Kultur: Schnörkellos
Barockes Frankreich in der Friedenskirche
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Barockes Frankreich in der Friedenskirche Wem der Hölle Rache im Herzen tobt, muss seine diesbezüglichen Empfindungen temperamentgeladen und koloraturenvirtuos aus der Kehle herausschleudern. Ähnlich echauffieren sich Helden der barocken Oper, wenn sie dem Wahnsinn anheim fallen, in Liebesverzweiflung versinken, Zaubertränke mixen und auf die Wirkungen derselben warten. Ein reiches Feld für musikalische Affekte, damals im Zeitalter der Aufklärung. Was sich in Italien in der Form der Dacapo-Arie sublimiert (und erstarrt), hört sich im sonnenköniglichen Frankreich gänzlich anders an. Italienisches Kastratenunwesen mochte man nicht, Arienverzierungen sind größtenteils suspekt. Gefühle heraussingen – bitte schön. Nur müssen sich diese als tatsächliche Leidenschaften entäußern, den Text nicht als leere Worthülse betrachten. In die Welt der „Tragédiennes“, der großen Heldinnen der lyrischen Tragödie a la francaise, entführt ein spezielles Musikfestspiele-Programm in der Friedenskirche. Da leben mit Phädra, Circe, Armida, Telaire die heroischen Frauengestalten der Antike wieder auf. In selbige stimmverwandelt sich die Sopranistin Salomé Haller, deren artifizieller Gesang die Affekte außerordentlich differenziert zum Ausdruck bringt. Ohne Schnörkel. Was beispielsweise Armida in Jean-Baptiste Lullys gleichnamiger Tragédie en musique monologisiert („Endlich ist er in meiner Gewalt"), kommt kurz angebunden zur Sprache. Ebenso geht es in der Arie „Herbei, kommt meinem Verlangen zu Hilfe, Dämonen" zu, die ganz aus dem Drama heraus geboren ist und in der auf Wiederholungen nebst virtuosen Schnörkeleien verzichtet wird. Die Sängerin kann sich dadurch ganz auf den Ausdruck konzentrieren. Im Opernballett „Le Carnaval de Venise“ von André Campra sind“s schmerzvolle Harmonien, die einer entsagungsvollen Arie der Isabella die Richtung vorgeben. Diese chronologisch organisierte Entdeckungsreise ermöglicht, dass der aufmerksame Zuhörer musikalische Entwicklungslinien aufspüren kann. So bei Jean-Philippe Rameau, der mit Ausschnitten aus „Hippolyte et Aricie“ und „Castor et Pollux“ vertreten ist. Von Schuldgefühlen gepeinigt die eine, abschiedsklagend die andere. Hier wie dort wird der stets ausdrucksintensive Gesang durch Instrumentalstücke aufgelockert. Da kann das Orchestre Les Talens Lyriques unter dem zupackenden Dirigat von Christophe Rousset seine exzellenten Kenntnisse eines lebendigen, straff artikulierten, klaren und vibratolosen, dennoch gefühlsstarken Histo-Musizierens vorführen. Zum Höhepunkt der Reise durch lebendige Musikgeschichte werden Rezitativ, Beschwörung und Arie der Circe aus „Scylla et Glaucus“ von Jean-Marie Leclair, was sich durch zwei Tänze der Dämonen zur auch mimisch eindrucksvoll dargebotenen Szene weitet. Ob von Stimmbändern und Darmsaiten oder aus barocken Mundstücken: es leuchtet und funkelt, wohin man auch hört. Bravojubel.Peter Buske
Peter Buske
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