Von Heidi Jäger: So bin Ich!
Sie sind über 40 Jahre und bringen ihre Geschichten auf die Bühne: „Elf Frauen“ heute in der „fabrik“
Stand:
Sie streicheln, klopfen, kratzen, tupfen – verharren. Und beginnen wieder von vorn. Das Bild, das die Frauen im Sand hinterlassen, ist in ständiger Veränderung. So wie ihre Lebenszeit, die wie Sand durch die Finger rinnt. Doch sie sehen nicht tatenlos zu, sondern machen sich immer wieder auf, neue Bilder zu malen, auch wenn sie sich bereits in der „zweiten Lebenshälfte“ befinden. Ein Begriff, der nach Meinung der elf Frauen aus dem Wortschatz verbannt werden müsste. Denn was bedeutet „zweite Lebenshälfte“, wann setzt sie ein, wodurch wird sie bestimmt?
Eine von vielen Fragen, die in dem Tanz- und Bühnenprojekt „11 Frauen“, das heute in der fabrik Premiere hat, ergründet wird. Die Tänzerin und Choreografin Sabine Chwalisz, die die Idee für dieses Projekt hatte, beschreibt, wie unterschiedlich sich das Leben jenseits der 40 gestalten kann. Sie selbst ist 47 Jahre und fühlt sich wie ein „Zwitter“. Auf der einen Seite kann sie auf sehr viel Berufserfahrung zurückblicken, andererseits startet sie mit ihrem vierjährigen Sohn und den zweijährigen Zwillingen gerade erst richtig durch. „Andere Frauen sind jünger als ich und haben schon erwachsene Kinder. Für sie stehen ganz andere Dinge an. Nicht die Anzahl der Jahre bestimmt das Leben, sondern in welchen Ereignissen man steckt.“
Und die sollen nun beispielhaft auf der Bühne erzählt, gesungen, musiziert, gespielt, getanzt oder in den Sand gemalt werden: von Frauen zwischen 40 und 60, die noch viel in ihrem Leben vor haben. Sie sind Rechtsanwältin, Architektin oder Therapeutin – und haben nicht nur ihren Geist in Schwung gehalten, sondern durch Yoga, Tai Chi oder Trommeln auch für körperliche Fitness gesorgt. „Sich selber spüren, macht süchtig“, sagt Marie-Luise Baumhauer, eine der Teilnehmerinnen. Sie hat bereits Bühnenerfahrung, spielte früher auf dem Theaterschiff mit. „Es ist wieder schön, sich auf dem Boden rumzuwälzen, zu spüren, dass noch so viel geht und das dass Fleisch dabei fester wird.“ Sie weiß aber auch, wie es war, wenn sie vor Lampenfieber nicht mehr atmen konnte, und dass es durchaus passieren kann, dass sie heute Abend den Liedtext vergisst. „Aber ich genieße auch den Adrenalinstoß.“ Natürlich gehört Mut dazu, sich als Laie der Öffentlichkeit zu stellen. „Mut liegt nahe am Übermut“, sagt Susan Roge lachend. Doch sie schiebt wie die anderen Frauen die Aufregung beiseite und erzählt, wie die Proben ihr Selbstvertrauen gaben „und wahnsinnig viele neue Türen öffneten. Wir zweifeln oft an unserem Werdegang, doch so eine Gruppe gibt Halt.“ Das muntere Häuflein betrachtet sich nicht als ein Selbsterfahrungskurs. Es wird hart trainiert, mitunter fünf Stunden hintereinander: für diese erste Eigenproduktion der fabrik nach fünfjähriger Pause.
„Früher war es normal, dass ich 16 Stunden im Büro und auf der Bühne verbrachte. Dann kamen die Kinder und die Zeit und der Energiehaushalt ließen so ein Pensum nicht mehr zu. Als die Zwillinge ein Jahr wurden, bekam ich wieder Lust, künstlerisch zu arbeiten.“ Den Impuls für dieses Projekt bekam Sabine Chwalisz auch durch den Tod ihrer Großmutter, die vor anderthalb Jahren starb. „Als ich ein kleines Kind war, erzählte sie mir oft über ihr Leben, über Krieg und Vertreibung. Als ich dann erwachsen war und gern tiefer eingedrungen wäre in diese spannende Vergangenheit, war meine Oma dement.“ Die Choreografin fand es schade, dass Frauen mit einem reichen Leben so relativ wenig Gehör finden: auch Frauen, die heute andere Probleme haben als ihre Großmutter, nicht mehr nur funktionieren und Kinder groß ziehen müssen. Sie sind Nutznießer der in den 60er Jahren beginnenden Emanzipationsbewegung und schlagen sich nun mit neuen Herausforderungen rum.
Um diese in der Öffentlichkeit näher unter die Lupe zu nehmen, veranstaltete Sabine Chwalisz gemeinsam mit ihrer 31-jährigen französischen Kollegin Malgven Gerbes, die bereits in Berlin mit älteren Frauen arbeitete, im Frühjahr einen Workshop. Sie luden Frauen im „gewissen Alter“ ein, ihr Leben in einem künstlerischen Prozess zu reflektieren. Von anfangs rund 30 Interessentinnen blieben elf übrig, die dann an zehn Wochenenden miteinander probten. „Frauen gehen zusammen Kaffee trinken oder Shoppen. Der spirituelle künstlerische Austausch bringt noch mal etwas ganz anderes, zeigt, dass nicht nur ein Leben das richtige ist“, so Malgven Gerbes.
Am Anfang der Proben fragten die Choreografinnen, was es heißt, Frau zu sein, welchen Einfluss die Wende auf jede Einzelne hatte. Es ging um persönliche Erlebnisse, um Schmerz, Verlust, Glück. Die Frauen schrieben ihre Gedanken und Erlebnisse auf, improvisierten dazu und lernten, ihre Körper aufzurichten, ihrer Dynamik nachzuspüren. Daraus fügten die Choreografinnen Szenen zusammen.
Diese erzählen keine Geschichten, sind eher ein Spiegelbild, was jede Persönlichkeit ausmacht: Diese elf Frauen, die für sich stehen, auch wenn gerade das weibliche Geschlecht sehr aufeinander achtet, mit ihrem Fächerblick nach rechts und links. „Und sie können, anders als Männer, darüber reden, wie sie sich fühlen, wenn sie zum Beispiel mit einer anderen Frau tanzen. Darauf lässt sich gut aufbauen“, so Sabine Chwalisz, die diese Arbeit geradezu als ein Geschenk betrachtet. „Keine der Frauen verstellt sich, um in der Gruppe zu bestehen. Sie sind sich während der monatelangen Arbeit treu geblieben und waren ganz ohne Neid.“ Eine Qualität, die aus der Reife kommt, schätzt Sabine Chwalisz ein. Die Frauen stünden zu ihren Stärken ebenso wie zu ihren Schwächen. Selbstbewusst postulieren sie: So bin Ich! „Es gibt keinen Star, aber Frauen mit speziellen Talenten. Marie-Luise singt, Ele spielt Querflöte, Liane tanzt schon sehr lange, Lena kommt extra aus Hamburg,“ fügt das „Küken“ Malgven Gerbes an. „Ich habe nicht die Lebenserfahrungen der anderen Frauen, aber ich kann Bewegungsideen beisteuern“, sagt die Französin, die schaut, welches Licht der Frauen auf der Bühne am besten aufleuchtet. „Diese Arbeit nimmt mir jede Angst vor dem Alter“, betont sie.
Die elf Frauen wissen um ihre Vergänglichkeit und dass die Sanduhr läuft. Um so kreativer gehen sie mit ihrer Zeit um.
„Elf Frauen“: Heute und morgen um 20 Uhr, fabrik, Schiffbauergasse, anschließend Publikumsgespräch. Karten im Vorverkauf 5, an der Abendkasse 7 Euro.
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