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Kultur: Sehnsucht nach dem Süden Saisonstart mit dem Neuen Kammerorchester

„Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß was ich leide.“ Was einst Goethe als eines von drei Mignon-Liedern dichtete, Komponisten wie Hugo Wolf und Peter Tschaikowsky vertonten, steht symbolträchtig für der Menschen Liebe zu jenem Land, in dem auch die Zitronen blühen: Italien, zugleich Arkadien genannt.

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„Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß was ich leide.“ Was einst Goethe als eines von drei Mignon-Liedern dichtete, Komponisten wie Hugo Wolf und Peter Tschaikowsky vertonten, steht symbolträchtig für der Menschen Liebe zu jenem Land, in dem auch die Zitronen blühen: Italien, zugleich Arkadien genannt. „Dahin, dahin möchte ich mit dir, o mein Geliebter, zieh’n!“, bittet jene Mignon stellvertretend für ihren literarischen Schöpfer, der anno 1786 als Finanzminister des Weimarer Hofes gen Süden aufbricht, um incognito Land und Leute kennenzulernen. Die Niederschriften seiner „Italienischen Reise“ sowie „Römische Elegien“ künden davon. Auszüge daraus nebst passenden Klangzutaten: fertig ist ein Programm unter dem frohgemuten Titel „Klänge aus Arkadien“, mit dem am Donnerstag das Neue Kammerorchester Potsdam in reiner Streicherbesetzung unter Leitung von Ud Joffe in der stimmungsvoll beleuchteten Schinkelhalle seine nunmehr 14. Saison stilvoll eröffnete.

Auch wenn Hugo Wolf eine „Italienische Serenade“ schrieb, besucht hat er das Land seiner Sehnsüchte nie, kannte es nur aus literarischen Quellen. Mit wispernden, freudig erregten Passagen beginnt seine Liebeserklärung. Leicht und leidenschaftlich, doch stets heiter im Gestus tragen sie die Musiker vor. Die vorzügliche Hallenakustik trägt wesentlich zum klangklaren und glanzvollen Höreindruck bei. Aus wisperndem und freudig erregtem Beginn entwickeln sich faszinierende, schnell wandelnde, unbeschwert vorübereilende Stimmungsbilder in mediterran gebrochenen Klangfarben. Nicht weniger von Poesie erfüllt sind die Goetheschen Reisebetrachtungen, die Hans-Jochen Röhrig oftmals undeutlich und endsilbenverschluckend vorliest. Aus Verona vermeldet der Dichter: „Das Volk rührt sich hier sehr lebhaft durcheinander.“ Und an anderer Stelle lässt er uns wissen: „Alles, was nur kann, ist unter freiem Himmel.“

Ein Musikstück weiter, nachdem der erste Satz aus Peter Tschaikowskys musikalischem Mitbringsel „Souvenir de Florence“ verklungen ist, erhalten wir vom zweiten abendlichen Italienreisenden, dem Architekten und Baumeister Karl-Friedrich Schinkel, wesentlich prosaischere Kunde: „Öffentliches Leben ist charakteristisch.“ Basta. Zwischen den nachfolgenden Sätzen kündet Röhrig in nüchterner Diktion von weiteren Betrachtungen über Landhäuser und Paläste, Weinbergterrassen und Straßenzuständen.

Das musikalische Andenken aus Florenz, wo Tschaikowsky drei Monate lang weilt, vollendet er schließlich in der Ruhe seines Landhauses in Klin. Kein Wunder, dass sich das „Souvenir de Florence“ nunmehr in einer Mischung aus Romanzenseligkeit, sehnsuchtsvoller Schwerblütigkeit unter Verwendung einer russischen Volksliedmelodie und italienischer Leichtlebigkeit präsentiert. Musiziert wird das alles mit breitem Bogenstrich, klangsatt und in weitgehend dunklen Farben, stets mit Gefühl. Differenziert und elegant, zuweilen auch kapriziös und leidenschaftlich: Die Musiker wissen die vielfältigsten Stimmungen und Farbschattierungen mit präzisem und sauberem Saitenstreichen zum Klingen zu bringen. Auch in Antonin Dvoraks E-Dur-Streicherserenade op. 23 wissen sie den idyllischen Grundton des Werkes um besinnliche bis bewegte, weichgezeichnete und hell getönte Nuancen zu bereichern. Ein gelungener, beifallsfreudig aufgenommener Start in die neue Saison unter dem Titel „Klangwelten und -farben“. Peter Buske

Peter Buske

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