zum Hauptinhalt

Kultur: Schreiben zwischen zwei Ideologien

Brandenburgisches Literaturbüro eröffnet Ausstellung über den literarischen Neubeginn 1945 bis 1950

Stand:

So manche Schriftsteller müssen sich an die neue Situation erst gewöhnen, andere bekunden Begeisterung. „Die kurze Zeit vom Ende der Nazi-Diktatur bis zum erneuten Einsetzen ideologischer Repression wurde von den Schriftstellern als Möglichkeit für eine individuelle und soziale Selbstbesinnung genutzt“, sagt Peter Walther vom Brandenburgischen Literaturbüro, das zum 70. Jahrestages des Kriegsendes eine Ausstellung in der Stadt- und Landesbibliothek initiiert hat. „Im Zwischenreich“ heißt sie und sie dokumentiert den literarischen Neubeginn in Potsdam unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Die sowjetische Besatzungsmacht war interessiert, kulturelles Leben auch in Potsdam zu etablieren, natürlich unter neuen Vorzeichen. „Man kann über die Beziehungen zu den Russen nicht generell urteilen. Es gab sehr große Unterschiede. Interessant waren die Begegnungen mit den sehr intellektuellen, künstlerisch sehr pointierten Russen, die unter der Regie von Oberst Tulpanow in den Kulturabteilungen saßen. Dort lernte ich viele einsichtsvolle und maßgebliche Russen kennen“, schrieb der Potsdamer Verleger Werner E. Stichnote. So war die Gründung des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands ganz im Sinne der Kulturfunktionäre der Roten Armee. Kunstausstellungen, Dichterlesungen und Musikabende werden vom Kulturbund in Potsdam organisiert. In ihm treffen sich Künstler aller Couleurs, die sich von der nunmehr einsetzenden pluralen Bewegung angezogen fühlen. Doch nach und nach setzen sich die Machtansprüche der unlängst gegründeten SED durch. Stichnote: „An linksgerichteten Mitgliedern, die in unserem Kulturbund tätig waren, sind zu erwähnen: Eduard Claudius, Hans Marchwitza und, sicher kein Kommunist, aber mit starken Linkstendenzen, Bernhard Kellermann.“ Anfang November 1947 trafen sich in Potsdam auf Einladung des Kulturbundes Schriftsteller des Landes Brandenburg zu einer Tagung. Abteilungsleiter Alexander Abusch, der später Karriere als Kulturfunktionär der SED machen sollte, hält eine ideologisch präparierte Rede. Deutlich wird in Beiträgen aber auch, dass der Schriftsteller kein Objekt des Staats oder irgendeiner Partei sein dürfe.

„Potsdam bildete das Laboratorium für die Entwicklung einer literarischen Formensprache, die als ,magischer Realismus’ zu den einflussreichsten Strömungen im Deutschland der frühen Nachkriegszeit avancierte“, sagt Ausstellungs-Kurator Peter Walther. Ein prominentes Beispiel ist Hermann Kasacks damals viel diskutierter Roman „Die Stadt hinterm Strom“ von 1946. „Ähnlich wie der Protagonist von Kasacks Roman befanden sich die Akteure in diesen Jahren in einem ,Zwischenreich'. Bis Ende 1948 verließen fast alle Protagonisten der kurzen Blütezeit der Literatur in Potsdam wegen der erneut einsetzenden ideologischen Repression die damalige Sowjetische Besatzungszone“, so der Literaturwissenschaftler.

Darunter ist auch Werner Wilk. 1950 erscheint sein Roman über die NS-Zeit „Wesenholz“. Noch im selben Jahr lädt der Kulturbund zu einer Aussprache über das Buch ein. Der sich auch denunziatorisch betätigende Schriftsteller Karl Stitzer empfiehlt den Buchhändlern in Brandenburg auf einer Tagung, den Roman Wilks wegen „ideologisch unfertigen Gedankenbaus“ nicht zu verkaufen.

Die Ausstellung in der Stadt- und Landesbibliothek erzählt über das noch blühende Verlagswesen mit Suhrkamp, Kiepenheuer, Voggenreiter und Rütten & Loening, die Eröffnung einer Bibliothek in der Jägerallee, über neue Zeitungen, die Gründung eines Landessenders und natürlich über weitere Schriftsteller wie Bruno H. Bürgel oder Bernhard Kellermann. Bürgel war bei der Sowjetischen Militäradministration sehr beliebt, sodass der Stabschef den Soldaten mitteilen ließ: „Es ist der Militärverwaltung, den sämtlichen Militärkommandanten, Truppenteilen und deren Vertretern streng verboten, den Schriftsteller Bruno H. Bürgel irgendwie zu stören, ihm Hindernisse zu machen sowie seine Wohnung zu besetzen.“ In Potsdam erscheint 1948 bei Rütten & Loening die erste Ausgabe von „Sinn und Form“, die zu einer bedeutenden Literaturzeitschrift wurde. Als Chefredakteur konnte Peter Huchel gewonnen werden, der 1962 jedoch aufgab, denn seine systemübergreifenden künstlerische Konzeptionen standen unter scharfer Kritik.

„In der Ausstellung sollen nicht nur Brüche markiert, sondern, über die zeithistorische und lebensgeschichtliche Zäsur vom April 1945 hinweg, personelle, stilistische und teilweise auch inhaltliche Kontinuitäten beleuchtet werden“, betont Peter Walther. Klaus Büstrin

Die Ausstellungseröffnung findet am 8. Mai um 18 Uhr in der Stadt- und Landesbibliothek mit einer Lesung aus Helene von Koenigwalds „Potsdamer Tagebuch“ von 1945 statt. Sie war Malerin und Ehefrau des Schriftstellers Harald von Koenigswald.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })