Von Lena Schneider: Schwanentanz für Nachbarsburschen
Ein eigenwilliger Abend im HOT: „Weiß wie das Licht“ in der Regie von Marc Lunghuß
Stand:
Claire tanzt. Oder besser: Sie tänzelt. Getragen von einer schmierigen Melodie schwebt sie in Ballettbewegungen über die Bühne, Hacke, Spitze, Hacke, Spitze - so grazil wie das eben geht mit klobigen Filzstiefeln an den Füßen. Dann krümmt sie sich auf eine Matratze, halb schmerz- halb sehnsuchtsvoll, springt wieder auf und haucht ins Mikrophon, einem erleuchteten Fenster im Bühnenhintergrund entgegen: „Wie soll ich liegen? So?“
Claire ist verliebt. Und weil der Angebetete hinter dem Fenster – der Nachbarsbursche Marshall (Florian Schmidtke) – sie nicht zu bemerken scheint, tanzt sie ihm den Liebestod. Im Tüllröckchen gibt Nele Jung als Claire den sterbenden Schwan, einsam, schnulzig, herzzerreißend, den schmachtenden Blick festgeklebt am Fenster des Geliebten. Der Tod, oder was Claire dafür hält, steht in Daniel Karasiks „Weiß wie das Licht“ nicht am Ende, sondern am Anfang. Claires Schwanentanz, erfahren wir später, war eigentlich ein Unfall. Das Mädchen hatte sich vor ein Auto gestellt, um von Marshall bemerkt zu werden, jetzt liegt sie im Krankenhaus. Der Unfall bringt nicht nur für Claire die Dinge ins Rollen (der Angebetete kommt tatsächlich vorbei), sondern er bringt auch allerhand Probleme der Eltern ans Licht. Die Annäherung zwischen den beiden Jugendliche schreitet ungewöhnlich aber zielsicher seiner eigenen Logik folgend voran: Für Marshalls Einladung zum Chinesen haut Claire ihm einen Pflasterstein ins Fenster – „So verlacht mich das Universum!“
Der Rest des Plots wirkt eher konstruiert. Ausgerechnet Leon (Christoph Hohmann), der Claire mit dem Auto angefahren hat, schleicht sich in die Familie, bittet Vater Ben (Philipp Mauritz) um Geld, richtet sich auf dem Sofa ein, bezirzt dessen Frau Lola (Katrin Heller) und klaut ihr am Ende den Schmuck – kurz, der Eindringling und Draufgänger Leon lässt das Familienoberhaupt Ben ziemlich dumm da stehen. Dass die beiden sich ähnlicher sind, als sie glauben, verraten schon ihre Anzüge (beide tragen das gleiche Muster – kleinkariert). Nach allerhand Erniedrigungen rafft der brave Ben sich letztendlich doch zu dem Draufgänger in sich auf und richtet Eindringling Leon schlimm zu – wie, das lässt sein Werkzeugkoffer nur ahnen. Dass man für so eine Tat zu einer Art Schwein werden muss, zeigt die Maske hinter der Ben sich dabei versteckt – und wer ihn dazu gemacht hat, das zeigt Regisseur Marc Lunghuß, indem er Lola ihrem Gatten nach getaner Arbeit einen Drink reichen lässt. Zuvor hatte diese fiese Frau sich bereits an dem Nachbarsburschen Marshall versucht (der sich aber mehr für Vögel als fürs Vögeln interessiert) und den Eindringling Leon eingeladen, sie zu verführen. Ganz die böse Stiefmutter eben; wir kennen sie schon aus Grimms Märchen.
Mit Stiefmutter Lola wird die Schwäche dieses immer wieder überraschenden, eigenwilligen Abends offenbar. In seinen schwachen Momenten wirkt seine durchschaubare Psychologie wie das, was er mit seinem Musikteppich, seinen überzogenen Charakteren womöglich kommentieren will: schlechtes amerikanisches Kino. Dessen stereotype Protagonisten jedenfalls hat Lunghuß versammelt – die notgeile Frau, den schwachen Mann, den verklemmten Geek (Florian Schmidtke sieht aus wie einer der Jungs aus der Cartoon-Fernsehserie „Southpark“), das schön-hässliche Teenagermädchen. „Weiß wie das Licht“ ist dabei keine leichte Vorlage, Sätze wie „Ich rede nie über meine Ex, da rede ich eher über die Krätze“ (Ben) sind eine Herausforderung. Zwischendurch wirkt es, als sei die Regie den scheinbar glatten Dialogen des Stücks aufgesessen, dann plätschert der Abend trotz großleinwandigen Videomaterials, trotz der wunderbar wütenden Nele Jung als Claire nur dahin. In seinen starken Momenten aber blitzt in der grauen Kulisse mit den halb herunter gelassenen Jalousien und tristen Gardinen (Bühne Tobias Schunck) dann doch jene melancholische Enge auf, der Claire in ihrem Schwanentanz entkommen wollte. Die Einsamkeit einer Gemeinschaft, die keine ist.
Nächste Vorstellung von „Weiß wie das Licht“ am Sonntag, 13. Dezember, 19.30 Uhr, Reithalle, Schiffbauergasse. Karten unter Tel.: (0331) 98 11 8
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