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Kultur: „Schattenkinder“ ins Licht

„gebaut!“: Mit dem neuen Architekturführer lässt sich Potsdam mit geschärftem Blick entdecken

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Potsdams Stadtmauer hatte nie eine wirkliche Schutz- oder Verteidigungsfunktion. Sie diente vielmehr dazu, Steuern einzutreiben und Soldaten der Garnison an der Flucht zu hindern. An dem etwa 160 Meter langen, restaurierten Mauerrest in der Großen Fischerstraße beginnt der Spaziergang, zu dem der Architekturführer Potsdam „gebaut!“ einlädt.

Das sehr informative und übersichtlich gestaltete Kompendium beschreibt über 200 Gebäude und Ensembles, die zumeist im Schatten der Schlösser und Gärten stehen. Zu Unrecht, wie der von Catrin During und Albrecht Ecke verfasste Wissensspeicher beweist. Nicht nur für Touristen fasst er zusammen, was diese Stadt ausmacht: Exklusive Villen neben sozialistischen Großsiedlungen, Architekturzitate auf europäische Bauten neben Lücken und Brüche als Ergebnis des Zweiten Weltkrieges und der ideologisch gefärbten Moderne in der DDR. Aber auch eine heute bedingungslose Denkmalpflege, „die sicher manchmal über das Ziel hinaus schießt, aber alles dafür getan hat, das Gesamtkunstwerk Potsdam zu schützen“, wie die Autoren betonen.

Zu dieser Gesamtheit gehören auch die neuen Stadtteile im Plattenbau sowie die umliegenden Dörfer im ländlich-märkischem Charme, die das Buch mit durchwandert. Es zeigt Kirchen, Wohnhäuser, Mühlen, Institute, Tankstellen, Brücken, Fabriken, Kasernen, Bahnhöfe – nicht nur als kleine Visitenkarten in Form von Fotos, Bauzeit, Bauherr und Architekt. Es gibt auch einen kurzen geschichtlichen Abriss, der oft das Leben in den verschiedenen Zeiten spiegelt. Wie das von Unger 1772 erbaute Lazarett in der Lindenstraße 25. Hinter der relativ schmucklosen Fassade wohnte damals der Militärsanitäter. Einzig die beiden Sandsteinfiguren des Bildhauers Philipp Gottfried Jenner belebten das Äußere. Sie stellen zwei Behandlungssituationen dar: eine mit Klistier und eine mit Arzneiglas. „Offenbar sollten die Figuren die kranken Gardisten eher abschrecken denn zum Arztbesuch einladen“, mutmaßen die aufmerksamen „Stadtwanderer“.

Die Wohnhäuser in der Großen Fischerstraße 3 bis 10 wurden für die in Potsdam ansässigen Fischer im Stil des späten Barock gebaut: „Die Eigentümer erhielten die Fischereigerechtigkeit, das heißt sowohl Käufer als auch Mieter und sogar die Erben mussten das Fischereigewerbe betreiben. So blieb die Struktur des Viertels bis Anfang des 20. Jahrhunderts erhalten“, ist zu lesen.

Über die 1932 bis 1934 gebaute Wohnanlage „Am Stadtrand“ ist zu erfahren, dass sie nach der Weltwirtschaftskrise von arbeitslosen Handwerkern selbst erbaut und anschließend unter ihnen verlost wurde. „Das gewährleistete eine hohe Qualität, da niemand wusste, welches Haus er einmal bekommen würde.“

Der Architekturführer schlägt einen weiten Bogen bis in die Jetztzeit, nimmt den Leser auch mit in die umgekrempelte Schiffbauergasse oder ans „Glienicker Horn“. Mit dieser Broschüre unterm Arm lässt sich Potsdam mit geschärftem Blick entdecken. Heidi Jäger

Catrin During und Albrecht Ecke: „gebaut!“, 175 Seiten, Lukas Verlag, 16,90 €.

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