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Kultur in Potsdam: Schlossgeistern im Ländchen

Wiepersdorf wiederentdecken? Am besten bald! Ab August wird saniert.

Wer glaubt schon an Götter und Geister? Nö, hat mir keiner anerzogen.

Trotzdem. Klar gibt es ihn, den Geist von Wiepersdorf. Tage und Wochen hat er – sie? – mich abgehalten von dringender, mitgebrachter Arbeit. Hat aus Bäumen geflüstert, mit steinernen Händen, Sensen, Lauten gezeigt. Mir und ungezählten Kolleginnen und Kollegen vorher. Auch immer Radlern oder Schlösserpilgern. Geistreichtum also, gerade hier? Im strukturschwachen, feldflachen Landstrich? Einsiedelei zu nennen, mit Fug und Recht.

Wiepersdorf ist Niederer Fläming, ist Brandenburg, bescheiden und stur, voller Sand und (meist militärischer) Geschichte. Bestimmt einst von Wenden, Sorben. Und über Jahrhunderte von Hohenzollern. Einer der Langen Kerls des Soldatenkönigs machte Wiepersdorf zum Hauptgut seines Ländchens Bärwalde. Nur wenig später nächster alter Adel am Zug: von Arnim. Einer hieß Achim, wuchs auf in Zernikow und Berlin. Studierte, reiste, sammelte mit Clemens Brentano Volkslieder für „Des Knaben Wunderhorn“. Eine, die beim Wundern half (studieren durfte eine Frau ja nicht), die von Begeisterung viel wusste, hat schließlich eingeheiratet in die Arnimfamilie, 1811. Bettina! Geborene Brentano. Die Jugendfreundin Günderode hatte vor dem eigenen frühen (Frei-)Tod geglaubt, „daß Du einen Dämon hast, der Dich wieder stärkt, wie könntest Du sonst alles fassen?“.

Bettina blieb bei ihrem Landsturm-Achim im brodelnden Berlin. Erst materielle Sorgen trieben das Paar 1814 ins Ländchen. Einer märchentauglichen Schar sollte Bettina Leben schenken. Doch statt Krähen-Wiepersdorfer Bukolik bald Berliner Schulen für die vier Söhne und drei Töchter.

Achim blieb die meiste Zeit in Wiepersdorf. Gutsbewirtschafter, Ländereien-Umstrukturierer nach den Stein-Hardenbergschen Reformen; vielleicht ordentlicher, vielleicht missvergnügter Junker. Und andererseits schier überflutet von Fantasie. „Mir ist zu licht zum Schlafen“, heißt ein Gedicht. In „Die Majoratsherren“ doziert ein solcher: „Die Physik der Geister war von je mein Lieblingsstudium.“

1831 starb Achim von Arnim plötzlich. In Wiepersdorf. Und Bettine, die Witwe? Half Cholerakranken und Armen, und schrieb. Offen als Schriftstellerin erst jetzt. Vier Jahre nach Achims Tod erschien „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde“. „Feuergeist“ soll sie sich selbst genannt haben, 1847, als sie sich verteidigen musste vor Gericht. Wegen Magistratsbeleidigung wohl, nicht wegen ihrer forschen Königsbücher. Mitunter war Berlin, wo sie „die Schule der Dornen, Distlen und Brenneßlen durchmachen mußte“, zu viel. Manchmal tauchte sie in Wiepersdorf unter wie in einem grünen Meer.

Noch stärker zu Schloss und Fläming-Olymp wurde Gut Wiepersdorf unter Achim von Arnim-Bärwalde, ihrem Enkel. Er baute Orangerie und Atelier, formte den Park um, ließ Eternita, Zeus und Apolo steinern hindurchschreiten, Zwerge, kolossale Vasen und auch Saturno mit der Sense. So, wie er es erträumte, träumen Parkbesucher noch heute, und erschrecken vielleicht vor seinem Täuschbild in der Museumstür.

Und genauso durften auch (meist eher arme) Schriftsteller und Künstler träumen, an diesem für die Mark Brandenburg fast schon unwirklichen, italienischen Ort. Von 1947 an konnten förderungswürdige Dichter hier kostenlos Aufenthalt für ungestörte Arbeit nehmen. „Nie so sorglos und froh gewesen ... wie in der Zeit, in der wir dort waren und im Wald herumliefen“, schrieb Anna Seghers. Und Sarah Kirsch: „Ich glaube eher an Bäume als an Gott.“ Hildegard Maria Rauchfuß, Dichterin für die Leipziger Pfeffermühle oder für Citys von der Geige in die Welt getragenes Lied „Am Fenster“, sagte damals: „Der Geist, der in Wiepersdorf über allem schwebt, inspiriert nicht nur ideell – auch das Materielle hält Seele und Kopf zusammen.“ Es gilt bis heute.

Wenngleich keine Sowjets mehr im Gartensaal „sto gram“ eingießen. Essen am Platz serviert wird auch lange nicht mehr. Das Vieh, das man einst zur besseren Schriftstellerverköstigung hielt, beschränkt sich auf ein paar Vögel. Und, nun ja, Schiller. Rothaarig, am ersten Arbeitstag 2006 der Direktorin Anne Frechen zugelaufen und geblieben. Poet Norbert Lange gab dem Kater den Namen. Der irgendwann verschwundene Schlossteich-Schwan gab ihm Duldung, Hunderte Stipendiaten Zuneigung, die großzügig erwidert wurde. Einige gute Seelen des Hauses sind seit vier Jahrzehnten hier tätig. Ihnen tut weh, wie aus 60 zu versorgenden Stipendiaten 40 wurden, 20, zehn. Die Krise des nach der Liquidation der Stiftung Kulturfonds 2004 geschlossenen, 2006 unter der Stiftung Denkmalschutz und dem Land Brandenburg wiedereröffneten Hauses, hat sich abgezeichnet. Und nun?

Bis 2019 gilt der Vertrag. Am 1. August 2018 gehen die alten Türen zu wegen Sanierung. Ob das Museum wochenends dennoch öffnen kann – noch offen. Und der Stipendienbetrieb? Das brandenburgische Kulturministerium tastet freundlich nach Möglichkeiten. 700 000 Euro seien für 2020 in Aussicht gestellt, es werde mit möglichen Partnern verhandelt.

Nach dem Abend „Wiepersdorf retten!“ Ende Juni in Berlin werden Stipendiaten weiter auf die unsicher schwebende Lage aufmerksam machen. Auch auf dem Sommerfest am 22. Juli. Mit Literatur, offenen Ateliers, Musik, wundersamen Details. Und abends, wenn das Käuzchen plötzlich ruft, oder viel früher, ist er unverhofft vielleicht wirklich zu treffen, hören, sehen, Schlossgeist oder Schlossgeistin. Oder ihre Schwester, die Inspiration.

Die Autorin lebt als Schriftstellerin bei Jüterbog und war zweimal Stipendiatin in Wiepersdorf

Paula Schneider

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