Kultur: Seitenblicke
„Zwischen zwei und sechs“: Malerei und Zeichnungen von Wolfgang Thiel im Alten Rathaus
Stand:
Drei Stadtansichten von Gubbio in Italien bieten drei verschiedene Sichten des Malers und Grafikers Wolfgang Thiel, dessen Arbeiten derzeit in einer Ausstellung im Alten Rathaus – Potsdam Forum zu sehen sind.
Die „Häuserschlucht“ von 1990 zeigt eine typisch südländische Häuserlandschaft. Durch die Sonne scheinen die Konturen zu verschwimmen, die Farben sind ocker, hellrot und braun, ein Fenster am Haus weist die grüne Farbe auf, die ins Türkis geht und doch ein anderes Türkis ist, als wir es in unseren nördlichen Breiten kennen. Links wird das Bild von einer Mauer der Häuser, die wie Küken zusammenglucken, begrenzt, rechts führt ein Weg aus dem Bild hinaus. Alles ist wie aus einem Guss, aus einer Farbpalette gemalt. Weich wirkt das, ruhend, wie im Mittagsschlaf in der südlichen Hitze, friedlich und versonnen, obwohl doch kein einziger Mensch darauf zu sehen ist.
Seine „Häuser und Kirchturm“ dagegen kommen viel strenger daher, die Konturen sind klar voneinander abgesetzt, die Dächer haben scharfe Kanten wie geschliffene Messer. Spitz ragen die Schornsteine in die Höhe. Was auf dem ersten Bild sanfte Schläfrigkeit sein kann, ist hier gestochene Aufmerksamkeit – und es soll doch, zumindest nach dem Titel zu schließen, dieselbe Stadt sein.
Die dritte Arbeit ist etwas düster und könnte zwischen der heiter-verschwommenen Stadtansicht und ihrer klar-scharfen Variante vermitteln. Wolfgang Thiel, der nur mit diesen drei Bildern in den Süden geht, um in die Stadt zu schauen, kann mit seinen besten Arbeiten den Blick schärfen: für ein Häuserensemble, für Details, für mögliche Charaktereigenschaften dessen, was er da zeigt, für Stimmungen. Das Grün des Fensterladens, so zurückgenommen es in dem Bild auch ist, wirkt wie ein Auge, das auf den Betrachter schaut, weil es die einzige Farbe ist, die aus dem Rahmen fällt, das einzige Zeichen, das Spuren menschlichen Lebens aufweist oder hinter sich verbirgt.
Menschen sucht man vergebens auf Thiels Bildern, abgesehen von drei liegenden, hin gegossen und vollkommen aus der Umgebung geworfenen Gestalten, die uns im Flur begegnen. Ansonsten haben es ihm die ruhigen Momente alter Gebäude angetan.
„Zwischen zwei und sechs“, so der Titel der Ausstellung, gibt wohl die Zeit seiner Beobachtungen an, da ist keine Zwischenzeit, kein Dämmerlicht, kein Rausch, wie man das sonst so oft bei Künstlern findet. Meist sucht Thiel, der 1938 in Berlin geboren wurde und in Potsdam an Hoch- und Fachhochschulen Entwurf und Gestaltung unterrichtete, seine Motive in Polen oder im dörflichen Brandenburg. Verfallenes, Altes, Zeugnisse vergangenen, eines anderen Lebens als das der ökonomischen Effizienz. Es sind Spuren, in die wir uns versenken können, wenn wir uns von dem spektakulär Unspektakulären seiner Bilder nicht abschrecken lassen. Da zerfällt eine Treppe, die zu einem Haus führt, die drei Stufen sind zerrissen und klaffen auseinander, ein Hoftor hängt schief in seiner Verankerung, ein Zaun benötigt Stützen, um nicht umzufallen. „Schuppen“, „Gehöft“, „Kasernenhof“, „Garagen“ oder „Schweinestall“ lauten denn auch lapidar die Titel, die sozusagen das architektonisch Weggeworfene ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken.
Sein „Lokschuppen“ aus Mysliborz von 1999 begegnet dem Besucher zweifach: In der Gesamtaufnahme von außen ist es ein vergessenes Gebäude, das sicher mal aktiveres Leben kannte. In der Nahaufnahme allerdings entfaltet es eine seltene philosophische Kraft. Hier scheint Thiel angekommen bei dem, was er sucht, und der Betrachter findet aus dem schalen Gefühl der Bedeutungslosigkeit heraus zu einem grandiosen Abgesang: auf die Industriekultur, auf die Vergeblichkeit des Tuns, auf den Blick, der sich in der blinden und teilweise löcherigen Glasscheibe bricht, verhakt und vergeblich ins Innere zu dringen versucht. Diese Liebe zum unscheinbaren, scheinbar vergangenen Detail findet hier zu einer Größe, die nicht jedes der Werke aufweist.
Die Naturstudien „Baumgesicht“, Nahaufnahmen auf die Beschaffenheit von Baumstämmen – ebenso wie die neunteilige Arbeit „ohne Titel", die daneben hängt, scheitern, weil Wolfgang Thiel hier nicht einfach schaut und dokumentiert, sondern sie mit Bedeutung befrachtet. Insgesamt aber liefert er in dieser Schau einen Seitenblick, der in seinen glücklichsten Momenten Erkennen ermöglicht.
Altes Rathaus – Potsdam Forum, Am Alten Markt, bis 18. Januar 2009, Di-So 10 bis 18 Uhr
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