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Von Heidi Jäger: Sehnsuchtsort

Bruno Cathomas inszeniert „Lola“ am Hans Otto Theater als eine Farce / Am Freitag ist Premiere

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Das sicher hundertfach gehörte Kompliment auf seine unvergessene Charakterrolle als Viehjud Levi quittiert er mit einem bescheidenen Lächeln und der kurzen Bemerkung: „Ja, sie hat mir viel Ehre eingebracht“. Bruno Cathomas sitzt in der Kantine des Hans Otto Theaters wie auf Kohlen und schaut trotz des konzentrierten Gesprächs ständig zur Uhr. Diese Unruhe ist nicht nur dem Stress der Beleuchtungsprobe geschuldet. Er sei immer etwas gehetzt, sagt der gebürtige Schweizer.

In Potsdam wird der vielgefragte 45-jährige Theatermann, der zwischen Schaubühne Berlin und Thalia Theater Hamburg als Schauspieler und Regisseur unentwegt auf Achse ist, den Fassbinder-Film „Lola“ für die Bühne adaptieren und in die 90er Jahre verpflanzen. Dazu nimmt er sich durchaus viel Zeit. Bereits seit September ergründet er diesen Stoff, bei dem es wie beim „Viehjud Levi“ um den Umbruch einer Gesellschaft geht.

Die Lola-Geschichte greift indes weiter zurück. Sie basiert auf Heinrich Manns „Professor Unrat“ und wurde durch den Ufa-Film „Der blaue Engel“ zum Evergreen. Bruno Cathomas hält sich an den Kern der Geschichte, in der ein ehrbarer Bürger durch die Liebe zu einer Hure in den Sumpf hinabgezogen wird. Nur befindet sich dieser Sumpf in einer ostdeutschen Provinzhauptstadt der Nachwendezeit. Und wer da auch an Potsdam denkt, liegt keineswegs falsch.

Der tieflotende Künstler hat sich intensiv mit der Stadt auseinandergesetzt, denn für ihn muss Stadttheater auch immer mit dem Ort und seinen Menschen zu tun haben. Er war in Kneipen unterwegs, sprach mit Taxi-Fahrern, spürte in Potsdam den rückwärtsgewandten Geist zur Wilhelminischen Zeit ebenso wie eine DDR-Nostalgie. Er kennt die Diskussion um Hauptbahnhof und Stadtschloss. Und um den richtigen Ost-Drive zu kriegen, hörte er Musik von Frank Schöbel bis Silly. Auch die Biografien der Schauspieler, die er sich rollengerecht aussuchte, ließ er in die Inszenierung einfließen.

„Ich habe fast immer nur mit Ossis zu tun und weiß, wie sensibel sie gegenüber ihren Biografien sind. Man muss aber wegkommen von diesem schwarzweißen Opfer- oder Täterbild. Es gibt in jeder Biografie Gutes und Schlechtes.“ Er jedenfalls will eine sehr lustvolle Ostgesellschaft zeichnen, die ihre neue Freiheit genießt. „Niemand ist vergrämt.“ Doch dann kommt dieser Wessi von Bohm, gespielt von dem Krefelder Schauspieler Bernd Geiling, und will ihnen einen Teil ihrer Lust nehmen. Auch der alte Bauunternehmer Schuckert, der sich in jedem System zurechtfindet, fühlt sich durch den neuen, moralisch so gefestigten Baudezernenten in die Enge getrieben. Denn nicht alle Pläne Schuckerts sind auf solidem Fundament gebaut. Unter dem Deckmantel von Anstand und Aufbauwillen werden munter krumme Geschäfte gemacht und Millionen versenkt. „Das gehört scheinbar dazu, wenn eine Gesellschaft neu beginnt. Das ist in Potsdam nicht anders als in Chemnitz oder Dresden.“

Doch anders als der Fassbinder-Film mit Italien als Sehnsuchtsort der 80er, in dem alles sehr holzschnittartig als Lehrstück über Moral und Korruption angelegt war, möchte es Bruno Cathomas als Farce angehen, die weder positiv noch negativ aufgeladen ist. Das Bordell spiegelt für ihn nicht das Verruchte, sondern den Sehnsuchts- und Stillstandsort, der gerade in Zeiten von Veränderung an Bedeutung gewinnt.

Dort lernt der moralisch so gefestigte von Bohm die hübsche junge Lola kennen, gespielt von der Dresdnerin Franziska Melzer, und ist sofort in sie verliebt. Lola ist indes die „Privatnutte“ Schuckerts. Doch der gibt sie für Herrn von Bohm frei, um wieder unbehelligt seinen Geschäften nachgehen zu können. Lola wird damit Teil der Gesellschaft, ebenso wie von Bohm. Und die Moral von der Geschicht? „Es gibt keine! Liebe macht korrumpierbar, und auch der integerste Mensch ist nur aus Fleisch und Blut.“

Als Schweizer habe er immer in der Kontinuität der Geschichte gelebt. Gerade deshalb zog es Bruno Cathomas nach Deutschland. „Vor allem im Osten ist noch Reibung spürbar.“ Inszenierungen bei Frank Castorf an der Volksbühne, in denen er spielte, erlebte er als ein gewaltiges Potenzial an Unzufriedenheit und Ausdrucksmöglichkeiten. „Wir sind als Künstler dazu aufgerufen, neue Inhalte zu präsentieren.“

Bei dem Stück „Lola“, das er sich nicht selbst ausgesucht hat, ist dieses Neue nicht herauszulesen. „Eigentlich sind es Soap-Texte, die wir mit Theater aufladen wollen. Die Texte allein geben nicht so viel Nahrung, haben keine philosophische oder gesellschaftliche Dimension. In dieser Inszenierung geht es mir um das Wie: um das Lustvolle, Sinnliche, Spielerische, keineswegs um den letzten Theaterschrei, mit dem ich auf ein Festival will.“

Aber er schaut sich durchaus auf Festivals um, auf der Suche nach neuen Inhalten, mit dem das Theater gesellschaftliche Impulse geben könnte. „Im Moment gibt es keine nach vorn gerichtete Utopie. Und auf der Bühne sehe ich die letzten Zuckungen der Ich-Befindlichkeiten. Ich bin gespannt, was danach kommen wird.“ Er selbst veranstaltet im Thalia Hamburg mit jungen Philosophen Diskussionsrunden. „Auch die Philosophie ist im Stillstand. Sie reflektiert, was in den letzten 100 Jahren nicht funktioniert hat und was ich darüber gelesen habe, war entweder fürchterlich esoterisch oder resignativ.“ Im Moment scheine das Rückwärtsgerichtete Konjunktur zu haben. „Wenn die Gesellschaft zu ,frei’ geworden ist, verlangt sie wieder nach festen Regeln, wie Schuluniformen oder religiösen Haltungen. Als aufgeklärte Menschen müssen wir die aufgeklärte Gegenkraft sein.“

Um über das heutige System zu erzählen, sollte man vielleicht noch einmal einen so genialen Kopf wie Marx durchleuchten, glaubt Cathomas, auch wenn zu Recht umstritten sei, was er aus seiner Philosophie machte. „Man kann keine Revolution von oben verordnen. Vielleicht ist die Antwort der Zukunft ja eine Nischengesellschaft.“ Und vielleicht erzählt sein nächstes Stück in Potsdam mehr darüber. Jedenfalls befindet sich der bewegte Mann, dessen Partner ebenfalls Regisseur ist, bereits in Vorgesprächen für die nächste Saison des Hans Otto Theaters.

Zwischendurch kann man ihn als schwulen Ankleider in „Lenas Liebe“ im Kino sehen oder als Spurensicherer im ARD-Krimi „Wolfsfährte“. Und im Thalia Hamburg steht er demnächst als Nero auf der Bühne. Kein Wunder also, dass Bruno Cathomas Angst hat, die Zeit rennt ihm davon.

Premiere Freitag, 14. Mai, 19.30 Uhr, Neues Theater

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