Kultur: Schreiende Münder und blutende Herzen
Potsdamer Abendgymnasiasten ließen sich von der Kafka-Story „In der Strafkolonie“ zu einer multimedialen Installation inspirieren
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Potsdamer Abendgymnasiasten ließen sich von der Kafka-Story „In der Strafkolonie“ zu einer multimedialen Installation inspirieren Am Anfang war die Kafka-Geschichte „In der Strafkolonie“. Der in Berlin lebende Künstler Peter Pelzmann brachte den Text mit in den Unterricht an das Potsdamer Abendgymnasium „Heinrich von Kleist“ und überredete Studenten des Abiturjahrgangs dazu, die surreale Story von dem Reisenden, dem Offizier, dem Verurteilten und der Foltermaschine auf persönliche Erfahrungswelten zu übertragen und künstlerisch zu visualisieren. Nur fünf Schüler konnte er für das Projekt gewinnen. Beatrix Kerberg, Anna Binder, Martin Wagener, Marco Müller und Roy Knocke. Man kann sich denken warum, Kafka ist ein harter Brocken. Es fällt nicht leicht, sich auf die Geschichte über das deformierte Justizwesen einzulassen, sich den Offizier vorzustellen, der Richter und Henker in einer Person ist, und dem gleichgültigen Reisenden detailliert erklärt, wie die Foltermaschine funktioniert, die dem Delinquenten das Urteil tief in die Haut einschreibt. Seit März arbeiten die Schüler an dem Projekt. Sie fotografierten, stellten Computerspiele und Videofilme her, klebten Collagen und schrieben Gedichte. Bis zum 3. Oktober sind die Objekte nun unter dem Titel „Apparat. Der Mensch, die Maschine, die Gewalt, die Macht“ im Schulhaus ausgestellt – in ihrer bedrückenden Ausstrahlung stehen sie Kafkas Geschichte zum Teil nur wenig nach. Kunst allerdings findet man unter den inhaltlich wie technisch mehr oder weniger gelungenen Arbeiten kaum. Auf den Collagen im „Wohnzimmer“ beispielsweise stehen nachlässig aufgeklebte, wenig aussagekräftige Zeitungsbilder nebeneinander, die weder ästhetisch noch inhaltlich überzeugen. Die mehrfach im Gebäude auftauchenden, fotografierten Männergesichter hingegen beeindrucken. Am Rechner zu röntgenähnlichen Buntbildern bearbeitet, erinnern die Trilogien an Edvard Munchs „Schrei“, der Mund der Dargestellten ist weit geöffnet, die Augen dunkel, das Gesicht verzerrt. Von Bild zu Bild variiert die Mimik nur minimal. An einer Tafel steht schief mit Kreide ein Zitat aus dem Kafka-Text, seicht führt es auf das Ausstellungsthema hin. Der Kafka-Kenner mag die Andeutung verstehen, für anderes Publikum aber bleibt der Zusammenhang zur Geschichte vage. Kafkaeske Situationen will eine Fotografin in Potsdam einfangen. Sie nimmt paradoxe Situationen auf, die sie allerdings nicht fokussiert, sondern zu Suchbildern in einem weitem Umfeld macht – wodurch die dunklen Aufnahmen beliebig werden, der Bildmittelpunkt fehlt. Im „Wohnzimmer“ steht das Projekt, das Kafkas Geschichte am nächsten kommt. Ein Videoapparat zeigt drei in weiße Anzüge gehüllte Männer, die sich mondwandlerisch durch den Raum bewegen. Monotone Stimmen reden von Freundschaft und Vertrauen, Schmerz und Betrug. Eng am Text haben die Macher den Film produziert. Und ein bedrückendes Werk hergestellt. Dann ist da noch das Kinderzimmer mit Sandkasten auf dem Flur, die Monster- und Soldatenfiguren, die beliebig an der Treppe aufgestellt sind und die lustigen, über den Computerbildschirm tanzenden Playmobilfiguren. Die Schüler haben eine Vielzahl verschiedener Objekte geschaffen. Weniger an Darstellungsformen hätte insgesamt aber mehr inhaltliche Tiefe bedeuten können. Marion Hartig „Apparat“, Schülerausstellung bis 3. Oktober, Friedrich-Ebert-Str. 17, Sa, So 14 bis 18 Uhr
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