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Kultur: „Sektor Panzerhalle“

Zehn Jahre Schwimmen gegen den Strom / Jubiläumsausstellung im Atelierhaus Groß Glienicke

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Zehn Jahre Schwimmen gegen den Strom / Jubiläumsausstellung im Atelierhaus Groß Glienicke Von Almut Andreae Zehn Jahre Pionierarbeit am ehemaligen Militärstandort. Zehn Jahre Umwidmung einer Panzerhalle zum Atelierhaus. Zehn Jahre Schwimmen gegen den Strom. Die Künstler aus Berlin und Potsdam, die sich 1995 ausgerechnet das zuletzt von der NVA genutzte Kasernengelände in der Groß Glienicker Waldsiedlung als gemeinsame Produktions- und Präsentationsstätte aussuchten, blicken nicht ohne Stolz auf die vergangenen zehn Jahre zurück. Gleichzeitig ziehen sie in ihrer am vergangenen Sonnabend eröffneten Jubiläumsausstellung „Sektor Panzerhalle – 10 Jahre Atelierhaus“ kritisch Resümee, loten ihren Standort – unter Einbeziehung befreundeter Künstler aus dem In- und Ausland – erneut aus. Die künstlerische Aneignung des ehemaligen Kasernenareals im einstigen Ostsektor hat nichts an Faszination eingebüßt. Und so lag die Wahl des Ausstellungsthemas, nicht zuletzt vor dem Hintergrund von 60 Jahre Kriegsende, im Grunde auf der Hand. Die Möglichkeiten und Wirkungsweisen des Panzerhallenumfeldes auf das eigene künstlerische Schaffen werden in der Ausstellung neu befragt. Gleichzeitig aber auch der Blick auf die durch das Potsdamer Abkommen besiegelte Nachkriegsordnung gelenkt und somit auf das kollektive Gedächtnis geweitet. Die in der geräumigen Ausstellungshalle versammelten Positionen und Kommentare von insgesamt 27 Künstlern bewegen sich im Spannungsfeld zwischen globaler Erinnerung und individueller Annäherung an die Erfahrung von Krieg und politischer Willkür. Die Auseinandersetzung mit der von einzelnen Künstlern im ersten Moment als schwierig empfundenen Themenstellung hat schließlich überwiegend spannende Formulierungen gezeitigt. Während des Ausstellungsrundgangs spannt sich der Bogen des multimedialen Ausdrucksspektrums von den zerschossenen Tapetenbahnen der auf der diesjährigen Kunstbiennale vertretenen italienischen Aktionskünstlerin Loredana Longo über den fünfzackigen Stern von Silvia Breitwieser im Zentrum der Schau bis hin zu den „Trümmerfrauen“ von Bettina Schilling. Neben den weit in den Raum greifenden Skulpturen von Lothar Seruset oder den 300 Kilogramm schweren Betongüssen („Divide and rule“) des Niederländers Diet Wiegman, die mit ihrer Verkörperung der Protagonisten des Potsdamer Abkommens den Bezug zum Ausstellungsthema noch am plakativsten herstellen, geraten so intime Arbeiten wie „Schichten-Geschichte“ der US-Amerikanerin Linda Simmel oder die sich nur über Kopfhörer erschließende Audioinstallation des Schweizers Peter Trachsel in dem vielschichtigen Ausstellungstreiben fast ein wenig ins Abseits. Über viel Zuspruch während des Vernissageabends freuen konnte sich Jürgen Nestler aus dem Panzerhallen-Team, der mit seiner Gefrierschrank-Installation freimütig zur Selbstbedienung von gefrorenem Kulturgut (Gedichte von Gryphius, Trakl und Celan for take away) einlud. „In Ordnung 2“ ist seine Arbeit ironisch betitelt, in der Nestler ein eher resignierendes Fazit zieht. Angesichts der großen politischen Geschehnisse, die sich unberührt von der Leiderfahrung Einzelner vollziehen, bleiben für ihn die persönlichen Schicksale am Ende doch immer auf der Strecke. Ähnlich, nur noch drastischer wird diese Erfahrung von der Schweizerin Claudia Eichenberger formuliert. Stellvertretend für die Leiderfahrung individueller Biografien prangert die Künstlerin Systemanpassung und totalitäre Machtausübung in ihrem „Gehirnwäsche“ betitelten Ausstellungsbeitrag an. An einem überdimensionalen Wäscheständer hat sie chiffrenhafte Abbilder menschlicher Gehirne, nunmehr entwurzelt, isoliert und langsam austrocknend, fein säuberlich in eine neue Ordnung gehängt. Ironisch gebrochen auch die minimalistische Wandarbeit von Carsten Hensel, dessen persönlicher Kommentar zum Ausstellungsthema sich in dem Wortpaar „War Was“ verdichtet und dem Betrachter durch die implizierte englische Lesbarkeit weitere Wortspiele (War was?, Was war?) und Assoziationsfelder eröffnet. Die Absicht Hensels, sich zu den traumatischen Kriegserfahrungen einer aussterbenden Generation einen eigenen, dabei dennoch authentischen Zugang zu verschaffen, treibt den früheren Performance-Künstler nun erneut zu aktionistischer Arbeitsweise an. Mit einer unter die Haut gehenden Performance hat Carsten Hensel am Vernissageabend seine insgesamt dreiteilige Aktionstrilogie „WarWas“ eröffnet. Wer sich heute auf die Suche nach inhaltlich wie ästhetisch ernst zu nehmenden Positionen und Ausdrucksformen zeitgenössischer Kunst begibt, braucht nicht weit zu gehen. Jenseits des etablierten Kunstbetriebs haben die Akteure des Atelierhauses Panzerhalle im äußersten Potsdamer Norden eine künstlerische Keimzelle geschaffen, die – wie die mit avantgardistischen Zügen experimentierende Jubiläumsschau überzeugend vermittelt – ein vielversprechendes künstlerisches Potential birgt. Die Unterstützung von Stadt und Land ist ihr daher auch in Zukunft mehr als gewiss. Geöffnet Fr, Sa, So 14-19 Uhr u. n. Vereinb. Die Teile 2 + 3 der Aktionstrilogie von Carsten Hensel jew. So, 16 Uhr. Finissage mit Führung am 26.6., 14 Uhr.

Almut Andreae

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