zum Hauptinhalt
Wacklige Balance auf Leergut. Nicht nur das Hans Otto Theater (hier die Inszenierung von Ibsens „Der Volksfeind“ mit René Schwittay) beklagt eine Unterfinanzierung.

© HOT/HL Böhme

Kultur: Schlusslicht im Kulturranking

Veranstalter beklagen finanziellen Fehlbedarf und beargwöhnen das ungleiche Maß in der Verteilung

Stand:

Der Unmut ist vorprogrammiert. Da stöhnen die beiden größten Potsdamer Kulturanbieter, dass ihnen Geld fehlt, um das bisherige Angebot aufrechtzuerhalten. Doch die Stadt reagiert auf diese Notrufe offensichtlich mit unterschiedlichem Maß. Dem Hans Otto Theater wurde im September spontan vom Oberbürgermeister eine Nachbesserung für 2013 zugesagt, als ein Fehlbedarf von 240 000 Euro signalisiert wurde. Damit kann zumindest die dreiprozentige Tariferhöhung abgefedert werden. Dem Nikolaisaal, dem mit 253000 Euro eine ähnliche Summe fehlt, wurde indes mitgeteilt, dass „einem Mehrbedarf vermutlich gar nicht oder nur in gekürzter Höhe stattgegeben wird“. So jedenfalls verkündete es Kulturdezernentin Iris Jana Magdowski kurz vor Weihnachten. Der Nikolaisaal benötigt dieses Geld, um gestiegene Betriebskosten zu kompensieren und, wie das Theater auch, den hohen Krankenstand auszugleichen.

Niemand will natürlich eine Neiddiskussion anzetteln, am wenigsten die Kulturträger selbst. „Aber für uns ergeben sich schon viele Fragen“, sagt Andrea Palent, die Geschäftsführerin der Musikfestspiele Sanssouci und Nikolaisaal Potsdam gGmbH. Kein Wunder angesichts der hohen Akzeptanz ihrer Angebote. Die 13 Mitarbeiter freuten sich nicht nur über eine Rekordbesucherzahl bei den Musikfestspielen, sondern auch über eine Auslastung im Nikolaisaal von 92 Prozent (siehe nebenstehende Meldung). Woher kommt also die Ignoranz der Stadt?

Das Hans Otto Theater konnte 2012 weit weniger in die Waagschale werfen. Es kam nicht mal auf eine 70-prozentige Auslastung. Auch in der naturgemäß gut besuchten Vorweihnachtszeit war der Saal mitunter nur halb gefüllt. Das lässt natürlich die Diskussion um einen ausgewogeneren Stadttheater-Spielplan hochkochen. Es fehlt offensichtlich neben den hochkarätigen dramatischen Stoffen das Gefühl für massentaugliche Leichtigkeit. So wie die Verlage oder Kinos auch, müssen Theater ebenfalls ein bis zwei Blockbuster im Angebot haben, um sich ihre anspruchsvollen Nischen leisten zu können. Doch wer weiß schon immer, was Massen anzieht? Auf jeden Fall zeigte das Theater erneut Gesicht mit seinem tollen Darstellerensemble, das auch im „nachtboulevard“ von sich reden macht. Leider auch dort in einem noch zu kleinen illustren Kreis. Man wünscht diesem Haus als Flaggschiff des Kulturstandortes Schiffbauergasse unbedingt wieder mehr Aufwind. Und so ist es nur richtig, wenn künftig durch eine Aufstockung des Eigenkapitals die ständige Gefahr einer kurzfristigen Zahlungsunfähigkeit gebannt wird. Ein Beschlussantrag dazu soll Anfang 2013 gestellt werden. Bislang erhält das Theater von der Stadt jährlich Zuschüsse in Höhe von 9,9 Millionen Euro.

Die Zuwendungen für Nikolaisaal und Musikfestspiele liegen derweil bei rund 1,2 Millionen Euro und das seit zehn Jahren konstant. „Vor zwei Monaten wurden in Gesprächen mit der Kulturverwaltung die höheren Zuwendungen fachlich akzeptiert. Und nun schickt uns diese Kulturverwaltung bewusst in die Unterfinanzierung“, befürchtet Geschäftsführerin Andrea Palent. Hier wie dort knirscht es also kräftig im Finanzgetriebe. Und das ist kein Wunder. Bei der Kulturförderung liegt Potsdam im Vergleich von 23 deutschen Städten auf dem letzten Platz. Das von der Gewerkschaft ver.di im Oktober veröffentlichte Kulturranking schaute in seinem Vergleich auf die Relation der Bruttowertschöpfung je Einwohner. Je höher diese Wertschöpfung ist, desto reicher ist eine Stadt. Auf dieser Grundlage wurde nach den Ausgaben für Theater und Orchester geschaut. Und da trägt Potsdam tatsächlich die rote Laterne, während Rostock an der Kulturspitze liegt.

Vor wenigen Tagen war in einem Interview mit Jann Jakobs zu lesen, dass 2013 die Stadt Potsdam nun endlich ihre Kulturausgaben anheben will: um elf Prozent. Inwiefern damit auch die restriktive Haltung von Iris Jana Magdowski gegenüber dem Nikolaisaal beiseite gelegt wird, muss man abwarten, zumal auch aus anderen Kulturecken der Stadt nach mehr Geld geschaut wird. Da gibt es ab August die neue Bibliothek; das Potsdam-Museum bekam im Alten Rathaus neue größere Räume, die unterhalten sein wollen. Keiner weiß zudem, wie die Diskussion um das jetzt noch in der Alten Fahrt vor Anker liegende Theaterschiff zu Ende geht. Ein neuer Standort könnte bedeuten, dass das Schiff keine eigene Kneipe mehr betreiben darf oder an einem bebauteren Ort auf lärmverursachende Musikveranstaltungen verzichten muss. Bislang sichere Einnahmen, die es dann auszugleichen gilt, soll das Schiff nicht untergehen. Ja, und auch das Waschhaus ist in finanzieller Schieflage. Dort sollen laut Jakobs kurzfristig 40 000 Euro hineinfließen, um Verluste auszugleichen. Die sind unter anderem durch den Einbau einer neuen Schließanlage entstanden, aber auch durch einen enormen Rückgang der Besucher. Der neue Waschhaus-Chef Siegfried Dittler spricht von 105 000 Besuchern in diesem Jahr und damit von 20 000 weniger als 2011. Dieser Einschnitt muss vor allem dem zum Sommer gekündigten Geschäftsführer Wilfried Peinke angelastet werden, der es nicht einmal schaffte, seine eigene Crew hinter sich zu bringen. Das erste Feierhaus am Platze hatte aber auch gegen eine zusätzliche Konkurrenz anzukämpfen: das von der Stadt ebenfalls geförderte Jugendkulturareal „Freiland“. Dort, an der Nuthe gelegen, gibt es auf einer Größe von etwa zwei Fußballfeldern eine bunte Vielfalt zwischen Poetry-Slam und Tanztee – allerdings mit deutlich linksalternativem Touch.

Vielleicht ist der Rückgang der Besucher sowohl im Theater als auch im Waschhaus insgesamt dem Charme der Schiffbauergasse mit anzulasten. Eine junge Kollegin sagte einmal: „Wenn ich in die Schiffbauergasse zu einer Veranstaltung gehe, denke ich immer, ich bin zu früh oder zu spät. Man fühlt sich immer so allein.“ Der Standort habe in seiner zugebauten Unübersichtlichkeit etwas Mystisches, einfach nichts Anziehendes. Selbst wenn die Häuser, wie Tanz-„fabrik“, T-Werk, Hans Otto Theater, Kunstraum, Waschhaus oder Museum Fluxus+, von Besuchern gefüllt sind oder wären, fehlt das Außenflair. Wird ein Standortmanager, der 2013 ja endlich kommen soll, die totsanierten unwirtlichen Freiflächen wiederbeleben können?

Man spürt das große Bedürfnis nach Neuem, nach Überraschung – nicht nur bei der Jugend. Wenn Ungewohntes frohlockt, ist der Ansturm groß. Das war so, als der Verein Localize den Stadtkanal mit Kulturangeboten flutete, als die alte Judohalle am Luftschiffhafen mit Streetart-Künstlern und einer hippen Elektroparty Berlin-Format zeigte oder sich im Neubaugebiet von Potsdam-West der „Plattenteller“ vor Alt und Jung drehte. Auch die „Scholle 51“, die nun verkauft wird, hätte sicher das Potenzial gehabt, noch mehr nach außen zu wirken. Machen und machen lassen – dazu braucht es Ideen, aber auch das finanzielle Unterpfand. Nur so bleibt Bewährtes bestehen und keimen in deren Windschatten neue Pflänzchen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })