
© S. Courbe/Ullstein
Kultur: „Seit ich schreibe, habe ich keine Alpträume mehr“ Ein Gespräch mit dem französischen Autor
Franck Thilliez über die Faszination am Bösen
Stand:
Die Verbrechen, die er in seinen Büchern beschreibt, sind brutal, die Phantasie seiner Mörder haarsträubend. Der französische Schriftsteller Franck Thilliez lotet das Abgründige der menschlichen Seele bis in die tiefsten Tiefen aus. In Frankreich gilt er als einer der erfolgreichsten Vertreter im Genre der Psychothriller, wurde sein Roman „Die Kammer der toten Kinder“ für das Kino verfilmt. Am Dienstag war er zu Gast in Potsdam, um seinen neuesten Roman „Blutträume“ vorzustellen. Vor der Lesung trafen wir Franck Thilliez im Foyer des Voltaire-Hotels. Ein stiller, fast schon zierlicher Mann. Freundlich und zuvorkommend, geduldig und sehr aufmerksam.
Herr Thilliez, warum diese Faszination für das absolut Böse?
Ich habe im Alter von zehn Jahren mit dem Schreiben begonnen und schon damals ein großes Interesse für Kriminalromane, später auch für Horrorfilme entwickelt. Mittlerweile habe ich in meiner Heimat Frankreich sieben Thriller veröffentlicht, die alle zum Grundthema die Fehlfunktionen im menschlichen Hirn, die Abgründe in der Seele von Serienmördern haben. Seit ich schreibe, interessiert es mich, was bei diesen Menschen dazu führt, dass sie die Grenze zwischen Gut und Böse überschreiten. In meinen ersten Büchern ging es vor allem darum, wie diese Serienmörder gefasst werden. Jetzt interessiert mich vor allem die Pathologie dieser Menschen. Ich glaube, dass sehr viele Menschen in ihrem Leben an diese Grenze kommen. Aber für die meisten ist es selbstverständlich, sich für das Gute zu entscheiden.
Wie viel Recherche steckt in Ihren Romanen?
Ich recherchiere viel. Das beginnt schon mit dem täglichen Zeitunglesen, wo ich die unterschiedlichsten Meldungen über Verbrechen sammle. Daneben lese ich auch wissenschaftliche Bücher über die Gerichtsmedizin und Ermittlungsmethoden. Dabei bin ich immer auf der Suche nach Fällen oder bestimmten Fakten, die so noch nicht bekannt sind oder von anderen Schriftstellern verarbeitet wurden. Derzeit arbeite ich an dem Thema für ein neues Buch und bin bei meinen Recherchen darauf gestoßen, dass in den 60er Jahren in Kanada viele Waisenkinder in psychiatrische Anstalten eingewiesen wurden. Nicht weil sie krank waren, sondern weil das Geld für deren Betreuung in den Heimen fehlte. An einem Teil dieser Kinder sind auch Experimente durchgeführt worden. Ich erzähle nun meine Geschichte vom Heute ausgehend und konstruiere die Handlung um diese Fakten.
Und wie viel entspringt dabei Ihrer Phantasie?
Die Personen und die Handlungen sind natürlich fiktiv. Aber bei den ermittlungstechnischen Abläufen, den Strukturen der Polizei berufe ich mich auf die Wirklichkeit.
Und diese grausamen Morde, all diese Details, mit denen Sie sich für Ihre Bücher auseinandersetzen?
Nehmen wir zum Beispiel „Blutträume“, wo ich mich mit körperlichen Missbildungen auf der einen und Menschen, die sich davon auch sexuell angezogen fühlen auf der anderen Seite beschäftige. Da greife ich natürlich auf die so genannten „Freakshows“ aus dem 19. Jahrhundert zurück, wo Menschen mit Anomalien auf Jahrmärkten zur Schau gestellt wurden. Aber die im Buch geschilderten Verbrechen und Morde habe ich mir selbst ausgedacht.
Hinterlässt das keine Spuren, verfolgt Sie das nicht bis in Ihre Träume?
Ich habe die Schriftstellerei mittlerweile zu meinem Beruf gemacht. Es geht mir in meinen Büchern darum, dass die Leute beim Lesen Angst empfinden. Um diese zu schaffen, bewege ich mich natürlich in einem sehr grausamen Metier. Aber ich sehe mich da wie ein Gerichtsmediziner, der auch einen Abstand zu seiner Arbeit schaffen muss. Und was meine Träume betrifft, da hatte ich früher wirklich Probleme. Denn da hatte ich sehr oft Alpträume. Aber seitdem ich professionell schreibe, ist das vorbei. Im Grunde ist das Schreiben für mich das beste Mittel, all die Sachen, die mir durch den Kopf gehen, zu verarbeiten.
In Ihren Büchern lassen Sie vor allem Frauen und Kinder sterben.
Kinder sind vor allem in meinen ersten Büchern unter den Opfern gewesen. Ein klassischer Anfängerfehler. Denn ich habe mittlerweile festgestellt, dass Leser, die ja bewusst die Aufregung und Angst beim Lesen solcher Geschichten suchen, bei Kindern als Opfer ein starkes Unbehagen empfinden. Die wollen das nicht lesen. Und was die Frauen betrifft, da orientiere ich mich auch nur an der Wirklichkeit. Denn 80 Prozent aller Serienkiller sind Männer und zu deren bevorzugten Opfern zählen leider vor allem Frauen.
Was haben Sie in den vergangenen Jahren durch Ihre schriftstellerische Arbeit und die Recherchen über Serienmörder gelernt?
Dass es wenige oder gar keine Erklärungen gibt. Selbst ein Experte wie Stéphane Bourgoin, der seit Jahren zu diesem Phämonen forscht, Serienmörder sogar interviewt, stößt immer wieder an Grenzen. Es gibt keine Verallgemeinerungen, keine Regelmäßigkeiten.
Liegt es vielleicht auch an diesem Unerklärbaren, dem Rätselhaften, warum so viele Schriftsteller sich damit beschäftigen und so viel Menschen diese Bücher lesen?
So lange dieses Rätsel ungelöst bleibt, werden solche Bücher geschrieben und auch weiterhin gelesen. Weil darin ja doch irgendwie auch versucht wird, eine Antwort auf das scheinbar Unerklärliche zu geben.
Herr Thilliez, wo begegnen uns die schlimmsten, in ihren perfiden und grausamen Methoden die phantasievollsten Serienmörder? In den Büchern von Schriftstellern oder in der Wirklichkeit?
Die Wirklichkeit ist deutlich schlimmer, als es Bücher je sein können. Würde man allein nur das schildern, wozu Menschen in der Lage sind, wäre das ein Ausbreiten von grenzenlosem Horror. Natürlich denke ich mir als Schriftsteller von solchen Psychothrillern schlimme Szenen aus. Aber wer sich an der Wirklichkeit orientiert, merkt schnell, dass es dort noch viel, viel schlimmer ist.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Franck Thilliez liest heute, 19 Uhr, im Berliner Institut Francais, Kurfürstendamm 211. In deutscher Sprache sind von ihm im Ullstein Verlag „Die Kammer der toten Kinder“, „Im Zeichen des Blutes“, „Der rote Engel“ und „Blutträume“ erschienen
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