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Von Richard Rabensaat: Schattenfrüchte

„MARKierungen“ im Dieselkraftwerk Cottbus: eine Gemeinschaftsausstellung mit dem BVBK

Stand:

Drei Windhunde bewachen eine schrundige Landschaft. Schwarze Striemen legen sich über rot hervorbrechende Ackerkrumen. Seerosen schwimmen im unbestimmten Raum auf dem Bild von Gudrun Venter. Die Hunde sehen aus wie von Narben gezeichnet. In Hab-Acht-Stellung posieren sie im Kunstmuseum Dieselkraftwerk Cottbus. „Windspiele, oder die Stofftiere des Königs“ nennt Solveig Karen Bolduan ihre Installation. Sie möchte ihre Arbeit eigentlich nicht erklären, spricht dann aber doch über „Preußen als Negativgebilde“, das die 51-Jährige in ihrer Kindheit kennen gelernt habe.

„MARKierungen“ ist der Titel der Ausstellung von zwölf Künstlern, die vom Dieselkraftwerk zusammen mit dem in Potsdam ansässigen Brandenburgischen Verband Bildender Künstler initiert wurde. Die erste Zusammenarbeit dieser Art.

„MARKierungen“ sei eine „Suche nach eigener Standortbestimmung, eine künstlerische Forschung nach Herkommen, Lebenswegen und Zukunftslinien“, erklärt der Kurator Jörg Sperling. „In der Mark Brandenburg herrscht eine eher tradierte Bildauffassung vor“, räumt er ein. Diese Einschätzung bestätigen schöne Holzschnitte von Hans Georg Wagner ebenso wie sorgsam abgezogene Silbergelatinefotos von Alexander Janetzko. Vielleicht gerade wegen dieser Bildauffassung wirkt die Ausstellung wie eine stimmungsvolle Momentaufnahme. Obwohl die vertretenen Positionen vielfältig sind, prägen die mittlerweile immer dünner besiedelte Landschaft und die unmittelbar vergangene Geschichte erkennbar die Lebenswege und Arbeitsweisen aller Künstler.

Da sind beispielsweise die Schattenfrüchte von Ilka Raupach. Aus hellem Porzellan geformt liegen sechs runde Kartoffelformen in einem Glaskasten. Kleine Puppenarme und -beine ragen aus ihnen heraus. Kurfürstin Louise Henriette von Oranien habe Gartenbaukunst in Brandenburg kultiviert und Kartoffeln anbauen lassen, bemerkt Raupach. Zu Henriettes Zeiten wurde die Kartoffel noch vorwiegend als Zierpflanze wegen ihrer schönen Blüte geschätzt. Nach der Arbeit verbringt auch die Künstlerin ihre Zeit häufig im Garten. Nicht nur das verbindet sie mit der Fürstin. Das Porzellan, das Material der Puppenkartoffelknollen, präsentierte die Herrscherin im ersten europäischen Porzellankabinett, auch daran erinnert der durchsichtige Glasquader.

Auf den Sohn Henriettes nimmt Rainer Ehrt mit seiner Installation „lange und kurze Kerls“ Bezug. Friedrich von Brandenburg unterstand das altpreußische Infanterieregiment aus hoch gewachsenen Männern, das später unter Friedrich dem Großen einige Berühmtheit erlangte. Ehrt ist den Holzfiguren mit Säge, Messer und anderem Gerät zu Leibe gerückt. Damit wolle er „Gegenstücke zu absolutistischen Herrscherporträts schaffen“, beschreibt der Künstler seine Arbeit und kritisiert zugleich „Unehrlichkeit gegenüber der Vergangenheit“. Mit dem Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses werde versucht, mit „neobarockem Pomp“ die deutsche Geschichte zu vertuschen, weil man sie „nicht ertragen könne“. Dementsprechend kritisch präsentiert auf seinem Bilderzyklus eine rotgesichtige, wenig sympathisch erscheinende Dame Baudenkmäler vor einer hohlen Rüstung aus der Geldscheine flattern. Mickey Mouse grinst auf einem Schimmel zusammen mit dem Preußenkönig. Über ihnen fliegt ein Preußenadler, der bedrohlich die Krallen ausgefahren hat.

Nicht nur die monarchistische Vergangenheit, sondern auch die verblichene sozialistische ist deutlich erkennbar ein Bezugspunkt für die Künstler. So hat Jonas Ludwig Walter in der 1990 stillgelegten Papierfabrik Hohenofen mit einer Großbildkamera Porträts der Arbeiter aufgenommen, die dort bis zur Stilllegung beschäftigt waren. „Hier hab ich gedacht, werd ich jetzt hundert Jahre alt“, beschreibt der Heizer und Kranführer Jürgen Patschull die Haltung, mit der er 18 Jahre zur Arbeit in der Fabrik gefahren war. „Das Ende kam so plötzlich. Hier haben Generationen gearbeitet, ganze Familien und dann war Schluss. – Und diesmal so endgültig“, resümiert die Buchhalterin Liane Bolle.

Die melancholische Stimmung der Porträts findet sich auch in den Setzkästen wieder, die Fritz Fabert unter dem Titel „Archäologie der Arbeit“ zeigt. Rostige Sägen, Sichel und Zangen finden sich neben rot-gelb schimmernden Äpfeln. Zivilisationsmüll und die Schöpfungen der sich ausbreitenden Natur habe er an abgewickelten und vergessenen Orten der Industrie- und Militärgesellschaft eingesammelt, erklärt der Künstler. Mit einfühlsamer Akribie listet er kleine Dinge, die ihm bei seiner Spurensuche in die Hände fallen. Neben dem ordentlich gescheitelten Puppenkopf eines jungen Mannes finden sich Glühbirnen, von Rost zerfressener Draht und ein quietschrotes Schalterelement.

Auch die natürliche Landschaft findet ebenso wie die Industrielandschaft Eingang in die Ausstellung. „Ich mag die Weite, die Leere, die Horizontlinie zwischen Himmel und Erde und genieße das Land als Kontrast zur Stadt“, schildert Ilse Winckler die positiven Aspekte der Region. Sie verarbeitet Stoffschnittmuster und kombiniert sie mit Fotos von Gräsern und Wald. Das sei gar nicht so romantisch gemeint, wie der vorschnelle Betrachter meinen könnte. Auch in Brandenburg fänden sich Zersiedelungen durch Einfamilienhaussiedlungen von Pendlern mit großem Fuhrpark und Windparks. Die Schnittlinien können als Verweis darauf gelesen werden.

Wo einerseits Bau- und Landschaftsplanung das Gesicht von Feld- und Wald verändern, finden sich auch Spuren von urtümlicher Natur, die das Leben der Menschen ebenso prägen. In seiner dunkel gehaltenen Serie von Jagdstillleben verdichtet Ingar Krauss Momente, in denen „unter dem zivilisatorischen das Primitive, Archaische durchscheint“. Das klingt ein wenig hochtrabend, findet seine stimmige Ausformung aber in düster schimmernden Fotos von erlegten Rehen oder aufgehäuften Hasenleibern.

Mit Kohlezeichnungen auf Packpapier, Wortfetzen und gekritzelten Zeichen regt Christiane Wartenberg an, über den eigenen Jäger- und Gartenzaun hinaus zu sehen. „Meines Nachbarn Europa beginnt am Küchentisch und reicht weit hinüber bis zum Gartenzaun – meines Nachbarn Europa“, schreibt sie auf einer ihrer großformatigen Zeichnungen.

MARKierungen: Zu sehen noch bis zum 11. April im Dieselkraftwerk Cottbus, Uferstraße/Am Amtsteich 15, dienstags bis sonntags 10-18 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr geöffnet

Richard Rabensaat

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