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Kultur: „Schöne ernstgemeinte Träume“

Der Historiker Lill sprach in der „arche“ über die „Weiße Rose“ und den christlichen Widerstand

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Der Historiker Lill sprach in der „arche“ über die „Weiße Rose“ und den christlichen Widerstand Von Gerold Paul Hans und Sophie Scholl, Alexander Schmorell und andere zählen bekanntermaßen zum „Widerstand" gegen das Hitler-Regime, aber wo genau positionierte sich ihre Gruppe, die „Weiße Rose“? Linke Historiker der DDR versuchten erst in den späten Sechzigern, sie für ihre Zwecke („antifaschistisch-christlich") zu vereinnahmen, in der Bundesrepublik gab es schon vorher ziemliche Dispute. Waren die 1918 und 1921 geborenen Geschwister, er studierte Medizin, sie Biologie und Philosophie in München, denn Christen? Wie behauptete sich die katholische Kirche grundsätzlich im totalitären Regime? Der Kölner Historiker Rudolf Lill, eigentlich Spezialist für die Geschichte Italiens, handelte diese Fragen in der „arche" mit wohltuend akademischer Ruhe ab, zumal es neuere Forschungen zum Thema „christlicher Widerstand" gibt und sich 2003 der 60. Todestag der Hinrichtung jährte. Nein, Hans und Sophie Scholl waren keine Katholiken, aber der Referent mutmaßte sie „auf dem Wege dorthin", als sie im Sommer 1942 vier oder sechs Flugblätter der „Weißen Rose" in München verteilten, etwa 7000 dann Anfang 1943 in mehreren Städten, bis nach Linz und Wien. Am 18. Februar dieses Jahres nahm die Gestapo sie fest, kurz danach auch Alexander Schmorell, Karl Huber, Willy Graf und andere. Der Brockhaus 2001 nennt die „Weiße Rose" eine studentische Widerstandsgruppe aus München, welche aus einer christlich motivierten Protesthaltung zu Besinnung und „moralischer Erneuerung" aufrief. Auch der Kreisauer Kreis (von Moltke) und die Leute um Graf Stauffenberg sollen, wenigstens teilweise, aus „christlichem Ethos" gehandelt haben. Es scheint, als sei neben patriotischer und linker Obstruktion die Gegenwehr kirchlich orientierter Menschen stärker gewesen, als man bisher annahm, wobei Lill unter Widerstand „die Aktion im engeren Sinne" versteht. Besonders der Geschichtsphilosoph Theodor Hecker (1879-1945), sich für die Erneuerung des „christlichen Abendlandes“ einsetzend, und Karl Muth, Begründer des 1941 verbotenen reformkatholischen Blattes „Hochland“ (dessen Bibliothek Hans Scholl offen stand) beeinflussten die gedanklichen Wege der „Weißen Rose“, so Lill, nachhaltig. Seit Mai 1941 gab es interne Diskussionskreise, darin gerade katholische Intellektuelle sich über die Zeit nach dem Krieg zu verständigen suchten. Gedacht war an eine christliche Erneuerung, wie sie mit Konrad Adenauer, dem von den Nazis geschassten Zentrumspolitiker, dann in der BRD ansatzweise auch erreicht wurde. Rückenwind bekamen sie von Papst Pius XI., welcher schon 1937 die Enzyklika „Mit brennender Sorgeverabschiedet hatte. Die deutschen Bischöfe, leisteten Widerstand eher passiv, indem sie vor allem sorgten, dass die Verkündigung in den Kirchen („Inseln der Anständigkeit") geschah. Pius XII., nicht unumstritten, stellte es dann jedem Katholiken anheim, nach seinem Gewissen zu kämpfen, wobei klar war, dass der Vatikan kaum helfen konnte, war erst einmal jemand gefangen. Wie christlich eine solche Haltung nach dem Neuen Testament sei, ließ der Referent theologisch offen. „Die Weiße Rose“ kämpfte (ohne Programmatik), und wurde von den Nazis auch als Widerstandsbewegung gesehen. Ihre Flugblätter, den Geist von Aristoteles bis Dostojewski atmend, vermutete man bald in akademisch-christlichen Kreisen. Unmittelbarer Anlass dieses jugendlichen Protestes war die verlorene Schlacht bei Stalingrad: Studenten waren in Kriegszeiten vom Wehrdienst nur teilbefreit, auch Männer wie Hans Scholl mussten zeitweilig an die Ostfront. Wie in der 68-er Zeit, so dachte man auch nach Stalingrad, die Zeit sei reif, man wollte mit der Flugblatt-Aktion ein Fanal setzen, die Deutschen wachrütteln – „schöne ernstgemeinte Träume“. Rudolf Lill, die Jugend der Aktionisten in die Waagschale werfend, nannte diese Haltung mit Vorsicht „unvernünftig und leichtfertig“, weil sie eine fatale Fehleinschätzung der wirklichen Lage zum Grunde hatte. Am Ende stand die Exekution in München-Stadelheim, denn der NS-Staat brach jedwede Opposition. Es gelang nicht einmal, für die 22-jährige Sophie Scholl eine Begnadigung durchzusetzen. Die Geschwister werden heute überall als Helden verehrt, viele Schulen tragen ihren Namen. Doch besteht „Geschichte“, wie auch der Referent betonte, aus Fakten und Interpretation. Es bleiben also Fragen: Waren die Katholiken wirklich von der Versuchung im „Reich des Bösen“ verschont, dass Konrad Löw sie (bei der „arche“-Veranstaltung im April) von aller Kollektivschuld freisprach? Wie lässt sich ein so früh vom Tod abgebrochener Weg mit Sicherheit als „christlich“ bestimmen? Davon hängt vieles ab.

Gerold Paul

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