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Kultur: Schreiben für die Seele

Ursula Rumins Buch „Im Frauen-GULag am Eismeer“ erzählt über die Hölle / Morgen ist Premiere

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Ursula Rumins Buch „Im Frauen-GULag am Eismeer“ erzählt über die Hölle / Morgen ist Premiere September 1952. Ursula Rumin ist auf dem Weg nach Babelsberg. Sie hat einen Gesprächstermin bei der DEFA. Doch die Drehbuchautorin kommt nie dort an. Der sowjetische Geheimdienst lockte sie in eine Falle und verhaftet sie mitten auf der Straße. Die in Westberlin lebende junge Frau verschwindet hinter Gittern, ohne vorher ihre Familie informieren zu können. In ihrem Buch „Im Frauen-GULag am Eismeer“ (Herbig Verlag), das morgen im Filmmuseum Premiere hat, beschreibt die heute 82-Jährige ihr Märtyrium als Sklavin von Workuta. Beschuldigt der „Spionage und konspirativen Zusammenarbeit mit dem Feind“ wurde sie zu 15 Jahren Zwangsarbeit in dem Lager am nördlichen Polarkreis verurteilt. Dank einer Amnestie entkam sie 1954 dieser Hölle im Angesicht des Todes. Als sie sich für ein Jahr in Klausur begab, um ihre Erinnerungen in ein Buch fließen zu lassen, durchlebte sie noch einmal die Qualen und Entbehrungen. „Es war ein schweres Jahr und doch brachte diese Art der Aufarbeitung am Ende Erleichterung“, erzählt sie in einem PNN-Gespräch. Einige Frauen wollten nichts mehr von ihrer Zeit in Workuta wissen, hätten auch nie wieder Ostberlin betreten. „Aber sie werden ihren Schmerz nicht los. Ich kann inzwischen über diese Zeit sprechen, ohne dass es weh tut. Das Aufschreiben war für mich wie ein Psychiater-Ersatz. Wir hätten gleich damals nach unserer Entlassung dringend eine psychologische Betreuung gebraucht.“ Schon damals nach ihrer Heimkehr, schrieb sich Ursula Rumin alles von der Seele, was sie in der Gefangenschaft erlebte. 600 Seiten füllte sie mit Erinnerungen: den eigenen und denen der anderen Frauen, die mit ihr auf engstem Raum zusammengepfercht waren und die bei bis zu Minus 65 Grad Celsius schwerste körperliche Arbeit verrichten mussten. Beim jetzigen Schreiben konnte sie diese konservierten Details wieder abrufen, was ihr Buch zu einem sehr authentischen und aufrüttelnden Dokument werden ließ. Auch auf Fortsetzungsberichte konnte sie zurück greifen, die sie 1954 für „Die Zeit“ und den „Stern“ schrieb. Allerdings unter falschem Namen. Denn der Weg in die Freiheit war verbunden mit der Auflage, nicht über Workuta zu reden. „Doch im Westen fühlte man sich sicherer und auch in der Gruppe geborgen. In Ostberlin sind entlassene Gefangene ja schnell von der DDR-Justiz wieder in die Mangel genommen worden.“ Ursula Rumin hatte auch ihren Mann zur Seite, der ebenfalls in Workuta gefangen war und den sie auf dem Heimtransport kennen lernte. Kurze Zeit später heirateten sie. „Es war ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Entlassenen. Die Männer hatten es noch schwerer, sich zurecht zu finden und klammerten sich an die Frauen.“ Ihr Mann, der Arzt Joseph Scholmer, war der erste, der ein Buch über Workuta schrieb. „Die Toten kehren zurück“ erschien in acht Sprachen. „Mein Mann hatte es Kiepenheuer & Witsch angeboten, die hatten es aber aus Angst vor politischen Folgen an einen Londoner Verlag weiter gereicht. Somit erschien es zuerst auf Englisch. Der Berliner Verlag zog dann nach.“ Wie konnten die Inhaftierten dieser Eishölle überhaupt trotzen, mit dem Menschenunmöglichen fertig werden? Ursula Rumins Antwort ist kurz: „Die Kraft war da, weil sie da sein musste. Wir wollten einfach überleben. Am Schlimmsten waren der ständige Hunger und die Müdigkeit.“ Ursula Rumin erinnert sich auch an die Solidarität: „Wenn eine Frau gar nicht mehr konnte, hakten die anderen sie unter, so dass sie beim Laufen etwas schlafen konnte.“ Auch ihr erging es so, als sie bei einem Sturz auf vereister Treppe ohnmächtig wurde. Trotz größter Rückenschmerzen musste sie am nächsten Morgen raus zur Arbeit. Geblieben ist eine Narbe an der Lunge. „Noch heute leide ich unter Rückenschmerzen. Es gibt keine Frau aus Workuta ohne gesundheitliche Probleme. Ansonsten habe ich aber einen tollen Bizeps, den ich gern mal fühlen lasse.“ Den Anstoß, sich noch einmal schreibend zurück zu begeben, gab eine Reise nach Moskau im Jahre 1995. Als sie als freier Mensch auf dem Roten Platz stand, überwältigte sie die Vergangenheit. „Ich kann die Tränen nicht zurück halten. Habe ich das damals wirklich erlebt? Jetzt kommt es mir vor, als hätte ich nur schlecht geträumt“, schreibt sie in ihrem Buch. Damals brachte man Ursula Rumin nach monatelangem Leiden in den Gefängnissen von Karlshorst und Lichtenberg in das berüchtigte Gefängnis Butyrka. „Todmüde von der langen Fahrt im Waggon von Berlin über Gefängnisse in Brest-Litowsk und Brjansk nach Moskau mussten wir uns wieder einer Leibesvisitation mit anschließender gynäkologischer Untersuchung durch eine dicke, unappetitliche Ärztin unterziehen.“ Butyrka war der Sammelplatz für politische Häftlinge. Von dort aus ging es in die unendlichen Weiten Russlands. 2003 trat sie die gleiche Reise noch einmal an: für die TV-Dokumentationen „Workuta – Deutsche in Stalins Lager“ und „Eisgang – Deutsche im GULag“ , die ebenso wie ihr Buch über die Zeit ihrer Gefangenschaft berichten. „Der Empfang durch die Organisation ,Memorial“ war ergreifend. Dann bat mich der Bürgermeister um ein Tänzchen. Alles war so unwirklich“, erzählt Ursula Rumin, die als Heldin gefeiert wurde, weil sie als erste deutsche Frau nach ihrer Inhaftierung freiwillig Workuta besuchte. Der Blick in die Tundra erinnerte sie indes nicht mehr an das frühere Workuta, wo sie nur den Weg vom Lager zur Arbeitsstelle kannte. Durch diese Entfremdung konnte sie endlich die Gedanken daran aus ihrem Gedächtnis streichen. „Es ging mir nicht mehr an die Nieren. Mir tun aber die Menschen leid, die heute dort als ,freie Gefangene“ leben. Vielleicht ist es ganz gut, dass alle Informationen von ihnen fern gehalten werden. So erfahren sie nicht, wie das Leben sein könnte. Sie sind ja gezwungen, dort zu bleiben, weil sie nicht das Geld haben, wegzugehen.“ Es sind oft die kleinen Dinge im Alltag, die Ursula Rumin in das Barackenleben zurück versetzen. „Jeden Abend freue ich mich über mein schönes Bett. Auf den schmalen Pritschen in Workuta tat mir immer der ganze Körper weh.“ Auch um Sauerkraut macht sie einen großen Bogen. Nach Ostberlin und zur DEFA ist sie vor der Wende nicht wieder zurück gekehrt. Das bange Gefühl ist geblieben. In der Untersuchungshaft glaubte sie lange, dass ein Mitarbeiter der DEFA sie bei den Russen angeschwärzt hätte. Später erfuhr sie dann, dass ein flüchtiger Bekannter fünf Namen von „Spionen“ willkürlich nannte, um seine eigene Haut zu retten. Das Militärtribunal habe dann seinerseits diese aus der Luft gegriffene Anschuldigung zu unterfüttern versucht. Da kam es zu pass, dass Ursula Rumin eine Wohnung in Ostberlin und einen Festvertrag bei der DEFA abgelehnt hatte. Auch das Drehbuch für einen hoch politischen Film wollte sie nicht schreiben. Schon die Arbeit an dem Film „Frauenschicksale“, der morgen im Filmmuseum läuft, ist mit unschönen Erinnerungen behaftet. „Um dem Drehbuch den letzten Schliff zu geben, zogen wir uns vier Wochen in ein DEFA-Heim zurück. Dort versuchten mich der Autor Gerhard Bengsch und Regisseur Slatan Dudow massiv zum Kommunismus zu bekehren. Da es nicht klappte, verfiel der Frauenheld Dudow auf eine andere Taktik.“ Er hoffte, dass er sexuell „überzeugen“ könnte. Das Drehbuch wird Ursula Rumin mit ins Filmmuseum bringen, auch die kleine Genugtuung, dass dem Film in Ostberliner Zeitungen angekreidet wurde, nicht hundert Prozent linientreu gewesen zu sein. „Das war mein Verdienst.“ Heidi Jäger Buchpremiere und Gespräch morgen, 18 Uhr, Filmmuseum. Es läuft der Film „Deutsche in Stalins Lager“ des Potsdamers Erik S. Tesch. Um 20 Uhr: „Frauenschicksale“.

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