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Kultur: Sie hätte die Hosen an

Javeh Asefdjah verließ mit neun Jahren Teheran. Heute ist Berlin ihr Zuhause. In Potsdam spielt sie die Recha in „Nathan der Weise“

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Sie wirkt wie eine waschechte Berlinerin, mit viel Herz und großer Schnauze. Vor allem politische Ungerechtigkeiten bringen sie auf die Palme, und vielmehr noch: auf die Straße. Als Javeh Asefdjah beim Grips Theater in „Hier geblieben“ spielte, brannte sie für den in der Inszenierung nachgezeichneten Fall der Berliner Schülerin Tanja Ristic. Das Mädchen wurde von der Polizei aus dem Unterricht geholt und zu ihrer Familie in Abschiebehaft gebracht. Die Schauspielerin beteiligte sich an Demonstrationen zur Freilassung von Tanja und hatte Erfolg.

Gerade weil Javeh als Besitzerin eines deutschen Passes selbst den Luxus kennt, hierbleiben zu dürfen, schmerzt sie es, dass andere sich nicht integrieren dürfen. Sie unterstützt den Flüchtlingsrat, macht sich stark gegen Ungerechtigkeiten in der Asylpolitik. „Jeder sollte sich aussuchen können, wo er leben möchte.“

In einem Stück wie „Nathan der Weise“ mitzuspielen, kommt der politisch engagierten Frau sehr entgegen. „Nathan ist leider immer aktuell. Gerade heute leben wir wieder in einer übersensiblen Zeit, was ja die Papst-Rede erneut zeigte.“

Sie hatte den Nathan aus ihrer Schulzeit eigentlich als langweilig gespeichert. „Als ich das Stück vor den Proben wieder las, fand ich es krass modern und auch humorig. Die Recha ist eine selbstbewusste junge Frau, und sie hatte den besten Lehrer: Nathan, ihren Ziehvater. Er argumentiert nicht mit der Religion, sondern mit der Vernunft.“ In der Inszenierung Uwe Eric Laufenbergs komme Recha nicht als blondes, blutarmes und braves Mädchen daher. „Gegen solche Sichtweise gehen wir an. Ich glaube, wenn Recha und ihr Retter, der Tempelherr, ein Paar werden würden, hätte sie die Hosen an.“

So wie Javeh Asefdjah auch selbst ihr Leben couragiert in die Hand nimmt. Sie war neun Jahre, als sie ihre Heimat, den Iran verließ. „Das war im Jahr 1985, als der Iran-Irak-Krieg und nicht zu vergessen, der der USA, ausbrach. Mein Vater war Professor an der Kunsthochschule von Teheran, mein Mutter Rektorin einer anderen Schule. Beide wollten nach Europa, suchten die Freiheit. Doch meine Mutter hatte es sich anders vorgestellt. Sie war Luxus gewöhnt, und nun mussten wir zu viert in einer Ein-Raum-Wohnung in München leben. Wir Kinder fanden die Freiheit indes wichtiger als schöne Puppen und teure Kleider.“ Javeh wusste noch zu gut, wie sie – obwohl sie nicht religiös erzogen wurde – in der Schule ihr Haar unter einem Tuch verbergen musste und das keineswegs angenehm fand.

Sie lernte als Erste die deutsche Sprache und musste die Behördengänge für die Familie mit erledigen. „Meine Mutter hat sich in diesem Land verloren. Nach der Scheidung ging sie zurück nach Teheran.“ Javeh zog zu ihrem Vater nach Berlin und hier begannen die für sie prägenden Jahre. „Hier machte ich mein Abitur und eine zweijährige klassische Tanzausbildung.“ Doch Tanz war mir zu wenig. Mir fehlte der politische Anspruch. Sie ging an die Leipziger Theaterhochschule, „obwohl ich vorher nur als Zehnjährige einen Engel mit schwarzen Haaren gab und im Kurs Darstellendes Spiel eine DJ markiert hatte. Vielleicht wollte ich Schauspielerin werden, weil ich meine Kindheit nicht gelebt hatte. Inzwischen bin ich 30 und immer noch recht kindisch.“

Ihr Schauspiel-Studio war in Chemnitz. Dort wehte ein etwas anderer Wind als in Berlin. „Als erstes habe ich gemerkt, was ich für ein Scheiß Markenkind bin. Und auch, dass ich hier nicht so eine große Schnauze haben sollte wie in Berlin. Ausländer wurden schon sehr anders in Augenschein genommen. Anfangs bin ich dann zu allen superfreundlich gewesen, wollte zeigen, dass auch Ausländer nette Menschen sind. Bald habe ich mein Maß aber wieder gefunden.“ Ihre ersten Praxiserfahrungen sammelte sie in Braunschweig und dann in Bremerhaven u.a. als Lulu. Über das Thalia Theater Hamburg kam sie wieder in ihr geliebtes Berlin zurück, wo sie auch in der Laufenberg-Tournee-Inszenierung „Das Maß der Dinge“ die Jenny spielte.

„Berlin ist mein zu Hause. Meine Heimat ist indes der Iran.“ Das habe sie gespürt, als sie voriges Jahr das erste Mal nach Teheran zurück kehrte. „Ich roch die frischen Pistazien und plötzlich war die Kindheit wieder da. Ich musste weinen.“ Auch der Empfang durch die große Familie berührte sie sehr. Natürlich sah man auch viel Fremdes in dem anderen. „Meine gleichaltrige Cousine hat schon ein 14-jähriges Kind und ich bekomme meine ersten grauen Haare und bin noch nicht mal verheiratet. Da wurde ein regelrechter Heiratsmarkt für mich veranstaltet. Am Ende gab es aber nur noch vertraute Gefühle. Politik ist das eine, die familiäre Wärme das andere.“

Gern würde sie irgendwann einmal zu einem Theaterfestival nach Teheran fahren. „Meine Familie würde ein ganzes Haus füllen.“ Heidi Jäger

Premiere morgen, 19 Uhr.

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