zum Hauptinhalt

Kultur: Schweinebauch mit Zwiebeln

Ausstellung von Jan Beumelburg bei ArtMarket: „Untermischen – überbraten“

Stand:

Jan Beumelburg hat programmatisch in seine Interpretation DDR-sozialistischer Kochrezepte zuerst einmal eine Kalorientabelle gehängt. Die ist eine Originalkarte mit Illustrationen aus den 60er Jahren, wie sie in Schulen verwendet wurden. Ganz unsozialistisch teilt sie Frauen und Männer in „Näherinnen oder Stenotypistinnen“ (2 200 kcal) und „Schwerstarbeiter“ (4500 kcal) und zeigt die so Klassifizierten bei ihren typischen Tätigkeiten.

„Untermischen – überbraten“ lautet der Titel der Ausstellung der übermalten Karteikarten, die Beumelburg aus der Liquidationsmasse des VEB-Folieerzeugnisse in Brandenburg gerettet hat. „Schweinebauch mit Zwiebeln“ zum Beispiel gab es da in der Kantine . Unter dem mit Schreibmaschine getippten Rezept liegt nackt ein Mann auf dem Rücken, große Karottenscheiben bereiten ihn auf das „Überbraten“ vor.

Viele nackte Menschen, vor allem weibliche Akte, zieren die Karten. Zu „flache Kuchen backen“ hat Beumelburg eine ziemlich flache Kopulation untergemischt, bei „Braten ohne Fett“ bügelt die züchtige Hausfrau einen ganz großen Fisch. Das Rind kommt als Fleischererklärstück mit Zahlen auf den jeweilig essbaren Teilen daher, davor müht sich ein gelber Torero mit rotem Tuch, dem Kochtier den letzten Elan herauszukitzeln. Den „Schweinebauch in wenig Wasser“ ziert eine Ostseeidylle, wo Männer in die Fluten tauchen, aber einer, ders – wahrscheinlich ob seines Schweinebauchs – nicht weit gebracht hat, wird von einem Kollegen wie ein nasser Sack ans Ufer getragen.

Auf diese Weise entsteht eine neue Art der illustrierten „Speisekarte“ einer vergangenen Zeit, in der Erotisches und Kulinarisches „übergebraten und untergemischt“ wird und dadurch auch eine soziale Dimension erhält. Beumelburg formuliert auf sympathisch-zurückgenommene Art auf diesen kleinen, jeweils zu sechs Stück gehängten Karten seine Interpretation des Geschlechterverhältnisses. Spaghetti dienen als Gymnastikbänder und bei der Hefe wird es unziemlich intim. Witz, Ironie und eine gewisse Sachlichkeit demonstriert hier der 1965 geborene Künstler. Selbst hat er die DDR zwar nicht erlebt, setzt sich aber durch die Veränderung und Überformung von Objekten mit der vergangenen Lebensrealität auseinander. Er verleiht den oft banalen Alltagsgegenständen eine andere ästhetische Form und so dem Betrachter die Möglichkeit einer neuen Sicht auf Vergangenes.

2006 erhielt er ein Arbeitsstipendium des Landes Brandenburg für seine enzyklopädischen Arbeiten, in denen er aufgereihte Objekte hinter Glas in Schubladen spießt. Leider ist nur eines dieser Schubfächer aus der Reihe „Die Evolution macht was sie will“ zu sehen. Unterschiedliche Fellsorten zieren die Käferkörper, tigerartig, grau oder braun, klein und groß kommen sie daher – ganz so, wie es die Forscher im 19. Jahrhundert mit ihren realen Tieren machten – die Käfer Beumelburgs allerdings sind Kunstgeschöpfe. Dazu gesellen sich ein paar Beispiele seiner „Bildstörungen“ von 1999, auf der die Schlagzeilen-Methode von „BILD“ ironisch entblößt wird: „Gründe für den Urlaub vor der Tür“ zum Beispiel führt in der Illustration einen Gulli von oben vor, in den der Hausschlüssel gefallen ist – oder „Frau putzte Fenster tot“ zeigt das Fenster mit dem eigenen Grabkreuz. Das allerdings haben Künstler wie Klaus Staeck schon eindringlicher gezeigt. Schade, dass nicht mehr von den enzyklopädischen Arbeiten zu sehen sind, denn die sind die interessanteren Werke und wirken nur als Serie. Lore Bardens

Bis 18. Juni. Mi und Fr 15-19 Uhr, Sa 12-16 Uhr Hermann-Elflein-Straße 18b

Lore Bardens

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })