Kultur: Schinkels „Sorgenkind“
Die Nikolaikirche wurde vor 25 Jahren wieder eingeweiht / Heute findet man im Gotteshaus ein reges Gemeindeleben
Stand:
2. Mai 1981. Die evangelische Nikolaigemeinde nimmt wieder ihr Gotteshaus auf dem Alten Markt in Besitz – nach 36 Jahren. Bischof Albrecht Schönherr, die Pastorin Anna-Lise Schröder, die Pfarrer Wolfgang Hering und Karl-Ernst Schmidt sowie Mitglieder des Gemeindekirchenrates ziehen in die Kirche ein: Kruzifix, Bibel, Leuchter, Abendmahlskelche, Patene und Taufschale hinein tragend. Im Kirchenschiff haben neben der Gemeinde, der Kirchenleitung und der Ökumene auch Potsdams Oberbürgermeisterin Brunhilde Hanke und Vertreter des Rates des Bezirkes Platz genommen. Von der Orgelempore erklingt die Bach-Kantate „Wir danken dir, Gott“. Kantorin Hanna-Maria Schuster dirigiert vor ihrem Ruhestand letztmalig den Nikolaichor und erstmalig in der Kirche. Wolfram Iwer wird zukünftig die musikalischen Geschicke an der Nikolaikirche leiten. Am Abend wird zu einem Konzert eingeladen. Die Kantorei an der Erlöserkirche, ein Orchester sowie die Solisten, unter anderen Adele Stolte und Andreas Scheibner, musizieren Bachs Magnificat und den Lobgesang von Felix Mendelssohn Bartholdy unter dem Dirigat Friedrich Meinels.
Der 2. Mai 1981 – die Wiedereinweihung der Nikolaikirche ist ein wahrer Festtag für die Gemeinde, für die Potsdamer und für Christen in den damaligen beiden deutschen Staaten. Die Kirchen im Westen Deutschlands und darüber hinaus haben sich vor allem finanziell am Wiederaufbau der Potsdamer Kirche beteiligt.
Der Luftangriff auf Potsdam am 14. April 1945 macht auch vor der Nikolaikirche nicht Halt. Hanna Grisebach, die Frau des bekannten Kunsthistorikers August Grisebach, schreibt über die letzten Kriegstage in Potsdam: „Der Alte Markt bietet einen erschütternden Anblick. Schinkels Nikolaikirche, deren hoch ragende Kuppel den Fremden schon grüßte, wenn er sich im Zuge der Stadt näherte, und ihr Sinnbild war wie die Peterskirche für Rom, ist zusammengesunken wie ein Ballon, dem die Luft entwichen ist. Die gewaltigen Säulentrommeln der Fassade sind wie ein Steinkatarakt, die große Freitreppe hinunter gestürzt und rufen Erinnerungen an die griechischen Tempelruinen auf Sizilien wach. Der ganze Platz mit den gestern noch so festlichen Bauten Knobelsdorffs, dem Stadtschloss, dem Palazzo Barberini ... bilden ein einziges, von Rauch und Brandgeruch erfülltes Trümmerfeld.“
Die Nikolaigemeinde und die Berlin-brandenburgische Kirchenleitung sind sich einig: Karl Friedrich Schinkels berühmte Kirche muss wieder aufgebaut werden. Dazu veröffentlicht der Gemeindekirchenrat 1948 eine Denkschrift, in der es heißt, dass mit einem Kostenaufwand von 760 000 Mark die Kuppel und der Innenraum für Gottesdienste interimistisch hergestellt werden können. Zwei Jahre später findet am Pfingstmontag ein Gottesdienst in der provisorisch hergerichteten Kirche statt. Die Öffentlichkeit soll damit verstärkt auf den Wiederaufbau aufmerksam gemacht werden. Die staatlichen Stellen legen dem Vorhaben wenig Steine in den Weg, denn Potsdam bedarf der prägenden Kuppel der Nikolaikirche. Der Garnisonkirche mit ihrer nicht ganz unkomplizierten Geschichte wird dagegen seitens der SED-Führung völlig der Garaus gemacht, auch der noch vorhandene Turm der Heiligengeistkirche fällt der Spitzhacke zum Opfer. Neben den Platten-Hochhäusern soll in Potsdams Mitte von den sakralen Bauten nur noch die Nikolaikirche Platz haben.
Mitte der fünfziger Jahre beginnen die Arbeiten an der Kirche. Sie erhält eine 47 Tonnen schwere Stahlkonstruktion für die Außenkuppel, 1958 wird sie mit Holz verschalt und anschließend mit Kupfer eingedeckt. Zwei Jahre später – nach dem Aufsetzen der neuen Kuppellaterne – krönt St. Nikolai wieder ein vergoldetes Kreuz auf einer Weltkugel, das vier Meter hoch ist. Als 1968 Potsdam als „Stadt des kirchlichen Wiederaufbaus“ ausgerufen wird, geht es auch mit der Rekonstruktion des Gotteshauses weiter – bei der Fassade und im Innenraum. Natürlich wird denkmalgerecht saniert, aber die Kirche erhält mehrere moderne Funktionsräume, die für das damalige und heutige Gemeindeleben unerlässlich sind.
Doch die Kirche ist für die Gemeinde 2006 wieder ein Sorgenkind. Das Gebäude bedarf einer Sanierung. Um sie abzusichern, ist man auf der Suche auch nach ungewöhnlichen Finanzquellen.
Die Nikolaikirche bereitet bereits Baumeister Karl Friedrich Schinkel von Beginn der Planungen an, Ärger. König Friedrich Wilhelm III. wünscht sich für den Neubau auf dem Alten Markt, dort, wo die abgebrannte barocke Nikolaikirche steht, eine Basilika. Schinkel und auch der Kronprinz Friedrich Wilhelm (IV.) wollen dagegen einen Kuppel- und damit Zentralbau. Doch der König gibt schließlich den Befehl, einen Zentralbau ohne Kuppel zu errichten, dazu einen mit Reliefs geschmückten Giebel. Ärger hat der Architekt auch mit der Akustik. Und obwohl Schinkel höchstpersönlich mit den Predigern probt und ihnen Ratschläge erteilt, versteht die Gemeinde zur Weihe 1837 kaum ein Wort. Friedrich Wilhelm III. meint sogar: „Das ist ja in einer ganz gewöhnlichen Dorfkirche besser“. Schinkel erlebt nicht mehr, dass seine Kirche ein Wahrzeichen Potsdams wird. 1841 stirbt er, ein Jahr früher bereits der König. Der neue Monarch Friedrich Wilhelm IV. beauftragt Ludwig Persius, den Bau zu vollenden. In vierjähriger Arbeit wird die Kuppel hochgezogen, vier Türmchen mit den weit über die Stadt schauenden Engel schmücken die Kirche.
Die Nikolaikirche beherbergt heute unter ihrer Kuppel eine rege Gemeinde, die sich seit 1982 aus den Stadtgemeinden Heiligengengeist, Teltower Vorstadt und Nikolai zusammensetzt. In der Vielfalt der Veranstaltungen findet man spezielle Angebote für die Jugend und für die Senioren, Vorträge und Ausstellungen. Die Kirchenmusik, die nun in Kantor Björn O. Wiede einen sehr engagierten Sachwalter hat, besitzt trotz schwieriger Akustik einen großen Stellenwert in St. Nikolai. Die Konzerte mit dem Kirchenchor, Orgelmusik auf der neuen „Königin der Instrumente“, die alljährlichen Adventsliedersingen Potsdamer Kirchenchöre, die Bachtage gehören zum musikalischen Leben der Stadt.
Auch an diesem Wochenende wird, wie bereits in den Tagen zuvor, der Wiedereinweihung der Kirche vor 25 Jahren gedacht, zugleich ihres großen Baumeisters Schinkel, der das Gotteshaus bis zu seinem Lebensende als sein Sorgenkind betrachtete, und dessen 225. Geburstag in diesem Jahr gewürdigt wird.
Heute, 19 Uhr Festakt und Festkonzert; 6. 5., 17 Uhr Schinkel-Lesung mit Musik, 7. 5. 10 Uhr Gottesdienst, 17 Uhr Konzert
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