlich zu den Karnevalsfesten am Alten Markt, um im staatlichen Kulturhaus zu feiern – „solange der Atlas die Kugel trägt“, wie das Motto etwa 1982 lautete. Wer feiern wollte, kam ins Haus, mit Eintrittskarte oder ohne, durch offizielle oder über unkontrollierte Eingänge, Fenster oder Kellertüren. Bei den Faschingsfesten im Haus traten die undichten Stellen in der DDR-Kulturpolitik am deutlichsten zutage.
Die Wege an staatlich verordneter Kultur vorbei waren vielfältig und nicht nur zur Narrenzeit begehbar. Das zeigt die Foyerausstellung „Unterm goldenen Atlas“ wie auch die neue Publikation gleichen Titels des Potsdam Museums – Nachfolgeeinrichtung des Kulturhauses –, die am heutigen Samstag aus Anlass des Internationalen Museumstages erscheint.
Vor 50 Jahren wurde das im Zweiten Weltkrieg zerstörte ehemalige Rathaus als Kulturhaus mit dem Namen des Arbeiterdichters Hans Marchwitza eröffnet. Mit ihm sollte als Teil des wiedererbauten historischen Ensembles „eine Stätte der Befriedigung der kulturellen Bedürfnisse“, so Architekt Horst Görl, geschaffen werden. Entstanden ist rückblickend ein Stück Potsdamer Gesellschaftsgeschichte. Das Kulturhaus lasse sich nicht ins Raster der DDR-Kulturhäuser einordnen, sagt Architekturhistorikerin Simone Hain. „Es ist ein ganz eigenes.“
Die Idee der Kulturhäuser entstand bereits Mitte des 18. Jahrhunderts in Frankreich im Kontext der europäischen Aufklärung. Die Häuser beziehen sich als Gegeninstitution ausdrücklich auf den vierten Stand, die Arbeiter, und haben bis heute europaweit Tradition. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges lebten diese Institutionen nach russischem Vorbild auch im Osten Deutschlands wieder auf.
Mit dem Ende der stalinistischen Ära beginnt – in Anlehnung an die Lenin-Gattin und sowjetische Kulturpolitikerin Nadeschda Krupskaja – eine neue Sicht auf die Kulturhäuser: Die Idee der dezentralen Klubs der Arbeiter setzt sich durch, die Zeit der opernmäßig großen Volkspaläste, wie sie auch in der DDR in Industriegebieten Bitterfeld oder Wolfen entstanden, ist vorbei. Stattdessen sollen kommunale, multifunktionale Kulturstätten inmitten der Wohngebiete die Idee des Kommunizierens und des Austauschs miteinander vermitteln. Die Kultur soll zu jedem zweiten Herzschlag des sozialistischen Lebens werden – so der Ausspruch des Arbeiterdichters Hans Marchwitza, dessen Schriftzug von Walter Bullert das Potsdamer Kulturhaus ziert.
Kultur wird zum Lebenszeichen des Volkes: Der Potsdamer Kulturwissenschaftler Helmut Hanke, Ehemann der damaligen Potsdamer Bürgermeisterin Brunhilde Hanke, hatte dafür den theoretischen Vorbau geliefert. Er hatte für die DDR das Phänomen „Freizeit“ entdeckt, wie Historikerin Hain erläutert. „Spiel statt Norm“ war die Devise. Und das „Hans Marchwitza“ hatte dafür alles zu bieten: Neben einem Theatersaal gab es zehn kleinere Räume für Zirkel, Chorproben, Ausstellungen.
Allerdings war die neue Freiheit letztlich doch nur eine Zweck-Freiheit: Denn schließlich waren die Klubhäuser nicht zuletzt dazu da, das Freizeitverhalten der Bürger zu lenken und den sozialistischen Menschen zu formen. Weit entfernt vom bürgerlichen Verständnis von Freiheit und Freizeit diente auch das Potsdamer Kulturhaus als Hort der Aktivitäten der Arbeiterklasse – vom Zirkel schreibender Volkspolizisten über den Bauhandwerkerchor, den Verband bildender Künstler bis hin zu den „Malenden Ärzten“ des Bezirkskrankenhauses. „Kulturhäuser waren primär Institutionen der Kontrolle von Freizeitaktivitäten“, so die Sozialwissenschaftlerin und Mitarbeiterin des Potsdam Museums, Wenke Nitz. „Sie besaßen aber auch eine relative Selbstständigkeit und konnten damit Nischen des Eigensinns schaffen“, schreibt sie in dem Band in ihrem Essay „Kulturpolitische Massenarbeit – Kontrolle von Freizeitaktivitäten und gesellschaftliche Treffpunkte im Kulturhaus ,Hans Marchwitza’“.
Am deutlichsten zeigen sich diese Nischen des Eigensinns am Ausstellungsprogramm des Hauses. Da gab es etwa 1981 die Schau „Französische Fotografien – Von den Anfängen bis zur Gegenwart“ – in der DDR „eine Riesen-Sensation“, wie Ute Samtleben, Ausstellungsleiterin in den Jahren zwischen 1971 und 1981, heute sagt. Denn zur Ausstellungseröffnung – erstmals gab es eine richtige Vernissage – meldeten sich der französische Kulturattaché und der Botschafter an und auch die DDR-Bezirksspitzen mussten antreten. Als absoluten Luxus gab es einen Katalog, „Besucher kamen aus der ganzen Republik“, erzählt Samtleben. Auch ihre Ausstellung mit Werken eines kambodschanischen Künstlers, die erste über die Verbrechen der Roten Khmer in der DDR, sorgte für Wirbel. „Damit löste ich hier eine Welle aus“, erinnert sich Samtleben. Das Vorhaben habe sie komplett gegen die Entscheidung der Leitung durchgesetzt. Aber wie bereits bei den Franzosen meldeten sich auch zu dieser Ausstellung westeuropäische Attachés an und auch die DDR-Kulturpolitiker kamen nun um das politische Thema nicht mehr herum. „Ich habe zwar hinterher Anerkennung bekommen, aber vorher bin ich von allen Seiten boykottiert worden, schreibt Ute Samtleben in dem Band. Ihre und andere Zeitzeugenberichte runden den Band ab mit ihren tiefgründigen, manchmal witzigen Einblicken in das kulturelle Gedächtnis eines Hauses und einer ganzen Stadt.
Der Band „Unterm goldenen Atlas“ wird heute beim Atlasfest um 14 Uhr im Potsdam Museum vorgestellt.
– Potsdam Museum – Forum für Geschichte: „Unterm goldenen Atlas“ Zum 50. Jahrestag der Eröffnung des Kulturhauses „Hans Marchwitza“. Erhältlich im Potsdam Museum, 10 Euro.
Grit Weirauch
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: