Kultur: „Seine Einsicht war versteckt“
Der Historiker und Ausstellungskurator Jürgen Luh über Einsicht bei Friedrich II. Er ist zu dem geworden, was wir alle sind, zum Menschen mit Stärken und Schwächen.“
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Es ist das Jahr des Königs. Zum 300. Jubiläum seiner Geburt ist Friedrich II. in Potsdam und Brandenburg das prägende Thema. Ob Konzert, Buchvorstellung, Theater oder Ausstellung, am berühmten Preußenkönig kommt man nur schwer vorbei. In den kommenden Wochen sollen an dieser Stelle die unterschiedlichen Facetten des Königs beleuchet werden, der unter anderem auch Musiker, Philosoph, Kunstliebhaber und Dichter war.
Herr Luh, im Alter soll Friedrich II. in mancher Hinsicht einsichtig geworden sein. War dem wirklich so oder handelte es sich dabei nur um eine weitere Strategie in Sachen perfekter Selbstdarstellung?
Friedrich hat Einsicht gezeigt, allerdings nicht öffentlich, vor Publikum. Das hätte seinem Bild geschadet. Das wäre auch echte Einsicht gewesen. Da er sie aber versteckt oder verklausuliert unter Beweis stellte, hat sie nur den jeweils bestimmten Adressatenkreis erreicht. Das war ziemlich gut gemacht, denn er machte Fehler, aber da er keine öffentliche Einsicht zeigte, präsentierte er sich fehlerfrei.
Worin genau zeigte sich diese verklausulierte Einsicht?
Darin, dass er Fehler zugab und Dinge, die einmal für die Ewigkeit gedacht waren, änderte. Man kann dies beispielsweise bei dem Feldherren Friedrich beobachten. Der entschuldigte sich schriftlich für seine Fehler in den Schlachten bei Hochkirch und Kunersdorf. In einer Ode bei George Keith für den Tod von dessen Bruder bei Hochkirch, bei seinen Generalen, dass er bei Kunersdorf nicht auf sie gehört und die Schlacht einen Großteil seiner Soldaten das Leben gekostet hatte. Aufgrund seiner Erfahrungen mit der Kriegsführung der Österreicher im Siebenjährigen Krieg veränderte er mit seinem Traktat über die „Lagerkunst“ dann seine „Generalprinzipien vom Kriege“, die eigentlich grundlegend und vollständig sein sollten.
Einsicht setzt kritische Reflexion voraus. Wann und wie setzte diese bei Friedrich ein?
Das lässt sich nicht leicht sagen. Er zeigte Einsicht, soweit sich dies feststellen lässt, oft ja erst Monate, Jahre später. Doch denke ich, weil Friedrich ein kluger Mann war, der sich selbst auch genau beobachtete, dass er schnell Falsches oder von ihm nicht richtig Bewertetes erkannte und darüber nachdachte. Nur zugeben tat er es erst lange nachher.
Wie war es unter diesen Umständen um das Gewissen des Preußenkönigs bestellt?
Da Aufzeichnungen aus seiner Feder fehlen, kann man das nur erschließen. Ihn hat etwa der Verlust seiner Schwester Wilhelmine hart getroffen, vor allem, nachdem er gemerkt hatte, dass er ihr in seinen letzten Briefen nicht den so sehr erhofften Beistand und Zuspruch gewährt hatte. Als ihm dies klar wurde, und er nun all das zu Papier brachte, was die Schwester sich erhofft hatte, war es zu spät. Der Brief erreichte Wilhelmine nicht mehr. Das hat er sich vorgeworfen, daran hat er schwer getragen. Der Freundschaftstempel im Park Sanssouci kündet davon.
Was war das für ein Mensch, der alte, einsichtige Friedrich?
Mit Sicherheit nicht ein leutseliger „Alter Fritz“. Was daran lag, dass er im Alter wohl Einsicht zeigte, aber die nicht zu seiner Haupttugend wurde.
Welches Bild, welche neuen Einsichten in diese Herrscherpersönlichkeit haben wir in diesem Jahr seines 300. Geburtstages erlangen können?
Ein vielschichtigeres, interessanteres Bild. Friedrich ist zu dem geworden, was wir alle sind, zum Menschen mit Stärken und Schwächen. Wir sind ihm in diesem Jahr näher gekommen als je zuvor, weil wir viel platten Heroismus, den man Friedrich angeheftet hatte, abgetragen haben. Herauskristallisiert hat sich eine Persönlichkeit, die alles daran setzte, Ruhm und Größe zu erlangen. Und dass er sich auch gern das eine oder andere gönnte, wie wir alle. Wir haben dieses Jahr auch sehr gut gesehen, dass Friedrich ein PR-Genie war, das sein Bild bis in die Ewigkeit transportieren wollte. Das hat er gut angefangen, denn wir sprechen jetzt noch immer über ihn.
Was bleibt von Friedrich II.?
Seine Art, seine Ideen und Gedanken – und die kann man sich nirgends besser erschließen als im Neuen Palais, seinem Vermächtnis. Aus dem, was wir besprochen haben, sicherlich die Erkenntnis, dass man seine Kräfte konzentrieren muss, wenn man sein Ziel erreichen will und dies mit langem Atem – eine Haltung und Eigenschaft, die unserer heutigen Gesellschaft, in der alles sofort passieren muss und die immer dem neuesten Trend meint anhängen zu müssen, immer mehr verloren geht.
Das Gespräch führte Dirk Becker
„Der Große. Friedrich II. von Preußen“ von Jürgen Luh ist im Siedler Verlag München erschienen und kostet 19,99 Euro
Jürgen Luh, geb. 1963, ist Historiker bei der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg und Mitorganisator der Ausstellung „Friederisiko“ im Neuen Palais. PNN
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