Kultur: Schulden, um schreiben zu können
Thomas Bernhard war der große, österreichische Staatsbeschimpfer – in der Villa Quandt wird heute Abend des 20. Todestages des Schriftstellers gedacht. Ein Gespräch mit seinem Lektor Raimund Fellinger
Stand:
Herr Fellinger, der Schriftsteller Thomas Bernhard bleibt schwer zu greifen. War er nun mehr der „Untergangshoffer“, wie die bekannte Literaturkritikerin Sigrid Löffler schreibt oder doch eher der „Übertreibungskünstler“?
Dieses Rätsel werde ich auch nicht lösen können. Ich sage, dass er beides war und das ununterscheidbar.
Ununterscheidbar bestärkt dieses Gefühl der Rätselhaftigkeit und damit verbunden auch eine gewisse Widersprüchlichkeit. War das von Bernhard bewusst gewählt?
Ja, diese Rätselhaftigkeit ist natürlich von Bernhard bewusst so gewählt worden. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob das auch gleichzeitig widersprüchlich war. „Untergangshoffer“ und „Übertreibungskünstler“ sind zwei extreme Pole, zwischen denen Bernhard hin und her pendelte, ohne dass dies gleich ein Widerspruch ist. Es gibt eine Formulierung von ihm in dem Buch „Meine Preise“, die mir relativ typisch vorkommt. Anlässlich der Verleihung des kleinen österreichischen Staatspreises schreibt er, „es ist lächerlich aber wahr, das heißt traurig“. Das scheint meiner Meinung nach den Thomas Bernhard und sein Scheiben sehr gut zu resümieren.
Er wollte sich nicht festlegen lassen. In den Interviews mit der Journalistin Krista Fleischmann beispielsweise wiederholte Bernhard immer wieder, dass Schriftsteller nicht subventioniert werden sollen. In „Meine Preise“ dagegen gibt er offenherzig zu, dass ihm das Geld von Literaturpreisen sehr willkommen war.
Da muss man zwei Dinge unterscheiden. In den Gesprächen mit Frau Fleischmann zielt Bernhard auf das vor allem in Österreich und jetzt auch in Deutschland ausgeprägte Subventionierung-, sprich Stipendiensystem. Da reicht man eine Arbeit bei staatlichen oder regionalen Institutionen ein und bekommt dann für ein oder zwei Jahre ein Stipendium. Thomas Bernhard hat sich nie mit seinen Büchern um einen der Literaturpreise beworben, die wurden ihm verliehen.
Das Geld hat er trotzdem genommen.
Das wollte er auch haben, wie er in „Meine Preise“ schreibt, denn er brauchte es für ganz bestimmte Zwecke. Zum Beispiel der Bremer Literaturpreis. Da bekommt er, pardon, lächerliche 10 000 D-Mark und kauft sich eine Ruine.
Den Vierkanthof in Ohlsdorf im Obernathal, den er über Jahre liebevoll restauriert und zu seinem Wohnsitz umgebaut hat und der heute ein Thomas-Bernhard-Museum beherbergt.
Diese Ruine kostet etwa 40 000 bis 50 000 D-Mark. Er nahm dieses Geld, um damit gleich wieder Schulden zu machen. So war er wieder gezwungen, sich von seinem Verleger einen Vorschuss geben zu lassen. Diese Preise, dieses Geld, das Ausgeben und wieder Schulden machen, ist eine von Bernhard praktizierte Selbstüberlistung, eine Zwangssituation, in die er sich immer wieder brachte, um wieder schreiben zu müssen.
Dieses System des selbst auferlegten Zwanges scheint gut funktioniert zu haben. Bernhard hat über 30 Romane und fast 20 Theaterstücke geschrieben. „Meine Preise“ ist schon 1980 fertig gestellt worden, aber erst jetzt erschienen. Warum hat das so lange gedauert?
„Meine Preise“ haben wir aus dem Nachlass von Bernhard veröffentlicht.
Sie haben dieses Buch aus dem Nachlass Bernhards veröffentlicht, obwohl der Schriftsteller zwei Tage vor seinem Tod verfügt hatte, dass aus seinem Nachlass nicht veröffentlicht werden darf?
Bei Bernhards Nachlass müssen wir genau unterscheiden. Die Schriften, die für Publikationen vorgesehen waren, wollen wir auch veröffentlichen. Im Nachwort zu „Meine Preise“ habe ich gezeigt, dass dieses Buch für eine Veröffentlichung vorgesehen war. Somit liegt kein Bruch der testamentarischen Bestimmungen vor.
Warum aber ist „Meine Preise“ dann nicht schon zu Lebzeiten Bernhards erschienen?
In der Zeit zwischen 1979 und 1984 hatte Bernhard in jedem Jahr mindestens zwei Bücher und zwei Theaterstücke publiziert. Ab 1984 war er durch seine Krankheit nicht mehr in der Lage, ganz große Roman oder andere, längere Arbeiten zu schreiben. Und ein bekanntes Verfahren von Bernhard war, auf Halde zu schreiben.
Sie waren seit 1979 der Lektor von Thomas Bernhard, haben bekannte Romane wie „Holzfällen“, „Alte Meister“, „Auslöschung“ und die Theaterstücke betreut. Wie haben Sie dabei den Menschen Thomas Bernhard erlebt?
Natürlich stellt man sich ihn als den großer Grantler vor dem Herrn vor. Aber er ist nicht finster und verbissen rumgelaufen. Mir gegenüber ist er von einer ausgesuchten, fast schon österreichisch-ungarischen k.u.k.-Höflichkeit gewesen. Den Damen mit Handkuss zugeneigt. Auf der anderen Seite konnte er auch unendlich grantig werden. Wenn er mit jemandem zusammen war, dem er vertraut hat, dann hat er aber geredet. Da reichte ein Stichwort und Thomas Bernhard hat eine Stunde lang geredet. Da wären Sie nicht zu Wort gekommen, wenn Sie ihn nicht unterbrochen hätten.
Ein besonderes Verhältnis hatte Bernhard zu seiner Heimat Österreich. Kann man hier von einer Hassliebe sprechen?
Ja, so hat es Thomas Bernhard selbst genannt. Das schwankte dann zwischen Beschimpfungen und Äußerungen, dass er sich in Wien oder Oberösterreich doch am wohlsten fühle. Aber es gab wohl keinen stärkeren und größeren Wien- oder Salzburgbeschimpfer als ihn. Da können wir noch Graz, Linz, Klagenfurt, Innsbruck oder Kitzbühl hinzunehmen, es gab keinen größeren Ort in Österreich, der nicht in der stärksten Weise von Thomas Bernhard beschimpft worden ist.
Bernhard beschränkte sich nicht nur auf Städte, er beschimpfte mit Vorliebe auch Menschen. Alle Österreicher seien Nazis, ist ein viel zitierter Satz von ihm.
Das schließt ihn als Österreicher ja auch mit ein. Solche Aussagen kann man daher nur gebrochen verstehen. Wobei hier unterschieden werden muss zwischen dem Staat und den öffentlichen Institutionen und den Menschen.
Trotz der herzhaften Beschimpfungen, heute ist Thomas Bernhard in Österreich eine Art Nationaldichter, wird sein Erbe hoch gehalten. Was hätte Bernhard zu einer solchen Verehrung gesagt?
Es ist immer schwierig darüber zu spekulieren, was er dazu gesagt hätte. Auch wenn man ihn gut kannte. Natürlich hätte er darüber geschimpft, wenn er in Wien über den Graben und die Wollzeile gegangen wäre und gesehen hätte, dass alle Buchhandlungen allein ein Fenster seinem neuen Buch „Meine Preise“ gewidmet haben. Selbst über die ausverkaufte Lesung im Burgtheater, wo über 800 Leute kamen, hätte er kräftig geschimpft. Dann wäre er aber zu seinem Vierkanthof gefahren und hätte dort seinem Bruder ganz entspannt erzählt, dass diese Trottel in Wien überall sein Buch rausstellen, daß es aber nur noch auf Platz 2 in der Bestsellerliste stehe. Das müsse sich aber ändern, da müsse der blöde Verlag endlich was tun, damit „Meine Preise“ wieder auf den ersten Platz komme.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Der Thomas-Bernhard-Abend in der Villa Quandt, Große Weinmeisterstraße 46/47, beginnt heute um 20 Uhr. Moritz Führmann liest aus „Meine Preise“, es folgt ein Gespräch mit dem Lektor Raimund Fellinger. Der Eintritt kostet 7, ermäßigt 5 Euro
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